aus: Rokko´s Adventures #10
(erschienen im Dezember 2011)
Text: Rokko, Illustration: Silvia Boscolo
Yma Sumac ist eine mystische Diva. Durch ihr Leben führen Legenden. Ihr Stimmvolumen umfaßte angeblich gezählte fünf Oktaven; von Donnergrollen bis Vogelgezwitscher läßt sich alles aus ihrer Kehle ziehen. Verbucht werden Yma Sumacs Werke unter "Exotica", doch ist sie nicht nur unter dem Status des Bizarren hörenswert, sondern auch regulär. 17.12.2012
Rokko´s Adventures ist - so steht es im Impressum - eine "unabhängige, überparteiliche sowie übermenschliche Publikation" und "setzt sich mit Leben, Kunst, Musik und Literatur auseinander". Der EVOLVER präsentiert (mit freundlicher Genehmigung) in regelmäßigen Abständen ausgewählte Beiträge.
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Yma Sumac wurde 1922 als Zoila Augusta Emperatriz Chávarri del Castillo in Ichocán, Peru auf beinahe 2600 Meter Seehöhe geboren. Diese Tatsache machte sie zeit ihres Lebens - sie starb 2008 an Dickdarmkrebs - für ihr immenses Organ verantwortlich, da sich die Lunge in dieser Höhe besonders leistungsfähig entwickelt haben mußte. Yma war nur gut eineinhalb Meter groß und wog 55 Kilo, doch ihre stimmliche Bandbreite setzte sie selbst auf ganze fünf Oktaven fest. Gute vier waren es auf jeden Fall. Bei anderen Profisängern und Opernstars umfaßt die Stimme etwa zweieinhalb bis drei große Os. Ärzte auf der ganzen Welt hätten sie - so Yma Sumac - untersucht und ihr mitgeteilt, ihr Rachen wäre "sehr speziell", recht breit und weit.
Auf diesen Planeten kam sie als jüngstes von sechs Kindern - vier Mädchen und zwei Buben. