Stories_Rokko’s Adventures im EVOLVER #39

Auto Crash - Die Formel 1 für die kleinen Leut´

Auto Crash ist eine Sportart, die es nur in Österreich gibt. Von den Stock-Car-Rennen der USA beeinflußt, verfaßten Motorsportfanatiker vor gut 30 Jahren ein eigenes Regelbuch, nach dem gelebt und gefahren wird. Auto Crash ist außerdem der billigste Motorsport, den man ausüben kann, denn die Karren sind Marke Eigenbau und werden aus geschenkten Schrotteilen zusammengeflickt. Rokko und Kurt Prinz waren zu Besuch bei den Crashern.    22.10.2012

Rokko´s Adventures ist - so steht es im Impressum - eine "unabhängige, überparteiliche sowie übermenschliche Publikation" und "setzt sich mit Leben, Kunst, Musik und Literatur auseinander". Der EVOLVER präsentiert (mit freundlicher Genehmigung) in regelmäßigen Abständen ausgewählte Beiträge.


=============================================================

 

Sonntagvormittag, das Ziel ist Lichtenwörth, eine kleine Ortschaft 45 Minuten südlich von Wien. Es ist heiß, Sonne glänzt, Staub beißt. Zur Rennstrecke zu finden ist nicht schwierig: Hat man das Lichtenwörther Ortstaferl erreicht, lachen einem schon gelbe Schilder entgegen. Einem schlichten Pfeil mit der Aufschrift "Zuschauer" gilt es zu vertrauen, und tatsächlich kommt man so zum Ort des Gewummses. Bei der Einfahrt hocken Vereinsmitglieder und kassieren den Eintritt von zehn Euro; am Parkplatz stehen stolze Väter mit ihren Söhnen, die einem den richtigen Platz zuweisen - alles auf Basis freiwilliger Arbeit.

Gleich neben dem Parkplatz die kreisförmige Rennstrecke. Erich Kaufmann vom Team ACC Racing Heroes, dem heutigen Gastgeber, steht mit seinem Lader vor Ort. Er ist dafür zuständig, zwischen den Rennen Unebenheiten auf der Fahrbahn auszubessern: "Die Strecke ist ja eigentlich ein Acker! Eineinhalb Tage haben wir daran gearbeitet, mitgeholfen hat der ganze Club. Es gibt halt welche, die arbeiten mehr, andere weniger, manche sind für gar nichts zu gebrauchen! Jeder macht das, was er kann", lacht er und steigt in sein Vehikel.

Auf den Hügeln rund um die Strecke lungern geschätzte 300 Zuschauer, etwa 200 weitere zirkulieren um das Bierzelt herum. Die Rennteams sind am Rande der Strecke stationiert. Wenn sie nicht fahren, reparieren sie ihre Kisten, schweißen und schrauben wie die Weltmeister; Dellen werden mit dem Vorschlaghammer "ausgeklopft", Rennstrategien besprochen. Dazwischen schlenkern bauchfreie Rennmiezen herum und bekommen dafür den einen oder anderen Pfiff. Ein Topmoderator, der daherschwanert wie im Film und den die gute Laune nie verläßt, sorgt für die richtige Stimmung. Wenn sein Mikro läuft, wird der Motorlärm der Autos gleich noch mal mitgetragen und schallt zusätzlich aus den Boxen heraus.

 

Das Publikum besteht aus Menschen aus Lichtenwörth und Umgebung sowie Familienmitgliedern, Schlachtenbummlern und echten Fans, die sich nach Möglichkeit jeden Autounfall anschauen. Frauen tragen hier gerne eine "moderne Frisur", heißt: mit pinken und roten Strähnchen. Unter den Männern tummeln sich verdächtig viele Tattoos, Zigaretten und Nippelpiercings. Zur Standardausrüstung gehören gemütliche Schlapfen, eine kurze Trainingshose und der nackte Oberkörper. So hört man den einen Kugelbauch lachend zum anderen schreien: "He, ziag dein Bauch ei, kennst di aus?!"

