Dysfunction Is A Function

Fetish 69 waren trotz ihrer weit über das Genre Metal hinausreichenden Intention trotzdem immer eher in einschlägigen Kreisen bekannt. Mit ihrem letzten Album "Geek" wurde aber bereits deutlich, daß das Stilkorsett schon vor langer Zeit gesprengt wurde.

Dekonstruktionen und Bearbeitungen haben eine lange Tradition in der Musikgeschichte. Fernab klassischer Interpretationen orchestraler Werke etablierte sich speziell in der U-Musik der Neunziger eine neue Schule der Adaption - das Remix-Album. War der Remix anfangs eher ein Vehikel, um Discostampfer in schier endlose Tanzstrudel aus Beats und Stöhnen zu zerdehnen, so wurde bald die Möglichkeit entdeckt, Genres zu überwinden und neue Zielgruppen zu entdecken. So ließ sich die eine oder andere Gitarrenband einen schicken Drum´n´Bass/Downbeat/Elektronik-Anzug verpassen und freute sich über die Käufer aus der anderen Ecke des Musikmarkt-Spektrums. Doch bald entwickelte der Bastard "Remix-Album" ein künstlerisches Eigenleben und wuchs weit über den Status des Marketing-Instruments hinaus. Mittlerweile tritt die janusköpfige Kunstform in grundsätzlich zwei Versionen auf - einerseits als die schon genannte Werbekeule der Musikindustrie, andererseits als spannendes Konzept, das einer Band Standortbestimmungen, Grundsatzerklärungen oder Neuorientierungen ermöglicht.

Bei "Dysfunctions and Drones" von Fetish 69 trifft letzteres zu. Die Avant-Metal-Band, die bereits mit ihrem letzten Album "Geek" ungewöhnliche Wege einschlug, tut nun mit einer selten gesehenen Selbstverständlichkeit den nächsten Schritt in Sachen künstlerischer Claim-Absteckung. Das neue Werk zeigt, daß es keine Frage der Instrumentierung ist, wenn Visionen den Platz einnehmen, wo bei anderen nur Posen vorzufinden sind. Das Album, in limitierter Auflage als Doppel-CD erschienen, enthält nicht nur Bearbeitungen anderer Künstler, sondern auch unveröffentlichte Stücke, die Ergebnisse der Verflechtung mit der Heavy-Lounging-Band Toxic Lounge sind, sowie Kollaborationen und Videos.

Auf "Dysfunctions", der ersten CD und Kernstück des Werks, finden sich Remixe von Mick Harris (Scorn, Painkiller, Ex-Napalm-Death und Mitverschwörer bei verschiedensten Projekten auf der dunklen Seite des Dub), Spectre (a.k.a. The Ill Saint of Brooklyn, Hohepriester des New Yorker Wordsound-Clans und hardest working man in DoomHop), James Plotkin (Ex-Scorn-Member und Kopf der verblichenen Band Old, Grenzgänger zwischen den Lärmen), Teho Teardo (Italiens Industrial-Finest, Kollaborateur in nahezu allen Industrial-Bands der ersten und zweiten Stunde) und Suk&Koch, die sich neben ihren visionären Videokunstwerken nun auch der experimentellen elektronischen Musik zuwenden. "Deeper Downhill" und "Total Isolation" sind Verschränkungen der verschiedenen Projekte der Bandmitglieder - ersterer Track in der Toxic-Lounge-Fassung und zweiterer in der Schlund-Version; bei "Incompatible Mutation" sorgt der Quasi-Popstar des Wiener Experimental-Labels Mego, Dr. Nachtstrom, für das Klanggerüst. "Tumor Dub" hingegen ist eine Novität - das hypnotische Finstergroove-Monster, eines der besten Stücke des Albums, erscheint hier im Remix, bevor das Original auf dem nächsten regulären Fetish-69-Album zu hören sein wird. Geblieben von den Originalstücken sind die intensiven Stimmungen des Fetish-69-Kosmos. Die Themen Isolation/Entfremdung/Haß/Liebe/Verlust finden ihre Entsprechung auch in den als Remix getarnten und nur vordergründig eingängigeren Nummern.

CD2, untertitelt "Drones" und nur in der limitierten Fassung erhältlich, wartet mit der nächsten Stufe der Dekonstruktion auf: Fritz Ostermayer (FM4-"Im Sumpf"-Mastermind und gutes Gewissen der heimischen Elektronikszene), Tribes Of Neurot (der Ambient-Ableger der US-Experi-Metal-Band Neurosis), Michael Krupica (Orchester 33 1/3, Der Scheitel), Helmut Kaplan (Ex-Member von Fleischpost und Skin, Klangforscher an der Grenze von elektronischer Musik und Improvisation), Winfried Ritsch (Multimedia-Artist und Konstrukteur kybernetisch gesteuerter Musikinstrumente), Bernhard Lang (vielfach ausgezeichneter Komponist der "Neuen Musik" und bereits Gast auf "Geek"), Pita Rehberg (Mego-Mastermind und Laptop-Lärm-Pionier) und bei "Survival Drone" die Band selbst disintegrieren die Stücke, würgen sie kurz und legen sie ins Avantgarde-Säurebad. Das Ergebnis sind radikale Adaptionen und Uminterpretationen, die in dieser Form sicherlich nur selten durchgeführt werden. Klänge, Töne und Sounds mischen sich, ziehen sich an, stoßen einander ab, interagieren, reiben, mahlen und lassen die Schlußszene von "2001" mit der psychedelischen Fahrt durch das Farbspektrum wie einen billigen Schwammerlrausch wirken.

Den krönenden Abschluß machen die ausgezeichneten Videoclips von Einar und Suk&Koch, enthalten im Enhanced-CD-Modus. Die intensiven Atmosphären der Stücke erfahren ihre optische Entsprechung - oder besser gesagt, Interpretation; denn bei der bildhaften Klangsprache der Fetish-69-Stücke entstehen die Filme ohnehin im Kopf.

Fazit: Die optimale Kur bei Downbeat-Drögheit, Industrial-Ischias, Experimental-Ekzem oder temporärer Verwaserlung. Wirkt schnell, zuverlässig und - garantiert. Dysfunction Is A Function!

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Linke Spalte: Das Albumcover mit Artwork von Andreas Ehrenberger Oben: Fetish 69 - v. l. n. r.: Garfield Trummer, Robert Lepenik, Christian Fuchs, Christoph Baumgartner, Rainer Binder-Krieglstein