Stories_Peter J. Kraus: Interview
"Ist ja alles aus den Fingern gesaugt"
Wenn von Schriftstellern die Rede ist, dann meist von jungen, dynamischen Posterboys und -görls mit irgendeinem Post-Abseitigen-ismus. Daher werfen wir heute einmal einen Blick auf einen alten Sack, der einfach bloß gute Krimis schreibt: Peter J. Kraus im Gespräch mit Andreas Winterer.
29.07.2013
Als der 1941 in Wolfenbüttel geborene Peter J. Kraus ´49 mit seiner Familie in die USA ausgewandert wird, ist er deutlich zu jung, um zu wissen, wie sich der Hort der Freiheit entwickeln würde. Er versucht sein Glück als Händler, Rennfahrer und Tellerwäscher - letzteres aber, ohne Millionär zu werden. So viel zum American dream.
An einige Jobs erinnert er sich aber gern, denn die haben mit Musik zu tun: Kraus war Redakteur und Moderator für verschiedene mittelkalifornische Radiostationen, später freier Journalist für Reisethemen und Korrespondent für mehrere deutsche Sender. Er schrieb einige Sachbücher über amerikanische Musik (Rock-Highway, Route 66, Blues-Highway) und sprach, wenn das Geld mal wieder knapp war, dank seiner guten Radiostimme auch mal Werbeansagen in Kaufhäusern ein.
Journalisten und Sachbuchautoren sind bekanntlich allesamt verhinderte Schriftsteller, PJ ist da keine Ausnahme. "Schreib, wovon du etwas verstehst", lautet für solche Leute die goldene Regel. Und so handelt "Geier" von einem kalifornischen Radiomoderator, der zwischen Surfen, Bier und scharfem Chili zahlreiche Frauen beglückt. Bis er am Strand eine Leiche findet und den Zorn verstimmter Drogenköche, korrupter Ermittler und krimineller Killer auf sich zieht. "Geier" kommt an der geschriebenen Oberfläche knuffig daher. Ständig meint man, die heitere Stimme eines Rock-Moderators zu hören, der seine Biographie mit dem Hinweis versieht: "Ist nur ganz wenig gelogen." Und doch ist die Story hart und ungerecht, wie sich das für einen Krimi gehört.
In "Joint Adventure" erzählt er die Geschichte des kalifonischen Kiffers Jimmy, dem eine Ernte durch die Lappen geht. Der Grower bedient sich daher bei den Mexikanern, und die mögen das gar nicht ... Wer sich über den Drogenanbau in Nordkalifornien informieren will, braucht bloß dieses Buch zu lesen - wie stets streut Kraus seine langjährigen Orts- und Marktkenntnisse ein. Und bricht mit der verklärten Kifferromantik zugunsten einer lakonisch erzählten, bitteren Realitätsnähe.
Im vergangenen Jahr setzt Peter J. Kraus seinen Erstling mit dem selbstverlegten "Aasgeier" fort. "Self Publishing" per E-Book ist für ihn kein Problem, weil er ohnehin nicht mit allen Verlagen glücklich war. Dennoch erscheint etwa gleichzeitig "Cattolini erbt" bei Conte - mein privater Liebling. Auf den ersten Blick ist der Roman eine schnoddrig hingeschnauzte Kriminalgeschichte, die mit Hard-boiled-Klischees spielt, voll abgebrannter Figuren, denen man nur in einem Kraus-Krimi begegnen kann. Auf den zweiten Blick funktioniert er auch als Porträt einer Gesellschaft, in der die Menschen einander in die zunehmend leeren Taschen greifen. Wer nach diesem Buch nicht "Mehr Kraus!" bestellt, sollte beim schlecht übersetzen Serienmördermist bleiben.
EVOLVER: Interview über den großen Teich per Chat: Wo wären wir, wenn wir live wären?
Peter J. Kraus: Vermutlich im Deetjen´s Big Sur Inn - und wenn es Sonnabend wäre, würden wir nach Neil Young Ausschau halten, der oft vorbeifährt, auf der Harley, bis nach San Luis Obispo runter, und dann wieder hochfährt nach La Honda. Würde kaum was spielen, aber man kann immer "Harvest" auflegen.
