Man möchte dem Herrn danken, daß es noch Bücher gibt, die sich vom Einerlei der Thriller und Ermittlungsstorys wohltuend abheben. Atheisten - die in diesem Genre ohnehin besser aufgehoben sind - mögen ihr Dankgebet an den Herausgeber von "Antihero" richten: Der Berliner Frank Nowatzki zeigt darin, daß Pulp Fiction mehr ist, als sich der durchschnittliche Tarantino-Konsument ausmalen kann.
Vergessen Sie den klassischen Entwicklungsroman. Die Protagonisten dieser Anthologie sind Antihelden, ein nicht gerade besonders sympathischer Menschenschlag. Es sind Kleinkriminelle, Serienmörder, Verlierer, gefühllose Brutalinskis; sie sind bereits ganz unten und sacken doch täglich tiefer. Ihr einziger Trost ist es, so viele Mitmenschen wie möglich mit in den Abgrund zu reißen. Der Anti-Held des Pulp-Genres ist auf der Schattenseite der Zivilisation zuhause, und ebendort spielen auch die Geschichten dieses Buches. Den darin beschriebenen Gestalten möchte man nicht gerade in einer dunklen Gasse begegnen - und für einige der Autoren (so hat man nach abgeschlossener Lektüre das Gefühl) dürfte wohl selbiges gelten.
Das Kernstück der Textsammlung ist Charles Willefords Debütroman "Der Hohepriester", eine weniger blutige, dafür psychologisch umso anspruchsvollere Story über einen manipulativen Gebrauchtwagenhändler, der seine eigene Interpretation des "American Dream" verfolgt.
Weitere hier versammelte Autoren des "ultrahardboiled"-Genres (eine Wendung des Hardboiled-Schriftstellers Raymond Chandler) sind Paul Cain, der 1933 den Antihero als Stilmittel entdeckte und in seinen im Pulp-Magazin "Black Mask" veröffentlichten Geschichten einsetzte, weiters der 1969 verstorbene Fletcher Flora, der Berufszocker Dan J. Marlowe, Derek Raymond (seines Zeichens Experte für Serienkiller und vertreten mit der ironisch-bedrückenden Studie "Die unvergängliche Susan"), Joe R. Lansdale (siehe auch EVOLVER-Review von "Drive In") mit der 1997 verfilmten Erzählung "Der Job" sowie Buddy Giovinazzo (siehe auch EVOLVER-Review von "Broken Street").
Vor allem Giovinazzos "Abgesang: Ich töte nur für Catalaine", ein Roadmovie als Sex- und Gewaltorgie, lehrt den Leser das Fürchten. Neben dieser Geschichte eines abgedrehten, mordlustigen Pärchens nimmt sich "Natural Born Killers" wie eine romantische Komödie aus. Der Autor selbst bezeichnet seine Geschichte als "moderne Love-Story". "True Romance"-Regisseur Tony Scott hat übrigens bereits die Filmrechte an Giovinazzos neuem Roman "Potsdamer Platz" erworben. Man darf gespannt sein.
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