Leben am Verschubbahnhof

David Jackman alias Organum feiert in Kürze seinen 60. Geburtstag. Als kleiner Bub lebte er mit seinen Eltern in der Nähe eines großen Verschubbahnhofs und lauschte nächtelang den Klängen der Eisenbahnräder auf den Metallschienen. Die Vorliebe für diese Sounds packte er Jahrzehnte später in einige der interessantesten Veröffentlichungen im Bereich der frühen Elektronik-Avantgarde. Mit "Ikon" liegt nun sein absolutes Meisterwerk zum ersten Mal in digitaler Form vor.

Die Geschichte von Organum beginnt im Umfeld des großen Cornelius Cardew. David Jackman wird Mitglied dessen Kollektivs "The Scratch Orchestra", das klassische Kompositionen von Nicht-Musikern nachspielen läßt und schnell zu einem großen Namen im Bereich der Avantgarde-Szene mutiert. Zusätzlich besucht er die wöchentlichen Improvisations-Konzerte der immer noch aktiven und äußerst einflußreichen "AMM" und beschließt schließlich, selbst Musik aufzunehmen und einem kleinen Kreis von Hörern zugänglich zu machen.

In der Überzeugung, daß seine Sounds auch ein Publikum brauchen, um ein sinnvolles Dasein zu führen, vervielfältigt Jackman seine selbstgemachten Kassetten fünf bis zehn Mal und verkauft diese über Rough Trade in London. Durch das Zusammentreffen mit dem nordenglischen Kunst-Hasser Richard Rupenus und dessen Anti-Musik-Projekt "The New Blockaders" entsteht Jahre später die erste Vinyl-Veröffentlichung "Pulp", der im Laufe der Jahre noch vier weitere Kollaborationen folgen sollen.

Organum arbeitet in den darauffolgenden Jahren im Umfeld des belgischen Laylah-Labels mit Leuten wie The Hafler Trio, Current 93 oder Nurse With Wound und nach der Auflösung der Firma hauptsächlich mit dem deutschen Ambient-Pionier Christoph Heemann und dem Chicagoer Musikgenie Jim O´Rourke zusammen.

"Ikon" erscheint zum ersten Mal 1987 als Kassette in einer Auflage von nur 50 Stück auf Jackmans eigenem Label "Aeroplane Recordings". Zwei Jahre später erscheint eine Version auf Vinyl-LP auf dem deutschen Label "Dom Bartwuchs" und das gute Stück wird somit zum ersten Mal einem etwas größeren Publikum zugänglich. Fünf Stücke befinden sich auf diesem Album, und die Bandbreite der Sounds reicht von akustisch erzeugten Drones bis zum Einsatz von Stimme, Perkussion und selbstgebauten Flöten.

Wie keine andere Organum-Veröffentlichung bietet "Ikon" einen Querschnitt über Jackmans gesamte musikalische Vielfalt. Während der Opener "Crawl" eine heftige Drone-Attacke mit langen, ausufernden Soundscapes darstellt, ist "Great Light" ein fast meditatives Stück, das hauptsächlich von den Klängen einer Shakuhachi-Flöte getragen wird. Der Titeltrack "Ikon" hingegen besteht zu einem großen Teil aus verschiedenen Stimmen, die Obertöne singen - eine Referenz an die ursprüngliche Bedeutung des Wortes "Organum".

Alles in allem ist diese CD der perfekte Einstieg in die musikalische Welt eines äußerst bedeutenden Musikers - einziger Wermutstropfen ist lediglich die Gesamtspielzeit des Albums; diese beträgt nämlich insgesamt nur 16 Minuten.

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