aus: Rokko´s Adventures #12
(erschienen im Dezember 2012)
Text: Dr. Nachtstrom
Illustration: van Deigo
Im vierten und letzten Teil des Briefwechsels zwischen Doktor Nachtstrom und Melchior v.·. Wahnstein über okkulte Schnüffler dreht sich (fast) alles um John Constantine. 07.10.2013
Rokko´s Adventures ist - so steht es im Impressum - eine "unabhängige, überparteiliche sowie übermenschliche Publikation" und "setzt sich mit Leben, Kunst, Musik und Literatur auseinander". Der EVOLVER präsentiert (mit freundlicher Genehmigung) in regelmäßigen Abständen ausgewählte Beiträge.
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Team Rokko schreckt wie immer vor nichts zurück und heftet sich an die Fersen einer viel zu wenig beachteten Genre-Figur: Ein Briefwechsel zwischen Doktor Nachtstrom und Melchior v.·. Wahnstein über den Werdegang des "Occult Detective". Aber lesen Sie selbst. Zum ersten Teil.
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Sehr verehrter Herr v.·. Wahnstein!
Verzeihen Sie, daß meine Antwort Sie so spät erreicht; wichtige Reisen haben mich davon abgehalten, mich eingehend mit unserer Korrespondenz zu beschäftigen.
Hanns Heinz Ewers wäre meiner bescheidenen Einschätzung nach wirklich gut als Autor eines okkulten Detektivs geeignet gewesen. Die Werke, die ich in (kostbaren Originalausgaben) von ihm besitze ("Alraune" zum Beispiel) legen dies auf jeden Fall nahe. Aber es hat eben nicht sein sollen. Überhaupt scheint mir Dr. Taverner sowieso den Höhe- als sowohl auch Endpunkt des von uns so verehrten Genres zu markieren; literarische Versuche dazu gab es erst wieder in jüngster Zeit - aber ich will nicht vorgreifen.
Anmerken möchte ich an dieser Stelle, daß in den 1970er Jahren ja in Deutschland sehr wohl eine unübersehbare Kultur des okkultiven Detektivs herrschte, nur eben nicht in literarischen Höhen, sondern eher in den "Niederungen" des Heftromans. Man erinnere sich an "Dan Shocker" alias Jürgen Grasmück und seine Hauptpersonen Larry Brent und (mit Einschränkungen) Björn Hellmark in der Serie Macabros - unzählige Abenteuer gab es da! Nicht zu vergessen natürlich Professor Zamorra, Der Hexer und, der populärste von allen, John Sinclair! Selbstverständlich sind diese Hefte heute eher als Altpapier zu gebrauchen, aber in einem gewissen Sinne war das ja auch "Pulp” nach amerikanischem Vorbild. So formalisiert und klischeehaft die entworfenen "Dämonenwelten” der deutschen Vielschreiber auch waren, in dem von uns diskutierten Kontext haben die höllischen Heerscharen als Gegner des okkulten Detektivs jedenfalls ihre absolute Berechtigung.
Ich lese gerade, daß Sie auf "Lucien" und The Dreaming anspielen, ich bin mit den Werken von Neil Gaiman vertraut. Ich glaube, das wäre ein guter Zeitpunkt, einmal über den okkulten Detektiv in der Comic-Literatur zu sprechen - mir fällt an dieser Stelle natürlich als erstes John Constantine ein. Vielleicht möchten Sie mir ja abschließend noch etwaiges dazu erzählen?
Mit Vorfreude auf Ihre Antwort verbleibe ich,
Ihr Dr. Nachtstrom
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Sehr geehrter Herr Dr. Nachtstrom,
auch ich war in den vergangenen Tagen damit beschäftigt, neue internationale Kontakte zu knüpfen, und habe vollstes Verständnis für Verzögerungen!
Ja, es stimmt natürlich, nach einigen Jahrzehnten begriffen auch deutschsprachige Autoren das Potential der Supernatural Fiction – doch als sich Occult Detectives hierzulande erstmals einen Namen machten, kam aus dem anglikanischen Raum schon wieder der nächste Impuls, der den Ermittlern des Übersinnlichen vollkommen neues Terrain eröffnete. Der schon erwähnte Alan Moore, seinerseits ebenfalls praktizierender Magier, erschuf mit John Constantine zwar nicht den ersten, bis heute aber sicherlich einflußreichsten Occult Detective der Comic-Welt. Er hatte sein Debüt 1985 als Nebenfigur in Swamp Thing, errang aber trotz oder gerade wegen seines üblen Benehmens (er ist ein zynischer kettenrauchender Bastard aus Liverpool, der sich mehr auf seine Unverschämtheit und Trickbetrügereien verläßt als auf seine - wiewohl beachtlichen - magischen Fähigkeiten) bald eine solche Popularität, daß DC Comics das "erwachsene" Imprint Vertigo gründete, um eine eigene Serie herauszugeben, die ihm gerecht wurde: Hellblazer.
