Meditativ, poetisch, gewaltig: Takeshi Kitanos Yakuza-Epos "Sonatine" läuft mit sieben Jahren Verspätung für kurze Zeit im Kino. Versäumen Sie nicht dieses unbedingt sehenswerte, etwas unterschätzte Meisterwerk eines ganz großen Regisseurs.
Murakawa (Takeshi Kitano), ein Yakuza mittleren Ranges in Tokio, fährt auf Drängen seines Bosses Kitajima (Tonbo Zushi) nach Okinawa, um einer befreundeten Gang bei einem Revierstreit mit einer anderen beizustehen. Er tut das mit gemischten Gefühlen, da er befürchtet, von seinem Befehlshaber in eine Falle oder Selbstmordaktion gelockt zu werden. Kurz nach der Ankunft bestätigt sich sein Verdacht: Zwei seiner Leute sterben bei einer Explosion, woraufhin ein Teil der Mannschaft aufgibt und umkehrt. Als es bei einer Schießerei erneut Tote gibt, beschließt Murakawa, sich und seine Männer in Sicherheit zu bringen, und versteckt sich mit ihnen in einem verlassenen Haus am Strand.
Die anfängliche Todesangst der Gruppe weicht zunehmend einer seltsamen Urlaubsstimmung. Das angespannte (vergebliche) Warten auf Rettung, neue Order oder Verstärkung durch Kitajima wechselt in Ausgelassenheit; die hartgesottenen Gangster liefern sich kindische Streiche und Spielduelle, die sie fast akribisch durchexerzieren. In dieser naiv-fatalistischen Sorglosigkeit verwandelt sich das Strandleben in eine scheinbar glückliche Idylle, der sogar Murakawa zu trauen geneigt ist. Als er eine Frau vor der Vergewaltigung rettet, entspinnt sich zwischen ihm und Miyuki (Aya Kokumai) zögerlich der Versuch einer Liebesbeziehung bis zum unerwarteten Finale.
Takeshi Kitano ist ein Meister der Beiläufigkeit: Das Töten, die Gewalt und die Brutalität passieren in seinen Filmen fast wie nebenbei. Mit stoischen Mienen und Haltungen wird geschossen und gestorben, in ästhetischen Bildern, die nicht dummdreist Gewalt ästhezieren, sondern auf ebenso beiläufige Weise ihre zwiespältige Faszination verdeutlichen. In "Sonatine" flackern sie allerdings nur in kurzen Sequenzen auf, denn hier handelt es sich im Gegensatz etwa zu den temporeichen, farbenprächtigen Hongkong-Streifen um einen Action-Film mit nur wenig Action. Wenige Worte und lange, aber visuell wunderbare Einstellungen erzählen im Stillstand mehr als in einer Handlung im herkömmlichen Sinn, obwohl es die natürlich gibt. Der Blick Kitanos zielt auf das, was dahinterliegt, auf Konsequenzen und nicht auf das vordergründige Geschehen. In seine emotionslosen Stories und Protagonisten fließt Existentielles ungemein poetisch und unaufdringlich ein - fernab von jeglichem Autorenkino und in (oberflächlich betrachtet) dramaturgischen und visuellen Widersprüchen. Das Balancieren in Extremsituationen mit viel eigenwilligem Humor, Gewalt mit Poesie, das ist ganz großes Kino; vermutlich nicht für jeden auf Anhieb mitreißend, aber stets ein kathartisches Wechselbad für den, der sich darauf einläßt.
Der charismatische japanische Regisseur, Komiker, TV-Star und Schauspieler ("Merry Christmas, Mr. Lawrence", "Johnny Mnemnonic") "Beat" Takeshi ist ein Besessener, kompromißlos und genuin: "Working is like riding a bicycle. If you fall off, you die." Obwohl zwei Vorgänger - das gnadenlose Polizistenporträt "Violent Cop" regulär im Kino, das bizarre Baseball-Drama "Boiling Point" hauptsächlich auf Festivals - in Europa anliefen, gelang ihm erst mit seinem genial-ergreifenden Drama "Hana Bi" 1997 der Durchbruch im Westen. Über das mit dem "Goldenen Löwen" prämierte Werk geriet die internationale Kritik ins Schwärmen. Auch hier geht es wie in "Sonatine" um den Tod oder vielmehr um das Leben: "These are times when we ought to think seriously about how to die instead of how to live. After I´m psychologically prepared to die at any time, that´s when I want to consider how to live."