Auto Crash ist eine Sportart, die so, nach diesem Regelbuch, nur in Österreich existiert, weshalb es auch keine internationalen Wettbewerbe gibt. Verschiedene Mannschaften treten gegeneinander an und rangeln sich um die Staatsmeisterschaft. Nicht nur eine Teamauszeichnung gilt es zu ercrashen, sondern auch einen Pokal für den besten Fahrer. Bei Auto Crash hat man die Wahl zwischen zwei Divisionen: an Renntagen fahren abwechselnd die "Seriennahen" und "Crash Spezial". Bei Letzteren geht es ein wenig roher zur Sache, und es wird mehr gedrängelt und getuscht.

 

Auto Crash ist nicht nur ein österreichischer Sport, sondern ein sehr österreichisches Fest: rot-weiß-rote-Fahnen, tätowierte Adler, einer trägt über den Gips am Arm ein Österreich-Schweißband. Den ganzen Tag entdecke ich keinen Türken, keinen Deutschen, niemanden aus Ex-Jugoslawien. Einzig ein Schwarzer sticht plötzlich heraus - Hand in Hand mit einer Blondine. Die Küche setzt auf Bewährtes: für die Kinder gibt’s Pommes, Cola und "an Oimdulla, bitte!"; Frauen ernähren sich von Schnitzelsemmerln, Mehlspeisen und Radler; Männer bestehen aus gegrilltem Wurstmaterial und Dosenbier. Harte Hunde mit verkehrt getragenem Harley-Davidson-Kapperl genehmigen sich zur Frühschoppenzeit Bacardi Cola oder Whiskey Red Bull. Die Mischung aus Hitze, Bier und verwetteten Einsätzen kitzelt die goldige Seite manch Familienvaters heraus, und so hört man Sätze wie "Kalli, i sog´s da! Wannst des Cola umhaust, kriagst ka neichs!" Währenddessen schießt ein junger Mann, der wie ein harter Speedfresser aus einem Südstaaten-Trailerpark aussieht, kaputte Reifen über den Platz. Er trägt die Zigarette schief.

An einem Renntag folgen auf die Vorlaufrennen Semifinale, Finale und Superfinale. Wer als erster die sechs bzw. sieben Runden durchfährt, ist Sieger des Laufes. Es geht also nicht nur ums Crashen, sondern auch ums Vorankommen. Was den Unterschied zum Stock-Car-Rennen ausmacht, frage ich Leopold Böck vom MSC Niederösterreich Nord, der gerade in der Hitze brütet und auf das nächste Rennen wartet. Er ist ein Veteran, schon seit 22 Jahren als Fahrer dabei, und antwortet lachend: "Naja, ich weiß nicht so genau, aber bei uns geht’s ein bissl schneller zu! Und beim Stock-Car-Rennen stehen die Streckenposten auf der Bahn herum, zwischen den Autos. Bei uns sitzen die oben am Hügel, es soll ja nichts passieren, es soll jeder wieder arbeiten gehen können am nächsten Tag. Andere Renndisziplinen wollte ich nie ausprobieren, da darfst du ja nirgends ankommen. Auto Crash ist interessanter: wenn da vorn nix weitergeht, dann druckst a bissl an - und die Bahn ist wieder frei!"

Der MSC Traiskirchen erklärt Auto Crash auf seiner Homepage folgendermaßen:

"Q: Was ist Auto Crash???

A: Ausrangierte Autos fahren auf einem Acker im Kreis. Zusammenstöße sind voll beabsichtigt, praktisch Autodrom für Große.

Q: Warum machen wir das???

A: Weil wir alle verrückt sind ..."

 

Sichere Unfälle

 

Brütende Hitze. Ich bin ohne Equipment unterwegs, aber vor Ort sind zahlreiche Profis, die diese Gelegenheit als Familienausflug nutzen und auf Selbstversorgung setzen. Sie sitzen auf den Hängen auf mitgebrachten Campingstühlen unter mitgebrachten Sonnenschirmen und leben aus mitgebrachten Kühlboxen, die mit Knabanossi und Erfrischungsgetränken gefüllt sind. Dem kleinen Andre ist das zu wenig und er stolpert wiederholt ins Dixie-Klo ein paar Meter weiter. Der Vater schreit ihn an: "Geh kumm außa, do stinkt’s jo drinnen!" Doch der Junior hat seine Fäkalphase noch nicht überlebt und beschreitet erneut sein neues Lieblingsspielzeug in Häuslformat, woraufhin sein alter Herr krawutisch wird: "Außa do, i sog’s da! Oda soll i di do drin einsperrn?!"

