Stories_Offener Brief an Hans-Willi Weis

Eine Schlampe namens Sprache

Hauptberufliche Philosophen haben es schwer: Wenn jeder sie versteht, nimmt sie keiner mehr ernst. Das fürchten sie zumindest - und schreiben daher Aufsätze, die die Menschensprache weit hinter sich zurücklassen. Guido Rohm ist hinter das Geheimnis eines dieser jenseitigen Intellektuellen gekommen.    02.12.2009

Wittgenstein hatte mit seinen drei Behauptungen recht: Wenn man immer nach Westen segelt, kommt man irgendwann nach Indien. Die Erde dreht sich um die Sonne. Und es gibt keine philosophischen Probleme, sondern nur Sprachprobleme. Ja ja, die Sprache, dieses alte Miststück. Wie schrieb schon Jakob Nietzsche, Schaffner und Gelegenheitsromancier aus Braunschweig: "Wenn du zur Sprache gehst, dann vergiß die Peitsche nicht."

Die Sprache. Man müht sich um sie - und trotzdem: Ehe man sich´s versieht, ist das undankbare Stück wieder mal mit unserem Verstand durchgebrannt. Dabei können dann die merkwürdigsten Textkinder rauskommen. Bälger, die keiner wollte. Und trotzdem sind sie in der Welt. Ein solches Kind möchte ich Ihnen heute vorstellen. Hier finden Sie es: http://www.textem.de/1901.0.html

 

Da man sich aber auch um jedes Kind mühen sollte, setzte ich mich vor meinen Computer und hackte folgenden offenen Brief an den Vater in die Tastatur:

 

++++++++++

 

Lieber Hans-Willi Weis,

 

ich bekenne mich schuldig. Und dies voll und ganz. Ohne Einschränkungen. Ich senke mein Haupt, blicke betreten zu Boden, ich, der vielleicht der Erde zu nahe steht, um den Himmel verstehen zu können, trete voller Scham vor Ihre sicherlich meist zergrübelte Stirn, um einzugestehen: Ich habe kein Wort Ihres vermutlich brillanten Sloterdijk-Aufsatzes verstanden.

Ich schrieb es bereits, und doch muß ich es wiederholen: Die Schuld liegt voll und ganz bei mir, der ich mich zu viel und zu oft mit schlechter Lektüre vollstopfe. (Daher wahrscheinlich die Hirnblähungen.) Dennoch war es mir bisher möglich, die meisten Bücher und Texte meiner bescheidenen Heimbibliothek zumindest annähernd zu entschlüsseln und zu verstehen. Selbst bei einem Heidegger interpretierte ich mir gewaltvoll das eine oder andere bei, kettete es an die Innenseiten meiner Ohren und führte es eine Weile spazieren. Meist gab ich die Gedanken aber wieder frei, weil sie ja frei sein wollen, wie ich hin und wieder vor mich hinsumme. Und dann traten Sie in mein Leben. Besser gesagt: Ihr Text!

Und es geschah ...

Ich mußte kapitulieren. Vollkommen und endgültig. Derart getroffen schlenderte ich traurig und gedemütigt meine Bücherregale ab, mich schon an den Gedanken gewöhnend, all diese Bücher mit einem ekelverzerrten Gesicht von mir in die Seine zu werfen. Leider war ich noch nie in Paris. Und ich werde in der nächsten Zeit auch nicht dorthin kommen.

Ich grübelte. Zermarterte mir das Hirn. All die vielen verlorenen Lesestunden, fuhr es mir durch den Kopf. Ich raufte mir die gelgestärkten Haare. Ich dachte: Du Tor, du verstehst ja nicht einmal ein paar wenige Worte in einem Internet-Blättchen. Und dann geschah es. Dann geschah das Wunder,  das mir die Augen öffnen sollte.

Und es begab sich ...

Meine Augen wanderten unbekümmert, da nun heimatlos, über die Rücken zweier Romane von Tom Torn, um sich dann plötzlich bei Kurt Schwitters zu verhaken. Und jetzt ist mir alles klar. Jetzt erscheint mir alles in einem hellen verständlichen Licht.

Daher möchte ich diesen Brief noch einmal eröffnen.

 

++++++++++

 

Lieber Hans-Willi Weis,

 

zunächst einmal möchte ich Ihnen zu ihrem Sloterdijk-Aufsatz gratulieren, diesem, ich komme nicht umhin, es in den öffentlichen Raum zu brüllen, damit es auch dem letzten halbtauben Ohr vernehmbar ist, außerordentlich poetischen Text, der mich in seinen besten Momenten an die großen Textcollagen eines Kurt Schwitters erinnerte. Sie sind ein Wiederkehrer. Ein Dadaist, ein Surrealist. Ich rufe: Bäh, wer war schon Andre Breton? Kommt herbei, ihr Leute, hier könnt ihr einen Weis lesen. Ich danke Ihnen.

Zwar war mir Ihr Name bisher nicht geläufig, von nun an werde ich ihn aber stets in einem Atemzug mit Künstlern wie William Burroughs und Ed Harlan nennen müssen.

Sie müssen sich meine Aufregung vorstellen. Meine Augen tippelten aufgeregt von Wort zu Wort, sprangen von Buchstabenfels zu Buchstabenfels, um so dieses schier endlose Meer überqueren zu können. Leider, ich muß es eingestehen, soff ich unterwegs gnadenlos ab und diene nun einem Gedankenhai als Futter. Unglücke geschehen. Was soll man da machen? Aber all dies soll nicht meine Freude an diesem dadaistischen Meisterwerk schmälern. Ihren Text, der mich an die Filme von David Lynch erinnert, kann man nur als Meisterwerk bezeichnen. Diese Mischung aus Paul Celan und Paul Breitner. Grandios. Bravissimo.