EVOLVER: Deine Blues- und Rock-Sachbücher sind schon etwas vergilbt. Gibt´s die Welt noch, die du darin beschreibst?
Peter J. Kraus: Die meisten Dinger im "Route 66"-Buch sind noch zu besichtigen ... Die Radiosender sind vermutlich alle verschrottet, wer hört hier noch Radio? Die Route 66, die 1997 nicht mehr sehr angesehen war, weil nur verrückte Europäer dort herumfuhren, hat inzwischen auch bei Einheimischen ein gewisses Cachet gewonnen. "Historic Route 66" in The History of the Greatest Country in the World, das will schon was heißen. Da hat man sich an die alte zweispurige Straße erinnern, hat verschämt neue (alte) Einkommensquellen entdeckt, die Route 66 aber nicht zum Disneyland verkommen lassen.
EVOLVER: Deinen Romanerstling "Geier" hat man dir sicher, wie üblich, aus der Hand gerissen.
Peter J. Kraus: Ein paar befreundete deutsche (Berliner) Verleger haben ihn auf netteste Weise abgelehnt ("... und komm mir nie wieder mit so einem Scheißdreck!"). Also hab´ ich ihn völlig überarbeitet, habe ihm noch ein paar Typen beigegeben, die vorher nicht drin waren, habe im Prinzip das alte Manuskript verworfen und ein besseres geschrieben. Man bedenke, daß ich das erste Ding noch mit meinem alten 286er mit DOS angefangen habe, so um 1992 herum, schätze ich mal.
EVOLVER: Warum hast du den "Geier" fortgesetzt?
Peter J. Kraus: Weil der surfende Radiomoderator mein Zwilling ist. Der kriegt immer die Haue, die ich nicht bekommen habe, davon abgesehen kenne ich ihn intim. "Aasgeier" handelt in und um Pismo, Ojai, Santa Barbara, Cambria, Mojave, dem California Delta am Sacramento River - alles Stationen meines Radiomoderatoren-Werdegangs. Write what you know - und nach 25jähriger kalifornischer Moderatorenkarriere kenne ich diesen miesen Teil des entertainment business wie meine Westentasche (wenn ich eine hätte). Und die oft zweifelhaften Typen, die ihn bevölkern, die kenne ich auch.
EVOLVER: Überrascht war ich von deiner Darstellung des Drogengeschäfts in Kalifornien. Ist das wirklich so ein Wirtschaftsfaktor?
Peter J. Kraus: "Joint [Blunt, Spliff, Roach, Fatty] Adventure" ist, wie jede Geschichte, in gewissem Maß autobiographisch; von einem, der an der Westküste von 1982 an etwa zwölf Jahre lang als Reggae-Spezialist im FM-Radio von Santa Barbara bekannt war.
Kaliforniens wertvollste Ernte ist seit Jahrzehnten Cannabis. Punkt. Und daß die Sheriffs jedes Jahr sehr medientaugliche Razzien unternehmen, ist klar. Mit Hubschraubern wird da eingeflogen, Kompanien Grünuniformierter hüpfen raus und hauen mit Macheten die übermannshohen Pflanzen ab, die dann abgebrannt werden (Kontakt-High!), und alles wird aufgezeichnet und kommt im Fernsehen. Meist Ende September, weil Anfang November doch Wahl ist, und unsere Sheriffs Amtsperioden von vier Jahren haben, also immer wiedergewählt werden müssen.
Die Menge, die abgehackt und verbrannt wird, ist minimal. Unsere riesigen naturgeschützten Wälder (google mal Los Padres National Forest), meist auf schroffem Küstengebirge, bieten solch schicke versteckte Plätzchen, daß ganze Generationen vom Cannabisanbau leben - aber seit vor etwa 20 Jahren mexikanische Drogenbanden zunehmend den kalifornischen Anbau an sich gerissen haben, wird geschossen, werden Fallen gestellt, ist das ganze lockere Busineß zu einem lebensgefährlichen Erwerbszweig geworden. Man muß nun, wie Jimmy in "Joint Adventure" herausfindet, verdammt vorsichtig sein.