Blick auf die Rennbahn. Dort fährt gerade der Spritzerwagen durch und befeuchtet den Boden mit Wasser, um den Slide-Effekt für die Autos und die Freude in den Zuschauerrängen zu steigern. Die Vorlaufrennen sind vorbei, es wird Zeit für das Semifinale. 16 Autos versammeln sich in vier Reihen an der Startposition. Rudolf Kaltenegger vom Racing Team Sollenau schraubt derweil und erzählt: "Ich fahr´ seit 20 Jahren und es macht mir noch immer Spaß. Du darfst das machen, was du auf der Straße nicht machen darfst. Du bist dabei im Grenzbereich. Was du in der Fahrschule nicht lernst - hier lernst du es. Ein Freund ist gekommen und hat mich gefragt: 'Willst du dir das einmal anschauen?' Und ich hab´ gesagt: 'Ja, aber von innen, vom Auto aus!' Das war am Donnerstag - und am Sonntag bin ich schon gefahren." Vor 20 Jahren, da muß er doch noch ein kleiner Bub gewesen sein? "Es gibt Fahrer jeden Alters. Frauen haben wir momentan keine. Eine gab’s, die ist ein paar Rennen gefahren, dann hat sie aber aus irgendwelchen Gründen wieder aufgehört. An und für sich kann jeder mitfahren, der ein Lenkrad drehen kann, einen Führerschein hat und sich das zutraut."

Ob Kaltenegger eine Lieblingsstrecke hat? "Das heute ist für mich eine von den schöneren. Hollabrunn ist auch schön, ich mag eher die aufwändigen Strecken, mit vielen Kurven. Bei einfachen Strecken wird man nicht gefordert, dann wird man nachlässig und macht am meisten Fehler." Zu den Streckenbestimmungen gibt es ein Vorschriftenhandbuch: sie muß mindestens 400 Meter lang sein und gewisse Sicherheitszonen gewährleisten. Die Karren darauf sind wild zusammengeflickt und auf das Allernotwendigste reduziert: Seitenspiegel entfernt, Beifahrersitz rausgerissen, die 20-cm-Schrauben stehen in manch Fuhrwerk noch ungeschliffen heraus. Sonst findet man dort drin hauptsächlich Dreck, offene Rohre, grob verlegte Kabel und rollige Schraubenmuttern; statt Scheiben gibt es Gitter; auf dem Dach sind Fahrername und -nummer notiert. Die "Formel 1 für die kleinen Leut´", wie Erich Kaufmann sie nennt, setzt auf Sponsoren für die kleinen Leut’: Pizzeria Strawanza, Puffhütte Cat Club, Nagelstudio Beate. Die meisten Fahrer haben im Beifahrerbereich ein Maskottchen hängen: Homer Simpson und Sponge Bob sind recht beliebt, aber auch Blumensträuße aus Plastik lugen unter mancher Dreckschicht hervor.

 

Herbert Pack macht gerade Pause und steht neben mir bei den startenden Autos. Er ist Verkäufer für Bodenbelag und nicht, wie die meisten anderen Fahrer, gelernter Mechaniker; die Autobasteleien übernimmt der Schwiegersohn. Pack ist seit sieben Jahren beim Erro Team Hartberg, "aber fahren tu´ ich seit 17 Jahren. Früher waren die Autos wesentlich schwächer und die Verstrebungen nicht so stark. Jetzt ist es eigentlich so, daß jeder ziemlich viel Power drinnen hat, 150 PS oder mehr. Wie schnell wir fahren. kommt auf die Bahn drauf an, aber vor drei oder vier Jahren haben wir einmal eine Radarmessung gemacht, da war der Schnellste 153km/h."

