Unser Leben währet 70 Jahr...

"... und wenn es köstlich gewesen ist, so ist es Müh und Arbeit gewesen." So lautet der Text eines Psalms, den sich mancher Vertreter der Generation Golf hinter die Ohren geschrieben zu haben scheint. Axel Braig und Ulrich Renz beleuchten die allgegenwärtige Arbeitswut.

Wer das schmale, im Argon-Verlag erschienene Büchlein in die Hand nimmt, erwartet zunächst eine dieser Publikationen, in denen es darum geht, einem armen, weil workaholischen Manager zu erklären, dass es sich mit etwas weniger als einer Euro-Mille im Jahr auch noch leidlich auskommen läßt. Der Zynismus solcher Bücher liegt zumeist darin, daß so getan wird, als gäbe es neben einem Haufen von Multimillionären keine Menschen, die sich aus finanzieller Notwendigkeit abrackern. Ein Blick auf die Autoren-Vita (der eine Manager, der andere Arzt) verstärkt noch diesen Eindruck. Erfreulicherweise wird man jedoch bereits nach einigen Seiten eines Besseren belehrt.

Im Grunde handelt es sich um ein Plädoyer dafür, in der Arbeit ein Mittel zum Leben zu sehen, das nicht zum Lebensmittelpunkt werden darf. Arbeiten, um Bedürfnisse zu befriedigen, nicht jedoch, um ein Bedürfnis nach Arbeit zu befriedigen. Das mag abstrus klingen, schließlich würden die meisten die Arbeit lieber heute als morgen niederlegen. Zugleich ist diese jedoch zu tief in der Gesellschaft verwurzelt, als daß dies - abgesehen von materiellen Zwängen - wirklich so problemlos möglich wäre.

Der moderne Mensch definiert sich über seinen Beruf. Er weist ihm eine Rolle und Identität innerhalb der Gesellschaft zu. Er hat sich mit Mythen verbunden, die sich in Wahrheit längst selbst überlebt haben: Arbeit als Möglichkeit zur Selbstverwirklichung, zu gesellschaftlicher Integration und als sicherer Hafen. In Wirklichkeit bewirkt der überhandnehmende Arbeitswahn das genaue Gegenteil: Er engt den Horizont ein und entfremdet den Menschen von sich selbst, seiner Familie, seinem Freundes- und Bekanntenkreis. Man nehme das Beispiel des Daimler-Chrysler-Chefs Jürgen Schrempp, der seiner Frau den Laufpaß gab, um die neue Funktion an der Spitze des Megakonzerns voll ausüben zu können. Ich will hier nicht spekulieren, was sonst noch dahintergesteckt haben könnte - in finanzieller Hinsicht hätte er es jedenfalls nicht nötig gehabt.

Interessant ist vor allem auch der kurze historische Rückblick: In der Antike war Erwerbsarbeit alles andere als gut angeschrieben. "Arbeit und Tugend schließen einander aus", dozierte Aristoteles, der wie alle alten Philosophen eher dem kontemplativen Dasein zugeneigt war. Bei Paulus heißt es dann erstmals: "Wer nichts arbeitet, soll auch nichts essen." Ein Sätzchen, das sich ironischerweise in der sowjetischen Verfassung wiederfindet. War im Mittelalter die Arbeit noch Strafe für die Sünden der Menschen (ganz im alttestamentarischen Sinne), so legt Luther später die Grundlagen der protestantischen Arbeitsmoral. Müßiggang wird zur Sünde, den Puritanern ist wirtschaftlicher Erfolg gleich mit göttlicher Erwählung. Benjamin Franklin ("Time is money") schließlich übersetzt das in weltliche Begriffe: "Wer nutzlos Zeit im Wert von fünf Schillingen vergeudet, verliert fünf Schillinge und könnte ebenso gut fünf Schillinge ins Meer werfen."

Natürlich könnte man dies alles auch bei Hannah Arendt ("Vita activa") nachlesen, aber mit deutlich größerem Zeitaufwand. Und Zeit ist Geld ... Man muss nur aufpassen, daß man nicht solange seine Zeit verkauft, bis nichts mehr davon übrig ist. Dann blickt man sich um und meint in Abwandlung eines Ödön von Horvath-Zitats: "Eigentlich wär ich ja ganz anders gewesen, nur bin ich so selten dazu gekommen."

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Über die Autoren:
Der 1951 geborene Axel Braig verdiente sich seine Brötchen zunächst als Orchestermusiker, ehe er nach einem Medizinstudium als Krankenhausarzt tätig war. Seit 1986 ist er niedergelassener Hausarzt und lebt mit seiner Frau und drei Töchtern in Tübingen.
Ulrich Renz wurde 1960 geboren, absolvierte ein Medizinstudium und arbeitete in einer Arztpraxis sowie als Autor medizinischer Fachbücher. Er war Geschäftsführer verschiedener Medizinverlage und lebt seit 1998 als freier Autor mit seiner fünfköpfigen Familie in Lübeck.