EVOLVER: An deinem Zeug gefällt mir besonders, daß es stets heiter und sonnig, aber auch bitter und ernst ist.
Peter J. Kraus: Der Autor ist sich der Divergenz zwischen seiner sonstigen Sonnigkeit und dem düsteren Klima seines teilautobiographischen Werks bewußt. Ging nicht anders. Der Anbau ist heutzutage gefährlich, und solche Pennertypen wie der Rasta Jimmy sind viel zu blauäugig fürs Busineß. Ist ja alles aus den Fingern gesaugt, aber denkbar ist eine Situation wie die geschilderte durchaus: Sheriff, Richter, County-Verwaltung und ein paar Investoren arbeiten zusammen, weil der Gewinn in keinem Verhältnis zum Aufwand steht. Wie gesagt, alles fiktiv. Alles.
Unsere mexikanischen Gast-Growers sind erst seit einem Jahrzehnt richtig gefährlich. Früher haben sie sich einfach nicht erwischen lassen. Oder sie haben die eine oder andere Mannschaft, meist aus ärmlichsten Gegenden wie Michoacán importiert, einfach hochgehen lassen. Aber weil unsere ganjageilen Kalifornier so viel klauen mußten, haben die ihre Leute bewaffnet und echt harte Burschen als Aufseher mitgeschickt. Da fing das Geballere an, und es wurde immer schlimmer. Auch ein Grund für die nötige Entkriminalisierung des Krauts.
EVOLVER: Extrem junge Autoren wie du mißt man ja gerne an klassischen oder erfolgreichen Vorbildern.
Peter J. Kraus: Als hocherfolgreicher Jungautor war ich verblüfft, nicht nur einmal, sondern gleich zweimal mit Pynchon verglichen worden zu sein - einmal sogar von einem veritablen Literaturfachmann. Lustig fand ich die Absage einer Großverlagslektorin, die damit begründet wurde, daß ich "wie Janet Evanovich schreiben" würde - die ich damals (2003) nicht kannte, inzwischen aber sehr schätze. Und mit T. C. Boyle wurde ich auch verglichen.
EVOLVER: Echt? Ich schlaf´ bei dem ein.
Peter J. Kraus: Da geht´s mir wie dir. Ich habe bisher nur ein Buch von ihm durchlesen können, dieses Hippieding, das in Alaska spielt. Der Rest war ein solch grausiger, pompöser Mist, daß ich ihn nach dem dritten oder vierten Kapitel weggelegt habe. Aber eine Zehn-Millionen-Dollar-Bude hat er ... und bauchpinseln tut der Vergleich trotzdem.
EVOLVER: Was ist mit Vic Cattolini, dem saufenden Detektiv, der in der Kneipe haust?
Peter J. Kraus: Cattolini ist aus dem Hintern gezogen. Allerdings steckt da auch einiges an Erfahrung drin - ich hab´ mal furchtbar gesoffen.
Als ich meine Schreiberei, Radiomacherei und sonstiges Brotloses so um 2001 mit einem flotten Kamerahandel auf eBay am Leben erhielt, bin ich von zu Hause aus fast jeden Nachmittag zur Post an der Ecke gelaufen. Unser Nachbarschafts-Obdachloser trieb sich immer in der Nähe des Donut-Ladens herum, und ich grüßte ihn immer freundlich, er mich manchmal auch, meist aber schaute er mich nur böse an. Der hatte einen Tick, der mir gefiel: Zwischen Donut-Shop und Liquor-Store stand so ein riesiger, übermannshoher Bargeldautomat von irgendeiner Bank. Der hatte die übliche Tastatur, einen grünleuchtenden Bildschirm und ratterte jeden Geldschein aus seinem Reservoir in Greifarme, die das Bündel dann durch den Schlitz steckten. Der Obdachlose war von dem Automaten so angetan, daß er oft in fünf Metern Entfernung stand und zuguckte, wenn mal wieder einer Geld holte. Und wenn er an dem Automaten vorbeiging, salutierte er. Zackig, im Gehen. Arm hoch, gestreckte Hand an die Stirn. Manchmal stand er auch nur davor und sprach mit dem Automaten. Verbeugte sich gelegentlich, wenn er gehen wollte. Und im Vorbeigehen salutierte er immer.
