Irgendwo in der Grauzone zwischen den Nullen und Einsen der Booleschen Algebra existieren fluktuierende Bilokationen, zappelnde Entladungen, so abrupt, daß sie kaum wahrnehmbar sind. Mit "Transform" stellt Carsten Nikolai unter Beweis, wie spannend die unentdeckte Welt der Elektrostatik pulsiert - und legt damit eines der besten Alben des Jahres vor.
Carsten Nikolai ist kein Unbekannter. Seit Jahren gestaltet er Multimedia-Events rund um den Globus und ist Mitglied des Raster-Noton-Projekts, das erst 2000 für die CD-Serie "20 to 2000" die "Goldene Nica" der Ars Electronica erhielt. Zu den Räumlichkeiten, in denen er seine Installationen präsentiert, zählen u. a. das Guggenheim-Museum in New York, das MOMA in San Francisco und Oxford oder die Biennale in Venedig.
Woraus besteht eigentlich der Klang, was macht den Ton? Die alte Fourier-Analyse erfreut sich in der letzten Zeit wieder besonderer Beliebtheit, und mit den Mitteln der granularen Synthese und dem extensiven Gebrauch von Powerbooks wird sie in ungeahnte Höhen getragen. Noch immer von Clicks und Cuts zu sprechen, wäre schlichtweg untertrieben. Hier geht es vielmehr um die Dialektik der hörbaren Welt. Das sollte eigentlich spätetstens seit Frank Bretschneiders Meilensteinen "Rand" und "Curve" klar sein.
Allerdings unterscheidet sich Alva.Notos neuestes Werk stark von Bretschneiders Arbeit - weniger, was die Sound-Auswahl angeht, vielmehr ist die Aufbereitung eine andere. Es wird nicht so ernst miniaturhaft an die Stücke herangegangen; der immerwährende Verwandlungsprozeß hat eine stark rhythmische Komponente, und schon beginnen die Knie zu wippen. Erinnerungen an "Mindmachines", die futuristischen Visionen William Gibsons, oder die Verschmelzung von Mensch/Maschine, ganz im Sinne eines digitalisiert/bionischen Organ-Systems (Adi Newton/Clock DVA), tauchen auf.
Schlag um Schlag, Click um Click schleust uns "Transform" in eine immer höherführende Spirale aus dehydrierten Minusstrichen, und die dunkelsten Sinusdrones drohen den Subwoofer endgültig aus dem Chassis zu pressen. Selten zuvor lagen Experiment und Dancefloor so nahe beinander; auf der "Staedtizism 2" wurde ja noch in die Kerbe der House-Musik geschlagen.
Zurück zu "Transform": So klare und knackige Strukturen sind auch aufgrund der unglaublichen Produktionsqualität eine Novität. Man wird in kürzester Zeit süchtig danach, der Sound stimuliert die Ganglien, und unsere Nervenenden liegen aufgrund der permanenten Reizüberflutung sowieso die ganze Zeit offen.
Das auf gängigeren Produktionen rhythmische Schnitzel-Beiwerk bildet bei Carsten Nikolai wie Frank Bretschneider das eigentlich tragende Element, genau wie atomare Teilchen Moleküle bilden. Bei den monströseren Tracks erinnert es an das legendäre Chris-Cunningham-Video zu Autechres "Second Bad Vibe", wo zu sehen war, wie ein hypertechnisches fahrzeugähnliches Konstrukt synchron zum unbarmherzigen Beat reversibles "Self Assembling" betreibt, sich in elegant kreisförmigen Bewegungen ständig zusammen- und wieder auseinanderbaut.
Auch Mille Plateaux’ neue Schule des Reduktionismus untermauert einmal mehr die Befürchtung, daß England seine Führungsrolle im Fach der experimentellen Elektronik abgegeben hat und die Hochburgen der Jetztzeit eher Berlin und Köln heißen.
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