Die Fahrer in den Autos sind ausgestattet mit Halskrause, Helm, Handschuhen und Gurt. Leopold Böck, der ja schon seit mehr als 20 Jahren dabei ist, erinnert sich an frühere Zeiten: "Die größten Veränderungen hat es im Sicherheitsbereich gegeben. Wir sind früher gefahren mit einem Werkstattoverall, der war voller Öl. Jetzt haben wir einen feuerfesten. Wenn jetzt einmal ein Feuer ist, dann brennst nicht gleich. Den Hosenträgergurt haben wir mit 7 cm Breite, früher waren es 5. Oben und unten sind 5-mm-Eisenplatten beim Auto, da passiert dir nichts, wenn du liegst. Dann haben wir einen Sicherheitstank, solche Sachen." Diese Vorschriften kamen nicht ohne Grund, so Böck: "Vor schwachen 20 Jahren, ’90 oder ’91, ist bei uns oben einmal einer brennend geworden. Und auf das hinauf sind die Sicherheitsvorschriften gekommen. Früher haben die den Motor gehabt und direkt danach war der Sitz - heute ist dazwischen eine Eisenplatte als Trennwand. Wenn es hinten brennt, dann brennt es hinter der Eisenplatte und die Flammen können nicht nach vorne schlagen. Der ist damals auf der Seite gelegen, da war ein Mopedtank drinnen - früher hast du den Tank neben den Knien haben dürfen -, der hat oben einen Verschluß mit einem Loch in der Mitte, daß Luft rein kann. Der ist auf der linken Seite gelegen und das Benzin ist auf ihn geronnen, hinten hat der Motor gebrannt und die Feuerwehr hat verkehrt gelöscht: von hinten nach vorne und nicht von vorne zurück, jetzt sind die Flammen zu ihm gekommen. Er ist schon davongekommen, hat aber schwere Verbrennungen gehabt."

Ich sehe einen Ehering an Böcks Hand und frage, was seine Frau davon hält, wenn er sich durch den Auto Crash kämpft. Böck lacht: "Frag’s!" und schreit nach links: "Maria! Maria, komm her!" Schon ist sie da und meint euphorisch: "Super ist das! Ich will, daß er Staatsmeister wird, auf das arbeiten wir hin! Ich geb´ ihm die Freiheit, daß er das machen kann, und dann fahr´ ich mit zu den Rennen und feuer´ ihn an!"

Auch Georg Lang vom MSC Traiskirchen ist noch nie etwas passiert - doch was wäre im Falle wenn? "Versichert ist man über den Dachverband, über die Fahrerlizenz. Jeder Fahrer hat seine Nummer und über die ist er versichert. In Wirklichkeit passiert herzlich wenig. Bei Formel 1 ist es ärger - und da sterben sie auch. Einen Todesfall haben wir noch nie gehabt."

Weissinger Christoph vom MSC Niederösterreich Nord gehört noch zu den Frischlingen und fährt heute zum zweiten Mal: "Beim ersten Rennen schaut man natürlich umso genauer, daß alles paßt. Vorher hab ich ein paar Übungsrunden gedreht und das ausprobiert." Und dann ging es gleich in die Arena ...

 

Kampfkäfer

 

Die Rennleitung - hauptsächlich bestehend aus Frauen - hockt mit dem Moderator auf einem überdachten Podest. Vor dem Start wird alles durchgecheckt, und eine Dame aus der Rennleitung schreit runter zum General auf der Fahrbahn: "So wie da 71er steht, so geht des ned!" Die Männer am Boden gaffen sie zwar an, aber niemand tut etwas. Einer murmelt leise zu sich selbst: "Des paßt eh ..." Sie schreit noch mal: "Der 71er steht voikommen foisch!" Wieder nichts, bis eine Rauschkugel, die sich hinter einem Schnauzbart versteckt, johlt: "Kannst di ned durchsetzen, ha?!" Sie kann - und kurz darauf rammen sich die Autos, vollführen genüßliche Pirouetten und drängen sich über die Ränder der Fahrbahn, raus in die Dreckswallungen. Ein Zuschauer fuchtelt mit der Bierdose in der Hand und schreit wie am Spieß: "Jetz schiab an do!"

