aus: Rokko´s Adventures #12
(erschienen im Dezember 2012)
Text: Dr. Nachtstrom
Illustration: van Deigo
Das literarische Genre der "Occult Detective Fiction" stellt einen eher marginalen Anteil der Horror und Mystery-Romane, -Novellen und -Geschichten der vergangenen 200 Jahre dar. Die Suche danach zahlt sich trotzdem aus. Aber lesen Sie selbst. 23.09.2013
Rokko´s Adventures ist - so steht es im Impressum - eine "unabhängige, überparteiliche sowie übermenschliche Publikation" und "setzt sich mit Leben, Kunst, Musik und Literatur auseinander". Der EVOLVER präsentiert (mit freundlicher Genehmigung) in regelmäßigen Abständen ausgewählte Beiträge.
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Team Rokko schreckt wie immer vor nichts zurück und heftet sich an die Fersen einer viel zu wenig beachteten Genre-Figur: Ein Briefwechsel zwischen Doktor Nachtstrom und Melchior v.·. Wahnstein über den Werdegang des "Occult Detective". Zum ersten Teil.
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Sehr verehrter Herr v.·. Wahnstein!
Ich bin Ihnen zutiefst für Ihre ausführliche Antwort verbunden und danke Ihnen besonders für Ihre Informationen betreffs van Helsing, die mir bisher unbekannt waren. Ich darf meinerseits auf zwei weitere "okkulte Detektive" hinweisen, von denen zumindest der erstere heute gleich obskur zu sein scheint wie sein "Erfinder", Major Hesketh Vernon Hesketh-Prichard. Dieser waschechte Brite war Großwildjäger, hochdekorierter Soldat, Cricket-Profi und eben auch Verfasser diverser Mystery-Stories, von denen einige rund um den "Psychological Detective" Flaxman Low kurz vor der Jahrhundertwende in einer Publikation namens "Pearson´s Magazine" abgedruckt wurden; ich hatte Einblick in einer dieser Geschichten und muß sagen, Flaxman Low ist heutzutage wirklich zu Recht vergessen. Ganz anders verhält es sich mit Moris Klaw, einer literarischen Erfindung des legendären Sax Rohmer (eigentlich Arthur Henry Sarsfield Ward), der so wie seine Zeitgenossen Algernon Blackwood und Arthur Machen Mitglied im Hermetic Order of the Golden Dawn war und dessen Sachbuch über Okkultismus, "The Romance of Sorcery", angeblich sogar den großen Lovecraft in dessen Werk beeinflußt haben soll.
Warum ich doch zögere, Ihnen Moris Klaw als "okkulten Detektiv” zu präsentieren, liegt an der Schwierigkeit, daß der gute Mann zwar mit okkulten Methoden diverse Fälle untersucht, diese jedoch keine okkulte Komponente aufweisen. Also wäre er eigentlich eher ein "Psychic Detective" als ein "Occult Detective" (zum Beispiel im Sinne eines Hellsehers, der Verbrecher "entlarvt”). Ich habe Klaw hier trotzdem inkludiert, weil seine Vorgehensweise zur Aufklärung von Diebstählen oder Morden et cetera so herrlich obskur ist: Er pflegt nämlich am Ort des Verbrechens zu nächtigen, und eine mysteriöse "Odin-Kraft" brennt dann die Straftat in seinem Hirn auf eine Art "Photoplatte", also so eine Art "Gedankenphotographie". Das ist aber leider, muß ich ehrlich zugeben, schon das Spektakulärste an den Fällen des Moris Klaw.
Zumindest zeitlich (wenn auch nicht im selben Magazin erschienen) war Moris Klaw ja ein Kollege von Thomas Carnacki, einer Figur des damals ebenso wie Sax Rohmer populären "Mystery-Autors” William Hope Hodgson. Aber ich schätze einmal, Thomas Carnacki dürfte auch in Ihre erfahrenen Augen ein wenig Glanz bringen, oder?
In freudiger Erwartung ihrer nächsten Korrespondenz,
Ihr Dr. Nachtstrom
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Sehr geehrter Herr Dr. Nachtstrom,
ich hätte nichts anderes von Ihnen erwartet als auch noch die dubiosesten Vertreter des Occult-Detective-Genres auszugraben; nicht umsonst eilt Ihnen ja der Ruf des gewieften Rechercheurs voraus. Und Sie haben meiner Meinung nach völlig recht damit, Flaxman Low und in gewisser Hinsicht auch Moris Klaw als Ausnahmen zu deklarieren - sind sie doch, mit Verlaub gesagt, recht flach gezeichnet beziehungsweise ihre Fertigkeiten begrenzt, vor allem, wenn man bedenkt, welche Charaktere fast gleichzeitig mit ihnen die literarische Bühne betraten.
Da wäre zunächst John Silence (1908) des von Ihnen schon angesprochenen Algernon Henry Blackwood. Der war übrigens nicht nur Mitglied im Golden Dawn, sondern auch im renommierten Ghost Club und beschäftigte sich intensiv mit Rosenkreuzertum, Buddhismus und der Hermetischen Kabbala. Seine Studien sind offensichtlich in die Fälle seines Dr. Silence eingeflossen, der - im Gegensatz zu den meisten anderen Occult Detectives - als äußerst höflich, menschenfreundlich und aufrichtig gutherzig beschrieben wird. Natürlich verfügt er auch über eine umfassende humanistisch-psychologische und esoterische Bildung und stellt seine Fähigkeiten, die er sich in mehreren Jahren rätselhafter Abwesenheit von der Gesellschaft erworben hat, ebendieser zur Verfügung.
