Das Avantgarde-Duo Coil war vom Beginn an für die Verbindung von elektronischer Musik mit okkult-magischen Inhalten bekannt. Auf Moon´s Milk zelebrieren Coil nun ein akustisches Sonnwendfeuer und erweisen damit Mutter Erde eine ehrfürchtige Huldigung.
Die Band entstand im Jahr 1983 zuerst als Soloprojekt des britischen Performers John Balance. Als der Grafiker und Ex-"Throbbing Gristle"-Musiker Peter Christopherson in Balances Leben trat, nahm dieses eine entscheidende Wende: die beiden wurden zum erfolgreichsten und geheimnisumwittertsten Projekt, das aus dem Achtziger-Industrial-Genre erwuchs, und konnten sich mühelos in die neue Elektronik-Szene des einundzwanzigsten Jahrhunderts retten.
Auch privat ein Paar, meisterten sie gemeinsam Höhen und Tiefen ihrer Laufbahn. Einzig seine schwere Alkoholsucht scheint Balance noch immer nicht im Griff zu haben, und immer wieder veröffentlichen Coil zwischen absoluten Meisterwerken wie etwa "Musick To Play In The Dark" auch deutlich schwächere Alben, was eine riesige Qualitätskluft zwischen den einzelnen Releases entstehen läßt.
Coil benutzten auch immer wieder diverse Pseudonyme, um ihren gewaltigen Output unters Volk zu bringen. So gibt es von ihnen Werke als The Elph, Time Machines oder Black Light District. Kooperationen mit so unterschiedlichen Musikern wie Marc Almond, David Tibet, Steve Stapleton von Nurse With Wound, Trent Reznor von Nine Inch Nails oder Jim Thirlwell aka Foetus bescherten ihnen eine riesige Fangemeinde.
Vor drei Jahren entstand eine vierteilige Serie von Maxi-CDs, die sich dem Thema der Jahreszyklen und der Winter- und Sommersonnwende widmeten. Im Original im Dreimonatstakt veröffentlicht, wurde bald klar, daß die guten Stücke mit hundertprozentiger Sicherheit später auch gesammelt erscheinen würden, obwohl das damals - wie fast immer - von der Band auf das Heftigste dementiert wurde. Zu ertragreich allerdings erschien eine solche Cash Cow, um nicht von den beiden gemolken zu werden.
Nun ist es also soweit: mit Moon´s Milk (In Four Phases) liegt das ganze Werk in einem Stück vor. Je ein Viertel sind dem Frühling, Sommer, Herbst und Winter gewidmet und wurden auch zu exakt den dazupassenden Sonnwenden im hauseigenen Studio und im Freien aufgenommen. Die Musik variiert stark: von traditionell klingenden britischen Folksongs mit weiblicher Gaststimme über langandauernde konstante Drones bis hin zu krachigen Industrial-Collagen ist auf der CD alles vertreten, was Fans an Coil schätzen. Trotzdem klingt das gute Stück nicht nach einer Resteverwertung, sondern durchaus nach einem eigenständigen Werk, dessen Teile einfach sehr unterschiedlich sein müssen, um dem dazugehörigen Thema gerecht zu werden.
Die CD wurde ausgestattet mit einem überwältigen Digipack-Klappcover von Steve Stapleton. Musikalisch sind als Gäste Rose McDowall und Robert Lee von Sorrow vertreten, die der "Winter Solstice" fast schon Kaminfeueratmosphäre verleihen. Die "Spring Equinox" ist eindeutig die ruhigste Zeit des Jahres für die Band, die Musik bleibt simpel und effektiv, während auf "Autumn Equinox" alle Register ihres künstlerischen Schaffens gezogen werden. Der einzigartige Gesang von John Balance verleiht den Nummern eine Intensität, die beim Hörer fast schon Gänsehaut erzeugt.
Coil sind auch nach zwanzig Jahren ihres Bestehens und nach etlichen Schaffenskrisen immer wieder für neue Überraschungen gut. Wer hätte ihnen nach Jahren langweiliger Dahindümpelei noch so ein kreatives Comeback zugetraut, wie sie es mit den beiden "Musick To Play In The Dark"-CDs vorgelegt haben? Im April beginnen sie ihre erste Europatournee, und wer die Band noch nie live erlebt hat, der sollte sich einen ihrer raren Auftritte nicht entgehen lassen. Es gehört schon einiges an Abgebrühtheit dazu, um bei ihrer Invokation des Gottes Pan während der Liveshow der Gänsehaut zu entkommen. In der Zwischenzeit läßt sich das Warten gut mit dem neuen Album überbrücken - das nächste steht angeblich auch schon vor der Tür. Vielleicht ist es diesmal wirklich die seit Jahren angekündigte Backwards-LP auf Trent Reznors Label Nothing...
Zur Zeit liegen noch keine Kommentare vor.
|