Viele versuchten sich seit 1988 an Constantine (die Reihe soll leider 2013 eingestellt werden, wie man vernimmt), und meiner Ansicht nach ragen unter ihnen zwei in besonderem Maß heraus: Jamie Delano, der erste Hellblazer-Autor, und Mike Carey, dessen Run nichts an Düsternis und Kompromißlosigkeit zu wünschen übrig läßt. Der brillante Carey kreierte übrigens einen eigenen modernen Occult Detective, den wunderbaren Felix Castor (der im Gegensatz zu einer so mediokren Gestalt wie etwa Harry Dresden von Jim Butcher ein absolut würdiger Vertreter seiner Zunft ist)!
Doch zurück zu den Comics: John Constantine verhalf seinen Kollegen also zu ungeahnten Möglichkeiten auf dem Feld der sequentiellen Kunst; er ist deshalb aber nicht der erste Occult Detective der Comics. Man nehme nur die nach ihrem jeweils unverzichtbaren Kleidungsstück benannte Trenchcoat Brigade, die neben ihm Mister E, den Phantom Stranger und Dr. Occult umfaßt. Sie treten 1991 erstmals gemeinsam in Neil Gaimans Meisterwerk The Books of Magic auf; Dr. Occult beispielsweise erblickte aber schon 1935 das Licht der Welt - und zwar als Schöpfung von keinen Geringeren als Jerry Siegel und Joe Shuster, den Vätern von Superman! Und Constantines Äquivalent im Marvel-Universum, wenn man das so sagen kann, ist der von Stan Lee und Steve Ditko ersonnene Doctor Strange, dessen Abenteuer man seit dem Jahr 1963 verfolgen kann.
Nicht vergessen darf man den ebenfalls schon genannten Sgt. Major William Gravel von Warren Ellis und zwei Teams von Grant Morrison (seines Zeichens übrigens auch unverhohlener Chaosmagier): die Doom Patrol und die Invisibles. Sie mögen sich, um es einmal vorsichtig zu formulieren, nicht ausschließlich innerhalb der Occult Detective-Genregrenzen bewegen, nehmen aber doch immer wieder Bezug auf das Sujet. Dafür ist der vielleicht sympathischste Vertreter dieses Typs ein waschechter, schnörkelloser Ermittler vom alten Schlag: natürlich - last, but not least - Mike Mignolas legendärer Hellboy. Auf die etlichen Anspielungen in dieser Reihe und ihrem Spin-off, dem kongenialen B.P.R.D. (Bureau for Paranormal Research and Defense) auf klassische Pulp-Helden, Mythologien aus aller Welt, Urban Legends und okkulte Traditionen eingehen zu wollen, würde hier bei weitem den Rahmen sprengen ... Es sei damit nur angedeutet, wieviel Wissen und Freude Mignola und sein Team bei Dark Horse Comics in dieses Werk stecken!
Überhaupt scheinen Referenzen auf den Gesamtkorpus übersinnlicher Literatur unentbehrlich für heutige Autoren zu sein, das merkt man auch bei anderen Occult Detectives in der modernen Belletristik: Seien es die Wächter der Nacht von Sergej Lukianenko, die geekigen Laundry Files von Charles Stross (die das Genre mit der Welt der Geheimdienste verknüpfen) oder die F.S.R.C. (Fundamentalist and Sect-Related Crime Unit) im sensationellen Roman Kraken von China Miéville. Und es spricht ja auch nichts gegen das Spiel mit klugen Verweisen, solange die Geschichten und Charaktere weiterhin attraktiv bleiben und uns in den Bann des Mysteriösen zu ziehen vermögen. Daran versuche ich mich mit der Groschenheftreihe OMEN ja in aller Bescheidenheit auch selbst, indem ich über die Aktivitäten der Grazer Organisation PANTHERION berichte, die paranormale Vorfälle in der Steiermark untersucht - jenem Land, in dem die Occult Detectives ihren Ursprung haben.
Dieser Aufgabe werde ich mich nun wohl wieder zuwenden. Ich danke Ihnen für unseren Austausch und hoffe, Ihnen gedient zu haben.
Mit vorzüglicher Hochachtung,
Ihr Melchior v.·. Wahnstein
aus: Rokko´s Adventures #12
(erschienen im Dezember 2012)
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Illustration: van Deigo
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