Die Fahrer verhalten sich trotz all der Reibereien möglichst organisiert: man einigt sich auf einen Teamkollegen, der aus strategischen Gründen gewinnen soll; die anderen blockieren die Nachfolger und verschaffen ihm einen möglichst großen Vorsprung. Kurz nach dem Start kommt es schon zu einer Unterbrechung: Ein Auto hat sich überschlagen und liegt wie ein wehrloser Käfer auf dem Rücken, die Reifen drehen sich noch in der Luft. Die weiße Fahne wird geschwungen, und alle Rennteilnehmer bleiben momentan dort stehen, wo sie gerade sind. Diese Prozedere kann durchaus zwei, drei Mal pro Rennen vorkommen. Leopold Böck: "Wenn du bei jemandem vorbeifährst, der auf dem Dach liegt, wirst du disqualifiziert. Sicherheit geht da einfach vor. Wenn der liegt und der andere fahrt rein - wuff wuff - das ist nix." Erst, wenn alles wieder auf vier Rädern liegt, wird vom Moderator das "Freizeichen" gegeben und das Gaspedal durchgedrückt. Teilweise sind die Autos mittlerweile auf ihren Felgen unterwegs, weil es ihnen einen Reifen weggeschossen hat. Andere müssen vor lauter Schaden tatsächlich die Bahn verlassen. Herbert, ein Zuschauer, lacht laut auf: "Vü Auto san owa jetz nimma drin. Ans, zwa, drei, vier ... fünfe!" Sein Intimus Hans murmelt kopfschüttelnd durch den Bierschaum: "Wos haaßt ... foahn tans heid wia die Woamen."

Ein Crash ist jetzt besonders verzwickt, vier Autos türmen sich an einer fiesen Stelle übereinander. Der sechsjährige Martin schreit fuchsteufelswild: "Scheißkurvn!" Das Eingeklemmtsein im Auto kann durchaus trist sein: die Fahrer sind extrem fest angegurtet, sodaß sie auch bei einem Überschlag nach Möglichkeit gar nicht verrutschen, dürfen das Auto nicht verlassen, sind sozusagen gelähmt - und dann kracht ihnen vielleicht auch noch ein anderer Crasher in den Nierenbereich. Wuff wuff. Fünf Traktoren sind für solche Situationen verfügbar: einer kommt von vorne, einer von hinten. Doch am Schluß wird noch ein dritter hergewunken, der wie ein Gabelstapler gemütlich die Autos in die Luft schupft und von der Fahrbahn entfernt. Herbert Pack kommentiert: "Ich muß eins sagen: der Sport hat mit Pech und Glück oft so viel zu tun! Ich kann mich erinnern, vor zehn, elf Jahren, da bin ich als Erster in Führung gewesen. Ein Auto ist am Hügel gehängt und konnte nicht mehr runterfahren. Grad wie ich vorbeikomm´, hat er es geschafft und ist mir reingefahren - somit war’s aus!" Ob er auch zu den Gesegneten gehört, denen noch nie etwas passiert ist? "Zum Glück! Blaue Flecken und Striemen, aber mehr nicht, obwohl ich auch schon meine Überschläge gehabt hab´."

Offizielle Kräfte vergewissern sich nach den Zusammenstößen, daß die Insassen OK sind. Schönerweise gibt es an diesem Renntag keine Verletzten, doch eine alte Frau dreht es zusammen, wegen der Hitze. Die Sanitäter schichten sie auf eine Bahre.

Irgendwann sind nur noch vier Autos auf der Strecke. Nachdem sie die Ziellinie überfahren haben, verlautbart die Rennleitung: "Alle Fahrzeuge abgewunken!" Nach dem Rennen kommt der Befehl "Traktoren in die Bahn!", und die hängengebliebenen Autoleichen werden rausgezogen. Herbert zeigt sich wieder als Frohnatur und lacht: "Na, vü woan’s eh nimma!" Hans nimmt das Leben viel zu ernst und grummelt in sich hinein: "Wos haaßt ..."

 

’s Glück is a Unfoi

 

Dosenbier funktioniert besonders in staubiger Hitze gegen den Durst, und so wundert es mich gar nicht, daß mein mitgebrachter Mammon sich langsam zersetzt. Seit zehn am Vormittag bin ich da, jetzt ist es 16 Uhr, und das Superfinale steht gerade bevor. Mit Ach und Krach schaufle ich noch 2,45 Euro aus meiner Hosentasche - ein Bierchen kostet 2,50. So gehe ich mit freundlicher Miene zur am großzügig wirkendsten Bardame und staple langsam die Münzen vor ihren Augen, während ich sie frage, ob sie sich vorstellen könnte, mir eine dieser grünen Dosen für 2,45 Euro auszuhändigen. Mit kesser Grinse meint sie: "Ausnahmsweise, aber verraten deafst mi ned." Es folgt ein tiefer Zwinkerer, bei dem mir, hui!, ganz warm wird ums Herz. Ich glaube, da würde ich mich nur selbst verraten, und so ziehe ich einen tiefen Schluck aus meinem neuen Glücksbringer. Besser dem Staub folgen, solange er noch schwebt. Die Bar ist für mich ab nun geschlossen.

