Glasgow brennt. Schon wieder. Konfrontiert mit dem Verhältnis von qualitativem und quantitativem Output kommt der Musik-Connaisseur kaum umhin, Schottlands triste Industriemetropole als Großbritanniens neue Musikhauptstadt zu adeln. Aereogramme untermauern dies mit "A Story In White".
Also, was ist denn jetzt schon wieder los? Womit, bitte, begründet der Autor diese Lobhudelei auf eine Stadt, in der Whiskykonsum, Bordellbesuche und Selbstmordrate auch dann nicht zurückgehen, wenn es einmal drei Tage nicht regnet, wo Melancholie nicht Konzept und Suff nicht Selbstzweck ist? Mit Mogwai (siehe EVOLVER-Rezension) rechtfertigt er das, mit Belle & Sebastian und den Delgados, mit Arab Strap (siehe EVOLVER-Rezension) und Snow Patrol, auf Anfrage auch noch mit 24 anderen.
Seit ein paar Wochen auch mit Aereogramme, der neuen Band rund um Craig B, Ex-Sänger der schottischen Post-Rock-Hopefuls Ganger und sympathischster Waldschratbartträger seit Doug Martsch, der seit einigen Jahren gemeinsam mit Gitarrist Campbell McNeill und Schlagwerker Martin Scott an seinem eigenen Entwurf von gefühlsintensiver Musik (bitte nicht mit Emocore verwechseln) herumfeilt. Was Aereogramme im allgemeinen und "A Story In White" im speziellen so ergreifend macht, ist die vorherrschende Zerrissenheit, die emotionale Berg- und Talfahrt, die sich sowohl textlich als auch musikalisch durch dieses Debütalbum ziehen.
Ruhig, verhalten, reduziert gibt sich etwa "Post-Tour, Pre-Judgement" anfangs; für einen kurzen, kaum faßbaren Moment schwillt Hoffnung an, Zuversicht schaut dir zärtlich ins erschöpfte Antlitz, wird hierauf übergeführt in orchestralen Taumel und Überschwang und dreht sich letztendlich doch weg. Aus der Traum, zerplatzt die Hoffnungsblase, wahrscheinlich selbst schuld, du Arsch. Gib mir Adrenalin, gib mir Gewaltrausch. Fuck the Devil, Fuck Myself.
Wahn-Sinn nach Craig B: "I Find Trying to Go as Quiet as You Can Be Just as Powerful as Going as Heavy as You Can". Das Spiel mit Strukturen und Dynamiken zwischen den Polen laut/leise, hart/zart, (Folk-)Rock/Metal, zerbrechlich/zerbrechen wird bei Aereogramme ohne aufgesetzte Avanciertheit verarbeitet, parkt irgendwo zwischen The God Machine, Mogwai, Far und Fugazi. Gut und gerne dürfen da Lärmrammen wahlweise in Tortoise-ähnlichen Sound-Flächen ("Zionist Timing") oder Piano-Miniaturen ("Shouting For Joey") abgleiten, ohne kalkuliert daherzukommen.
"A Story In White". Eine Geschichte in Weiß, eine Geschichte der Hoffnung. Gleichermaßen eine Geschichte des Scheiterns, des Zerbrechens, von Brüchen und Ausbrüchen. Das alte, beständig wiederkehrende Lied vom emotionalen Beben, vom Gefühlsaufbrausen, vom Kampf mit inneren Dämonen: "My Hatred Is Rising, But I Hope I´m Stronger Than This" ("Hatred"), vom Nicht-aus-seiner-Haut-Können, vom Lecken der eigenen Wunden: "I´m Alright Without You Here" ("Zionist Timing") oder unverhüllter Verzweiflung: "Are you still calling me and how do I hear?" ("Descending"). Von Craig B mit einer unverhüllten Leidenschaft und Intensität dargebracht, der es vor allem an einem nicht mangelt: an Seele, an Soul. Soul nicht in der Auffassung von blutlosen Weichspül-Soul-Produktionen, eher schon in emotionaler (Seelen-)Verwandtschaft zu Will Oldham oder Chino Moreno. "A Story In White" ist in jedem Fall eines der herausragendsten und herausforderndsten Alben dieses Jahres. Und es wächst immer noch.