Als Thriller strukturell interessant erzählt und in Einzelszenen nahezu genial, scheitert David Lynchs "Mulholland Drive" vor allem an der Trivialität seiner Story - und an einer latenten Alte-Männer-Geilheit.
Auf einer entlegenen Landstraße hoch über Los Angeles wird eine üppige Femme Fatal (Laura Elena Harring) plötzlich von der Tatsache überrascht, daß ihre Chauffeure offenbar den Auftrag haben, sie zu erschießen. Zum Glück sind ein paar jugendliche Rowdies auf derselben Straße auf Verfolgungsjagd unterwegs. Es kommt zum Frontalzusammenstoß; alle werden getötet, nur die Frau überlebt. Benommen flüchtet sie in die Büsche. Aus dem Unterholz kommend, landet sie auf dem Mulholland Drive und schläft versteckt zwischen Blumenbeeten ein. Glück im Unglück: als sie Morgens erwacht, verläßt die alte Dame, die das zu den Blumenbeeten gehörende Haus bewohnt, gerade ihr Heim, um auf Urlaub zu fahren. Die Überlebende schleicht sich ein.
Am Flughafen von L. A. trifft die blond-naive Betty (Naomi Watts) ein, um Schauspielkarriere zu machen. Sie wird das Haus ihrer Tante bewohnen, solange diese auf Reisen ist. Ja, tatsächlich: Es ist genau das Haus mit den Blumenbeeten. Und als Betty darin auf die Squatterin trifft, glaubt sie zuerst, diese sei eine Freundin ihrer Tante. Bald aber stellt sich heraus, daß das attraktive Wesen, das sich (dank eines Rita-Hayworth-Posters) Rita nennt, nur höchst verwirrt ist und unter Gedächtnisverlust leidet. Die engelsgleiche Betty ist gleich Feuer und Flamme dafür, Rita zu helfen und das Rätsel ihrer Identität zu lösen. Die beiden begeben sich auf Ermittlungstour, die sie geradewegs in die unmoralische, von Mafia-Geldern und finsteren Gestalten beherrschte Glitzerwelt Hollywoods führt, wo auch vor Mord und Totschlag nicht zurückgeschreckt wird, wenn es darum geht, daß ein mächtiger Geldgeber sein neues Liebchen zum Filmstar machen will...
Die Ausgangssituation der Geschichte ist die erste Ernüchterung: Also bitte, wie oft wird uns noch ein Gedächtnisverlust vorgesetzt, damit wir zu Anfang gar nichts wissen und es dann Stück für Stück vor uns aufgerollt werden kann? Hat jemand vielleicht einmal auch eine neue Idee?
David Lynch rechnet in "Mulholland Drive" mit so ziemlich allem ab, was ihn ärgert. Hollywood ist hier ein grausamer Molloch, wo Talent überhaupt nichts zählt, sondern nur Geld, Macht und Einfluß. Karrieren werden nicht gemacht, sondern jongliert. Das ganze ist degeneriert und kaputt bis zum Extrem. Das mag ja stimmen, aber für einen Regisseur, der einst keine andere Wahl mehr hatte, als Hollywood zu verlassen, weil seine Filme nicht mehr gefragt waren, steckt zuviel persönliche Betroffenheit mit drin. Und natürlich geht es ums Ficken. Lynchs bezieht seine Frauenfiguren ja schon seit mehreren Jahren ausschließlich aus Männerphantasien; hier hat er diesbezüglich das Maximum erreicht. Die Protagonistinnen im Mulholland Drive sind ausschließlich Klischee-Archetypen - allesamt geil, makellos, lesbisch und psychisch zerstört. Kann so etwas davon kommen, daß man zuviel in Playboy, Penthouse und Hustler blättert? Wer gerne vollbusige Weiber dabei beobachtet, wie sie sich im Bett wälzen, nackt aufeinander sitzen und sich ausgreifen, darf sich freuen.
Ansatzweise ist der Film - in einzelnen Szenen - wirklich genial. Wenn Betty zuerst völlig talentlos fürs Vorsprechen bei einem Regisseur probt, später dann aber eine höchst intensive Szene daraus kreiert, ist das nicht nur als Beispiel für das Filmhandwerk bemerkenswert. Immer wieder tauchen solche starken Szenen auf. Aber das rettet den Film nicht, ebensowenig wie seine aufgebrochene Erzählstruktur, die zwar tadellos umgesetzt ist und den Zuseher mehrmals in die Irre führt, aber auch schon mehrmals in sehr ähnlicher Form dagewesen ist. Daß Lynch seine üblichen surrealistischen Elemente einbaut, ist hier nicht besonders aufregend: Er benutzt dies teils für (fast schon überheblich akademisch anmutende) filmhandwerkliche Fingerübungen, dann stürzt er wieder in ganz erbärmliche sexuelle Symbolik ab (hat jemand eine Büchse der Pandora bestellt?!).
In Summe ist "Mulholland Drive" - der übrigens ursprünglich als TV-Mehrteiler geplant war - zwar erinnerungswürdig, aber doch recht fad, und zuviele Details sind danebengegangen. Die 152 Minuten Laufzeit hätte man ohne Probleme auf normal trimmen können.