Mit Manfred, einem Endsechziger aus Lichtenwörth, stehe ich auf einer Bierbank und gaffe über die Absperrung auf in sich tuschende Tschäsn. Er trägt ein Kapperl mit der Aufschrift "Friede Schalom", staubige Socken unter staubigen Sandalen, das Unterleiberl wird über die Schulter geschwungen, Brust rein, Bauch raus: "Jo jo, des san scho gschickte Hund! Host a Auto, für des d’ ka Pickerl mehr kriagst, nehman’s des, zoin da nix, owa gfrein si. De baun wos draus, damit’s wieder im Kreis foahrn kinnan. San jo koane reichn Leid. Owa Fanatiker, Fanatiker sans!"

Reiche Leute sind sie wirklich nicht, sagt auch Rudolf Kaltenegger: "Das ist noch immer der billigste Motorsport in Österreich. Bei Rallye hast du Startgeld und da kostet auch das Auto viel mehr, das sind andere Typen." Georg Lang auf die Frage, ob er sich schon in anderen Renndisziplinen versucht hätte: "Nein, das kann ich mir nicht leisten - zu teuer. Da hältst du nicht mit, die stecken ja Unsummen in ihre Autos! Da brauchst du Sponsoren, und in Österreich Sponsoren finden ist so gut wie unmöglich. Wir haben nur Freunde, Firmen, die man gut kennt, daß dir die ein bißchen was geben. Das bleibt immer beim Hobby."

Was die nächste Stufe wäre Richtung Professionalität und Reichtum? "Du kriegst beim Autocross nicht mehr; du kriegst beim Rallyecross nix im Prinzip; du kriegst bei den ganzen Oldtimer-Rennen nix. In Wirklichkeit fangt es an bei der Formel 1. Tourenwagen, vielleicht, daß da irgendwas geht. Aber die Leute, die beim Auto Crash dabei sind, die machen das ja aus Überzeugung, das ist ein eigener Schlag, der will gar nirgendwo anders hin" ... nur immer und immer wieder auf die Fahrbahn. Genau damit hat ein Auto gerade Schwierigkeiten und springt vor dem Superfinale erst gar nicht an. Vier Teamkollegen müssen anschieben, bis die Maschine startet. Daß dieser Fahrer heute auf dem Podest stehen wird, scheint nur der Logik von Auto Crash zu folgen.

Doch noch ist nichts entschieden, und die Lichtenwörther glauben an ihren Lokalmatador und amtierenden Staatsmeister Gerhard Zöger von den ACC Racing Heroes, dem derzeit vielversprechendsten Team und heutigem Gastgeber. Erich Kaufmann, völlig zuversichtlich: "Das ist ein relativ großer Club mit vielen Fahrern - da machst du natürlich viele Punkte auch. Gerhard ist prädestiniert für den Sieger, weil er ja weiß, um was es geht! Also in punkto Auto ist er der Chef. Wenn sich der nicht auskennt - wer soll sich dann auskennen?! Und fahren tut er auch ganz gut. Nur das Auto macht’s ja nicht aus, es braucht auch einen guten Fahrer."

Doch Zöger fährt gleich in der ersten Runde des Superfinales ins Abseits und bleibt dort liegen. Ui, die Lichtenwörther schlagen sich die Hände auf den Kopf. Noch Momente zuvor dachten sie, der Sieg wäre ihnen sicher - und jetzt fällt ihnen das Heu vom Schädl: "Geh scheiß drauf!" flucht ein Fan und geht zielstrebig an die Theke. Der MSC Niederösterreich Nord kann als Außenseiter das Rennen für sich entscheiden. Vereinsmitglieder entzünden Raketen und Böller und werfen sie auf die Fahrbahn. Im Zuschauerraum entstehen Fragen: "Wos, san de jetz dafia oda dagegen?!" Ein Lichtenwörther schreit zu den Bombern: "Ihr sats de greßtn Bauern! De greßtn Erdäpfeln!!" Ich wechsle auf die Siegerseite, wo ebenso Turbulenz herrscht. Die Alten feiern, die Kinder weinen an den Hälsen ihrer Mütter, weil sie vor den Krachern Angst haben. Ich erzähle ihnen, daß sich die Lichtenwörther drüben ordentlich ärgern. Leopold Böck lacht: "Na, deswegen samma jo do!"