Was will man da mit einem Sloterdijk? Den versteht man ja. Schande über ihn. Dieser Kretin. Dieser Knilch. Schreibt völlig lesbaren Mist.

Und so möchte ich diesen kleinen bescheidenen Brief mit einem Zitat aus Ihrem Text enden lassen:

 

Dass das Kurativ hierfür ausgerechnet in einem Virtuosen- und Artistenwettlauf liegen soll, ist ebenso wenig überzeugend, wie die subtile Schuldzuweisung an "die Vielen", dass ihre "Verweigerung die Spannung (verschärft), die über dem humanen Kollektiv liegt" - jene schon von Rilke perhorreszierten "Leibes- und Lebensschwächlinge" mit der "gewohnten Verwahrlosung", gegen die er die "Trainerautorität" seiner Steigerungskünstler (diese haben "mit einem Gott trainiert") aufbietet. - Kurz, ein anthropologisches Selbstverbesserungsprojekt nach dem Strickmuster Sloterdijks geht das Risiko ein, dass es statt der intendierten Kehrtwendung lediglich auf ein Mehr desselben hinausläuft.

 

Ich verstehe keine Silbe. Aber es klingt schön. Vielen Dank für diese neue und wunderschöne Erfahrung, für diese brachial-surrealistischen Poesie aus einem Land namens Übermorgen.

 

Mit besten Grüßen

 

Ihr

Guido Rohm

Kommentare_

M. Strö - 03.12.2009 : 13.20
Hallo Herr Rohm!

Eine wirklich interessante Analyse des Weis-Werkes. Abgesehen davon, dass sie mir die Mittagspause versüßte, kann ich sie nachvollziehen, auch wenn der Blickwinkel so gar nicht dem meinem entspricht.

Das zugrunde liegende Werk ging ich anders an. Der gewillte Leser kann die Sache auch mit dem mathematischen Auge betrachten. Man nehme sich dazu einen Absatz und zähle die ersten 170 Worte ab. Nun zähle man die nächsten Worte bis zum nun erscheinen Satzabschluss. Diese Zahl der Worte entspricht den Sätzen, die man überspringen muss, um dem Teilsatz zu finden, der die Information des Absatzes enthält... Glaube ich.
Wenn dieser Teilsatz keine verwertbare Information enthält - Nein! Ich wage es nicht, die Folge davon zu formulieren.

Der Herr Weis ist ein Akrobat. Er kann gleichzeitig Jonglieren, Latte macchiato hüpfend kredenzen, das Auto einparken und seinen Namen ohne Absetzer in den Schnee - aber lassen wir das.
Ich lernte mal: Ein Satz eine Information. Wie ich mich doch irren kann...

gegrüßt!
Daniel Krcal - 09.12.2009 : 07.47
Die Frage ist vielmehr: was will uns Herr Weis sagen? Dass man Philosophen, die in großen Zügen denken, aus Angst vor falschen Interpretationen in ein parteipolitisches Korsett zwingen sollte? Damit reiht er sich freilich in die Reihe der unzähligen Affirmationsparanoiker, die die öffentliche politische Debatte dominieren.
Das Problem ist nur: Herr Weis sagt nichts, was nicht schon gesagt worden wäre, und schrammt damit hoffnungslos an Sloterdijk vorbei. Und genau in diesem Momentum liegt vielleicht der Schlüssel zu seinem Text. Die Lust in einer sloterdijk'schen Sprache den Meister selbst zu demontieren, was, ob der überragenden literarischen Fähigkeiten Sloterdijks, in einer schattenhaften Parodie ausarten kann - einer abschließenden Meinungsbildung möchte ich mich enthalten.
Man kann an dieser Stelle jedem eine Auseinandersetzung mit Sloterdijks Theorem latenter und unter „sämtlichen psychosemantischen und kulturdynamischen Aspekten“ zu lesenden Vertikalspannungen nur ans Herz legen. Schon allein aus der entwicklungspsychologischen Prägung heraus postuliert dieser die Entwicklung eines „prä-symbolischen und überräumlichen Oben“, und bietet somit ein brauchbares Werkzeug zur Erklärung seines eigenen Kritikers. Gemäß seinem intrinsischen Koordinatensystem blickt der Mensch stets hinauf, zunächst zur Mutter und Vater, später, als Philosoph mittlerer Ebene zu Sloterdijk, dieser wiederum zu Nietzsche, ad Infinitum. Aber, und hier möchte Herrn Sloterdijk selbst auf Herrn Weis antworten lassen, das Kind beginnt schon bald anhand von Turmbauspielen mit seinen eigenen vertikalen psychomotorischen Übungen. „Dann kann es seine Bauwerke umwerfen und die Erfahrung machen: Den selbstgemachten Konstrukten bleibt man überlegen. Es genügt zu beobachten, wie das obere Klötzchen nach dem Umsturz wieder da liegt, wo es herkam. Das stiftet eine Erfahrung primitiver Souveränität, die bis in die Kritikspiele der Erwachsenen fortgebildet wird – jede Dekonstruktion ist ein Türmchen-Spiel mit den Klassikern.“
Womit ich mich freilich zu meinen eigenen Türmchenspielen bekenne und reumütig zugebe, noch viel mehr hinaufzublicken, als Herr Weis; ja, auch ich spiele, wie gerade bewiesen, mit meinen Klassikern. Man kann sagen, was man will: das Gefühl einer "primitiven Souveränität" ist essentiell und ich möchte es nicht missen. Ich stehe dazu.

Und bevor ich noch ins Relativieren komme, bedanke ich mich für eine Runde vergnüglicher um- und angewandter Philosophie und mache ich lieber Feyerabend …


mit besten Grüßen,
Daniel Krcal

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