Stories_Vom Elend der Zukunftsforschung

Wem die Stunde schlägt

Uralte Prophezeiungen und aktuelle Prognosen gehypeter Trendforscher haben eines gemeinsam: sie sind oft an den Haaren herbeigezogen. Doch während man seinerzeit die Seher einfach einen Kopf kürzer machte, kassieren sie heute unverschämt viel Geld. Dabei bestehen ihre Botschaften meist nur aus Schall und Rauch ...
Manfred Wieninger, einer von Österreichs neuen Krimi-Stars und neuerdings EVOLVER-Gastautor, kennt die Zukunft der Zukunftsforscher.    01.09.2008

Es gibt eine ganze Reihe von Zukunftsprognosen - wie zum Beispiel an einem Dienstag vorherzusagen, daß am nächsten Tag Mittwoch sein wird - , mit deren Aufstellung beziehungsweise Formulierung man sich auf der absolut sichereren Seite befindet. Doch damit wollen sich Trendforscher natürlich nicht zufriedengeben. Vollmundig prophezeite etwa Matthias Horx, (wahl-)österreichischer Star der deutschsprachigen Futurologenszene, für das Jahr 2067 den "Sieg der westlichen Werte".

Nun gut, denkt man, sollte dem aber in 59 Jahren doch nicht so sein, wird man dem dann 112jährigen Horx wohl keinen Strick mehr daraus drehen können. Völlig unklar bleibt darüber hinaus auch, was unter so einem "Sieg" überhaupt zu verstehen sei. Auch die globale Erwärmung stellt für den umtriebigen Trendforscher mit dem weiten Horizont überhaupt kein Problem dar: "Ich bin mir sicher, daß sie sich als weniger dramatisch herausstellen wird. Wir werden neue Technologien entwickeln, die den CO2-Ausstoß reduzieren."

Worin sich solche kühnen Prognosen von denen etwa eines Nostradamus unterscheiden, bleibt leider unklar. An der Datengrundlage kann es ja wohl nicht liegen, da die meisten Trendforscher in Wirklichkeit genauso qualitativ-impulsiv arbeiten wie der provenzalische Apotheker aus dem 16. Jahrhundert. Ihre wichtigsten Arbeitswerkzeuge sind in der Regel wohl nicht die Datenbank und der Supercomputer, sondern einfach sprachliche Versatzstücke aus Marketing und Werbung, die sie in immer neuen Varianten anordnen und wie ein Potpourri auftischen.

Dabei ist die futorologische Begrifflichkeit für das P. T. Publikum eigentlich relativ simpel entwickelt. Oft genügt einfach das Präfix Neo-, um aus alten Hüten neue, interessant scheinende Begriffe hervorzuzaubern. Aus Sex wird so NeoSex. Noch öfter muß das neuenglische Suffix -ing herhalten. Manchmal genügt es auch, einfach Antagonismen sprachlich zusammenzuwürfeln: "Glokalität" heißt dann etwa der ach-so-neue, ach-so-aufregende Gedanke, der aus den alten Hadern Globalisierung und Lokalität gekoppelt wurde und in etwa bedeuten soll, daß sich die Mehrheit der Menschen gleichzeitig nach einer lokalen Identität wie auch nach dem Kennenlernen der weiten Welt sehnen würde.

"Wildes Begriffsneuschöpfen" nennt das die Soziologin Michaela Pfadenhauer. Auf jeden Fall hat das Lese- und Vortragspublikum der Futorologen, das vor allem aus den Anlegerklubs regionaler Sparkassen, Kommunalpolitikern und den Prokuristen mittelständischer Unternehmen zu bestehen scheint, wieder einmal etwas zu staunen ob solcher begrifflicher Trapezkunststücke. In Wahrheit macht sich wohl jeder Hühnerzüchter an der veterinärmedizinischen Universität von Ulan Bator wesentlich mehr Mühe bei der Entwicklung neuer fachlicher Termini.

Atavistische Neokolonialabenteuer wie etwa die Interventionen im Irak und in Georgien oder der Zerfall ganzer Nationalstaaten wie etwa Somalia konnten mit solchen Sperenzchen natürlich nicht vorhergesagt werden. Die einseitig anwendungsorientierte Trendforschung erliegt natürlich auch sehr leicht der Versuchung, den Auftrag- und Brötchengebern ganz einfach nach dem Mund zu reden, was Harald Martenstein in der "ZEIT" pars pro toto am Beispiel eines Vortrags wiederum von Matthias Horx zum Thema "Die Marke Vorarlberg im europäischen Vergleich" festgemacht hat: "Matthias Horx sagte, Vorarlberg sei eine 'europäische Power-Region', 'das Los Angeles am Alpenrand'. Außerdem sehe man in Vorarlberg 'minimalistische Architektur, von der sich selbst die Amerikaner noch etwas abschneiden könnten'. Jemanden dazu zu bringen, der Vorarlberger Landbevölkerung mit todernstem Gesicht solch einen offensichtlichen Unfug zu erzählen, muß schon wieder einen Haufen Geld gekostet haben."

Ebenso glänzende Chancen sehen die in der Regel berufsoptimistischen Trendforscher natürlich auch für das Waldviertel, für den niederösterreichischen Zentralraum, für Wanne-Eickel und Gigritzpotschen, für Graz und überhaupt jede Region, in die sie zu einem gutbezahlten Vortrag eingeladen werden.

Ein Trend zeichnet sich trotzdem ganz gewiß ab: Die wilden Boom-Zeiten für die Branche sind vorbei. 2067 könnten die berufsmäßigen Trendforscher gar das Schicksal der einstigen Zunft der Sowjet-Kremologen teilen - und großteils ausgestorben sein.

Manfred Wieninger

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