Aber nicht mehr lange - der Renntag neigt sich dem Ende zu. Die Autos werden mit Anhängern nach Hause gebracht, auf der Straße darf man damit nicht fahren. Erich Kaufmann, der tagsüber die Strecke nach Bedarf ausgebessert hat, zuckt mit den Schultern: "Am Abend werden wir die Bahn wieder zuschütten, das ist ja eigentlich ein Acker." Bis nächstes Jahr. Dann herrscht hier wieder das Gesetz der Straße. Genauer: das Gesetz von Auto Crash.

Rokko’s Adventures

aus: Rokko´s Adventures No. 10

(erschienen im Dezember 2011)


Text: Rokko; Fotos: Kurt Prinz

Links:

Kommentare_

Stories
Rokko´s Adventures im EVOLVER #105

Hinter den Büschen von Wien

Es gibt nicht nur Puffs und Swingerclubs, sondern auch die freie Wildbahn: geheime Sexorte im öffentlichen Raum, wo man sich selbst aktiv betätigen oder als Voyeur in Erscheinung treten kann. Diese Plätze zu finden erfordert Zeit, Geduld - und im besten Fall Anstand. Rokko führte ein Gespräch mit einem, der den Wiener Dschungel schon seit Jahrzehnten durchkreuzt.  

Stories
Rokko´s Adventures im EVOLVER #104

Die Archive des Dr. Burns

Dr. Stanley Burns hat sich in seinem unauffälligen Sandsteinhaus in Manhattan seine eigene Sammlung geschaffen, in der er arbeitet, lebt, und atmet. Darin zu finden: mehr als eine Million historische Photos aus existentiellen, medizinischen, kriegerischen und kriminellen Prozeduren, die die menschlichen Entwicklungen von 1850 bis 1950 schonungslos dokumentieren - und damit auch die Gegenwart sowie zukünftige Entwicklungen bzw. Dummheiten besser begreifbar machen.  

Stories
Rokko´s Adventures im EVOLVER #103

Vielgeliebt und doch allein

Freddy Quinn, ein internationaler Star, der zu Journalisten ein distanziertes Verhältnis pflegt, sich mit seiner Kunstfigur von der Außenwelt abschottet, seine Frau öffentlich nur als "meine Managerin" siezte, ist im September 2016 ganze 85 Jahre alt geworden. Ein exklusives Fest mit einstelliger Gästelistenzahl im geheimen Szenelokal? Falsche Fährte. Gefeiert wird mit Liptauerbrot und Dosenbier in einem Gemeinschaftsraum im Wiener Wohnpark Alt-Erlaa, den das Pensionistenehepaar Brigitta und Eduard Klinger gestaltet.  

Stories
Rokko´s Adventures im EVOLVER #102

Die Cheerleader der Besten

Wo hat Rokko das erste Mal Country Teasers quengeln, Sleaford Mods fluchen, Amanda Whitt wüten, Steel Pans im Getümmel bei einer West Indian Day Parade gehört? Nicht draußen - und nicht im Wohnzimmer eines Vertrauten, sondern auf WFMU. Dieser Radiosender funktioniert aber im Grunde genauso: als würde man daheim bei einem Haberer sitzen, der einem seine Lieblingsplatten vorspielt.  

Stories
Rokko´s Adventures im EVOLVER #101

Müllstierln in Purbach

Wenn etwas weggeschmissen wird, heißt das nicht, daß es weg ist. Erst dann fängt nämlich ein interessanter Verwertungsprozeß an, der auf mehreren Ebenen funktioniert. Diesen Vorgang wollte sich Team Rokko genauer ansehen.  

Stories
Rokko´s Adventures im EVOLVER #100

Winners come in all shapes and sizes

Preisfrage: Was haben Mike Tyson, Nikola Tesla und Willy Brandt gemeinsam? Richtig: allesamt Taubenzüchter. Team Rokko hat für Sie einige spannende Geschichten zum Thema "Männer, ihre Vögel und die Pigeon Fancier Convention in Blackpool" auf Lager. Fliegen Sie mit ihm los!