Der ist drin: Porky, der steinreiche Penner.
EVOLVER: Auf Facebook rufst du ständig zu Petitionen auf. Hast du einen Zorn auf die Regierung?
Peter J. Kraus: Nö, keinen Zorn: Resignation vielleicht, Enttäuschung über unseren Change-Präsidenten, der keiner ist (als "Bush II" bezeichnet ihn ein Freund). Aber sonst eher Selbstzufriedenheit und eine Wurschtigkeit, die vermutlich die Haltung meiner deutschen Landsleute im Jahr 1938 widerspiegelt.
EVOLVER: Könnte Palin je bei euch Präsidentin werden?
Peter J. Kraus: Palin Präsidentin? Locker. Bei diesen Idioten, die hier wählen gehen? Klar.
EVOLVER: Machst du noch Radio?
Peter J. Kraus: Mein vorletzter Radio-Gig in Kalifornien war 1988 bis 1996 bei einem freeform-FM-Sender (also einem, der ohne Playlist lief, der es seinem on air talent überließ, Sendungen in eigener Regie zu gestalten - wir waren nur angehalten, die sechs oder acht Minuten Werbung pro Stunde auch vertragsgemäß einzubauen), dessen Personalzusammensetzung einem Hippiefestival glich. Einer der Herren nannte sich - was auch? - Justin Case. Und der war immer so locker, daß er seinen Sendungsbeginn nach Sonnenstand einschätzte. Der war nach mir dran, und da ich ein ausgesprochen analfixierter Deutscher bin, dem Pünktlichkeit über alles geht, und er auf meine vielen Nörgeleien überhaupt nicht einging, hab´ ich mir angewöhnt, ihn als "Mebbe Sometime" oder "Onmy Way" anzusagen.
"All right, folks, today´s Bluebeat is almost over, and I know you´re just waiting for some fine Sixties rock and folk, so be sure to stay tuned to our incomparable Mebbe Sometime, who´ll guide you through the afternoon ... if he can find the studio today."
EVOLVER: Kommt noch was? Ein Cattolini? Ein Geier? Was anderes? Oder hast du die Schnauze voll?
Peter J. Kraus: Es gibt eine Kurzgeschichtensammlung namens "Blues & Pistolen", die aber nirgendwo zu kriegen ist. Außerdem schreibe ich im Moment zwei Bücher gleichzeitig. Das eine heißt (vorläufig) "Ruhe sanft in Hollywood", das direkt anschließende "Calexico". Die gleichen Typen, zwei etwas verschiedene Geschichten, mit Polizeikorruption (ein altes Problem in Los Angeles) und mit Drogen an der kalifornisch-mexikanischen Grenze, mit Augenmerk auf die Grenzstädte Calexico und Mexicali. Sollten im September fertig sein.
EVOLVER: Ich bitte darum. Was liest du?
Peter J. Kraus: Als Knabe in Los Angeles schon die alten Meister, die damals junge Pulp-Lieferanten waren. Als ich in Santa Barbara wohnte, las ich die Lew-Archer-Novels wieder, weil der Autor keine halbe Meile von mir entfernt wohnte und ich ihn gelegentlich in der Stadtbibliothek sah. Zur Zeit alles von Ross Thomas, Olen Steinhauer, Joe R. Lansdale (mit dem ich fleißig korrespondiere), James Lee Burke. Außerdem den besagten Pynchon, Douglas Adams, Arthur C. Clarke, Terry Pratchett, Camilleri und Leon.
EVOLVER: Bist Du Kiffer, Dealer, sonstwie kriminell?
Peter J. Kraus: Als einer der vier oder fünf kalifornischen Reggae-Moderatoren (im privaten Werberadio) hat man einen gewissen Ruf. Eine gesellschaftliche Zwangsjacke, die mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun hat. Daß man dealt, zum Beispiel. Daß man ständig kifft - mein letzter Joint war um 1979 herum, mein letzter Schluck Alkohol 1991. Und ich bin ein treuer Ehemann. Aber je mehr man lachend abstreitet, umso fester sitzt die Überzeugung der anderen.
Andreas Winterer
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