Nach vielen kleinen Filmen über die unteren britischen Gesellschaftsschichten begibt sich Mike Leigh mit "Topsy Turvy", seiner Rekonstruktion der Operettenwelt von Gilbert und Sullivan, in die Welt des großen Kulturkinos.
1884, als Amerika von einer beispiellosen Hitzewelle heimgesucht wird, landen die englischen Operettenkünstler Gilbert und Sullivan - nach einer Reihe von umjubelten Werken wie "The Sorcerer", "The Pirates of Penzance" oder "Iolanthe" - mit "Princess Ida" ihren ersten Flop. Zumindest deuten die beiden die lauen Kritiker- und Zuschauerreaktionen so. Also will sich das Duo trennen. Da sie aber vertraglich aneinander gebunden sind, müssen sie noch eine Arbeit gemeinsam abliefern. Obwohl mit Widerwillen geschrieben und komponiert, entwickelt sich ihr neues Stück "The Mikado" zu ihrem ambitioniertesten Werk und erlangt Weltruhm...
Die britische Operette des 19. Jahrhunderts mag nicht jedermanns Sache sein. Wer aber die Filme Mike Leighs kennt, sollte trotzdem nicht von vornherein abwinken. Der Genialität des Regisseurs verdankt der Film nämlich, daß man die 160 Minuten seiner Laufzeit auch ohne Krampf- und Schlafanfälle durchhält. Zum einen überzeugt Leighs grandiose Handwerkskunst; gerade hier, in dieser überaus opulent ausgestatteten Filmwelt, avanciert die visuelle Inszenierung zur Aneinanderreihung von Leckerbissen. Ebenso lenkt der geschliffene, von mehrdeutigem britischen Humor durchsetzte Dialog immer wieder von der oberflächlich bunten "Realität" der Operetten ab. Und die Besetzung paßt bis in die kleinste Nebenrolle perfekt. Mike Leigh ließ seine Filme bisher stets mit viel Improvisation und Zufälligkeit entstehen, was ihnen Authentizität einbrachte. Bei "Topsy Turvy" allerdings dürfte er ungewöhnlich gut vorbereitet gewesen sein; der Film ist von vorne bis hinten in positivem Sinn durchgestylt.
"Topsy Turvy" ist ein wie immer guter, aber ungewöhnlicher Mike-Leigh-Film, auf den man sich einlassen können muß bzw. für den man in der richtigen Stimmung sein sollte. Pompöse Sittengemälde wie dieses können auch abstoßen, und die periodisch auftretenden Sequenzen aus Gilbert & Sullivan-Musicals muß man schon mögen, um nicht zu leiden. Wer durchhält, wird nicht nur mit fulminanten zehn Abschlußminuten belohnt, sondern hat sich definitiv kulturell weitergebildet und wahrscheinlich köstlich amüsiert.
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