Rock musste ja mal wieder gerettet werden. Ginge es allein nach der bestimmt nicht unerheblichen Einschätzung der schreibenden Zunft dies- und jenseits des Ärmelkanals, unwesentlich ob englisch- oder deutschsprachiger Feder, so muss dieser ältere Herr ohnehin alle zwei Monate mit frischem Blut aufgeppelt und reanimiert werden, so siech und marod er angeblich mit Gitarren und Frisuren am Tropf hängt ...
Folgerichtig werden in verkaufsträchtiger Regelmäßigkeit blasswangige junge Burschen (manchmal auch Mädels) aus ihren miefigen Proberäumern ans grelle Sonnenlicht geschleppt und als DIE neue Hoffnung der Gitarrenmusik abgefeiert, allesamt sind sie bahnbrechend, wegweisend und sonst noch was. Schick ausstaffiert sowieso. Wollen halt auch andere davon leben. Für all die, denen Nu Metal zu unstylish und Iggy Pop zu alt ist, macht das durchaus Sinn und manchen Bands wie The Strokes (denen besonders) und dem Black Rebel Motorcycle Club (denen in ihren besseren Momenten) darf man auch schon mal ein Ohr leihen und für die Zukunft noch einiges zutrauen. Und sonst? White Stripes? Ach bitte, so kraftlos würde sich Jon Spencer noch nicht mal im Halbschlaf anhören. Der Rest? Oft noch schlimmer.
Und nun also And You Will Know Us By The Trail Of Dead. Der Nächste, bitte. Nein, nein, nein – hier ist manches, wenn nicht alles, anders. Denn "Source Tags & Codes", das dritte Album und zugleich Majordebüt des aus Austin/Texas stammenden Fourpiece mit dem einprägsamen Namen, rechtfertigt jede noch so übersteigerte Lobeshymne und übertriebene Eloge doppelt und vierfach. Schon der nicht weniger aufregende Vorgänger "Madonna" panierte die gleichgeschaltete Rocköffentlichkeit und war dann auch zweifellos eines der Alben des ersten 0er Jahres (obwohl eigentlich schon 1999 releast). Gerade rechtzeitig kommen Kevin Allen, Neil Busch, Conrad Keely und Jason Reece auch ins Frühjahr 2002 und strecken uns ihre blutgetränkten Mittelfinger ins aufgesetzt wehleidige Antlitz, weil sie uns so gern haben.
So bedächtigt "Source Tags & Codes" mit gefälligem Pianointro startet, so sehr bläst einem dann der hymnisch-drängende Eröffnungstrack "It Was There That I Saw You" um die Ohren und in den Magen. Eine gigantische Gitarren-Wall Of Sound bäumt sich eruptiv auf, während einer der Frontwahnsinnigen in großer und rausgerotzter Pracht hadert. Trail Of Dead lieben so intensiv, wie sie hassen, nehmen sich selbst nicht ganz für voll und meinen es dabei doch ernst, zitieren in "Baudelaire" ebendiesen (sinngemäß: die einzige Sünde ist Langeweile) und schreiben anthropologische Essays über Maya-Rituale - und sich fiktive Lebensläufe von Chorknaben auf den Topffrisur-beschmückten Leib.
Diese vier Texaner verkörpern die pure, unverfälschte Energie frühen Noiserocks im gleichen Ausmaß wie den episch ausufernden Bombast und den an die Wand geschleuderten Dreck. Trail Of Dead sind das Harte und das Zarte, sind der kollektive Lärmrausch ("Homage") und die rohe und ungeschliffene Intensität ("Another Morning Stoner") ebenso wie schwelgerisch getragene Leidenschaft ("Relative Ways"). Sie schreiben Melodien größer als Kathedralen, sind Thurston Moores verscheuchte Brut, Vorgänger und Nachfolger At The Drive-Ins und Godspeed You Black Emperor im wutschnaubend berstenden 4-Minuten-Sog.
Trail Of Dead also: Aggro, Punk, Paranoia, Frustration, Hymnen. Die Band der Stunde. Rau, rasant, ungeschliffen - die Essenz des Urknalls. Nasse Hände, blutige Nasen und feuchte Höschen. Bahnbrechend, wegweisend und sonst noch was. Diesmal wirklich. Rock musste ja schließlich gerettet werden.
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