Fortsetzungen sind entweder unnötig oder ärgerlich. Nicht so im Fall von Dr. Hannibal Lecter, die ist schon per se amüsant: Wer will schon Kannibalen im Kino missen? Ridley Scotts düster-romantischer Nachschlag zum blutigen Hauptgang ist zwar nicht hundertprozentig perfekt, aber doch sehr genüßlich!
Es gibt Filme, bei denen Kritiken fast überflüssig sind. "Hannibal" ist dafür fast prototypisch. Denn sehen wird - oder muß - man das Sequel zum Übererfolg "Das Schweigen der Lämmer" auf jeden Fall. Dafür sprechen auch die bisherigen Rekordergebnisse, die dem marktstrategisch vorher streng geheimnisumwobenen Thriller den erfolgreichsten Start der Kinogeschichte bescherten. Nun, das Publikum reagierte erwartungsgemäß - und zum Teil auch die Rezensenten.
Sieben Jahre ließ der bestsellende Star-Autor Thomas Harris bis zum dritten Teil seiner Kultserie um den kannibalistischen Ex-Psychiater Hannibal Lecter verstreichen. Dieser lebt, so erfahren wir nach einer spektakulären Eröffnungssequenz um einen schußreichen Polizeieinsatz von Clarice Starling (Julianne Moore), seit seinem Ausbruch im warmen Florenz. Unerkannt avancierte er hier unter der Maske des Biedermannes zum geschätzten Kunstgeschichteexperten und profunden Dante-Kenner, der eigentlich ein beschauliches Leben führt. Clarice, die nicht erst seit ihrer legendären Begegnung mit Hannibal (Anthony Hopkins) innerlich ein wenig zerrissen ist, muß einstweilen den Dienst quittieren.
Beide ahnen nicht, daß ein früherer Klient Lecters Unheilvolles plant: Der schwerreiche Päderast Mason Verger (Gary Oldman) ist nach der ärztlichen Spezialbehandlung des guten Doktors nämlich nicht gerade hübsch anzusehen und führt ein eher unerquickliches Dasein. Er sinnt auf sadistische Rache und spinnt dafür fast obsessiv ein raffiniertes Netz aus Handlangern und Plänen, in dem sich der meistgesuchte Verbrecher der Welt verfangen soll. Die fieberhafte Suche bringt nicht nur Clarice wieder auf die Spur ihres alten Bekannten, sondern auch den Florentiner Kommissar Rinaldo Pazzi (Giancarlo Giannini). Doch aus seiner Ruhe gerissen, wird aus dem Gejagten schnell wieder ein Jäger, der feines Büttenpapier und alte Wälzer gegen Messer und Gabel tauscht und in die USA zurückkehrt. Er kontrolliert die Situation perfekt - daran können auch ein paar blutgierige Wildschweine nichts ändern. Und immerhin kann er Clarice zum Essen einladen...
Der langweilige allgemeine Tenor, "Hannibal" sei nicht so spannend wie Jonathan Demmes Meisterstreich, stimmt zwar, aber ein zweiter Teil kann eben nie mit dem Überraschungseffekt des Vorgängers punkten. Eher hat man zeitweise das Gefühl, daß Ridley Scott ein wenig vor den Perversitäten des Romans kapitulieren mußte. Genüßlich zelebrierte Grausamkeiten und Tötungsrituale sind im Mainstream unverfilmbar - vor allem, wenn es ein programmierter Kassenerfolg werden soll -, und werden hier auch nur angedeutet. Und das ist kein leichtes Unterfangen bei einem der härtesten Horrorstoffe der letzten Zeit. Für den Nichtleser wirkt einiges ausgespart, und Lücken in Sachen Logik und Dramaturgie tun sich auf, während sich Scott bei Schlüsselszenen verschwörerisch an die Insider zu wenden scheint. So bleibt ersteren genug Zeit, sich den eingeflochtenen Betrachtungen über das Böse zu widmen. Hier gibt es Hierarchien und diffizile Unterscheidungen, wobei Harris´ Stereotyp vom kultivierten intelligenten Bösen als Faszinosum nicht gerade das Gelbe vom Ei ist.
Trotz aller kleinlichen Kritik zieht sich Scott sehr elegant aus der Affäre: Unter seinen wunderschön kühlen, ausgewaschenen Bildern scheint eine permanente Bedrohung zu lauern, und geschickt wandelt er den hochintelligenten Killer in einen vielleicht perversen, aber unheilbaren Romantiker mit exquisitem Geschmack, morbidem Charme und altmodischem Stil um, den Unschuld und Reinheit, aber auch erlesene Dinge faszinieren. Zitiert wird dazu ein wenig das "gothic" Schauermärchen, wenn etwa die Bestie die Schöne (Clarice im Abendkleid) auf dem Arm trägt, was dem Killer liebenswerte Züge verleiht. Anthony Hopkins bereitet seine Leib- und Magenrolle, die ihm zum großen Durchbruch verhalf, sichtliches Vergnügen, und er spart nicht mit Selbstironie und Süffisanz. Dem stilistisch virtuosen Ridley Scott (der mit "Alien" schon einmal ein Monster in den Kinomythos einbrachte) gelingt außerdem eine "nette" Schlußpointe und die Vorgabe, Hannibal Lecter, der immerhin bekennender Kannibale ist, endgültig als klassische Horrorfigur zu etablieren. Vor dem gemunkelten nächsten Teil kommt auf jeden Fall noch das Prequel "Roter Drache", das von Michael Mann ("Miami Vice") in den Eighties als "Manhunter" schon einmal verfilmt wurde. Ob das noch interessant ist, bleibt abzuwarten; "Hannibal" ist es auf jeden Fall.
Zwei Fakten zum Schluß: Der unkenntliche Gary Oldman taucht in den Credits nicht auf, und Spike Jonze ist in einer Nebenrolle zu sehen. Also schützt eure Leber!