Doch nicht nur in dieser Hinsicht heben sich die Geschichten um John Silence von seinen Zunftgenossen ab. Vor allem stilistisch sind sie, wie man das von Blackwood kennt, überaus geschliffen und elegant ... was manchmal, ich bedaure es, das sagen zu müssen, die Lesefreude dämpfen kann. Der Autor opfert den spannenden Handlungsverlauf hin und wieder großartigen, jedoch extrem ausgedehnten Stimmungsschilderungen, die zwar poetisch absolut überzeugen, doch heutigen Lesegewohnheiten einiges an Geduld abverlangen - vergleichbar etwa mit seinen Meisterwerken Die Weiden oder Der Wendigo. Dennoch sind die Erzählungen außerordentlich abwechslungsreich (neben der okkulten Fachkenntnis merkt man auch immer wieder Blackwoods Leidenschaft fürs Wandern und Abenteuer in der freien Natur) und vermitteln eine optimistische Grundstimmung.
Thomas Carnacki ist da in vielerlei Hinsicht das genaue Gegenteil. William Hope Hodgson veröffentlichte die Geschichten um ihn in Magazinen wie The Idler, für das auch Größen wie H. G. Wells, Rudyard Kipling und Mark Twain schrieben, bis Carnacki the Ghost-Finder gesammelt im Jahre 1913 erschien. Die Stories sind äußerst formelhaft aufgebaut: Carnacki beruft vier Freunde zu sich zum Dinner (bei dem strikt keine Gespräche über den Fall geführt werden dürfen), entzündet danach seine Pfeife und erzählt ihnen von seinen letzten Erlebnissen. Dabei geht es immer um ein Anwesen, in dem es spukt und das von Carnacki ausführlich untersucht wird. Er geht methodisch vor, wobei er sowohl wissenschaftliche (Photographie) als auch paranormale Gerätschaften (darunter sein berühmtes elektrisches Pentakel) verwendet, um die Ursache des Spuks herauszufinden - und die kann sowohl übernatürlichen Ursprungs als auch ein Schwindel sein! Das gibt Carnacki erst am Ende seiner Schilderung preis und beantwortet eventuell noch letzte Unklarheiten seiner Zuhörer, um sie dann rasch zu verabschieden.
Thomas Carnacki ist sicher kein Philanthrop wie John Silence, sondern verströmt allenfalls einen spröden Edwardianischen Charme, und seine Fälle gleichen einander in teilweise fast schon frustrierendem Maß. Böse Zungen behaupten: Kennt man eine Carnacki-Story, kennt man alle. Soweit würde ich zwar nicht gehen, kann aber durchaus nachvollziehen, wie man zu dieser Aussage kommt. Hodgson hat meines Wissens nach auch definitiv keinen esoterischen Hintergrund wie die meisten anderen seiner Schriftstellerkollegen, sondern bedient einfach damals herrschende Konventionen des Haunted House. Seine Stärken liegen insbesondere in der Schilderung des sich nähernden und schleichend verstärkenden Grauens; Carnacki gibt auch immer wieder zu, selbst überwältigende Angst zu bekommen, wenn er sich den Mächten der Dunkelheit stellt, und das macht ihn sympathisch.
Das reicht jedoch nicht aus, um "Glanz in meine Augen zu bringen", wie Sie schreiben, werter Herr Dr. ... Was mich letztlich an ihm fasziniert, ist das Erahnen einer gewissen Hintergrundmythologie, die in den Kurzgeschichten aufblitzt: Carnacki erwähnt die Einflüsse gewisser Outer Forces, die er mit dem Saaamaaa-Ritual bekämpft, das sich durch "acht mysteriöse Zeichen" und eine "unbekannte letzte Zeile" auszeichnet. Gegen die Manifestationen der Aeiirii und der Saiitii schützt er sich mit Formeln aus dem ominösen Sigsand-Manuskript.
In alldem lassen sich schon Anklänge dessen finden, was ein amerikanischer Bewunderer Hodgsons später zu seiner eigenen Mythologie um die Großen Alten und das Necronomicon weiterentwickeln sollte: H. P. Lovecraft. Aber auch abgesehen von ihm wird Carnacki bis in die heutige Zeit hinein immer wieder zitiert. Das Sigsand-Manuskript beispielsweise spielt eine wichtige Rolle in den späteren Comics von Warren Ellis um Sgt. Major William Gravel. Und wie populär die Geschichten um den Ghost-Finder zu seiner Zeit waren, mag man auch daran erkennen, daß Carnacki persönlich einen Auftritt als Figur in einem anderen Comic hat: Century: 1910 aus der blitzgescheiten Reihe The League of Extraordinary Gentlemen von Alan Moore. Aber da greife ich unserer chronologischen Spurensuche bei weitem vor!
Daher empfehle ich mich für heute
mit besten Grüßen,
Melchior v.·. Wahnstein
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Zur Fortsetzung.
aus: Rokko´s Adventures #12
(erschienen im Dezember 2012)
Text: Dr. Nachtstrom
Illustration: van Deigo
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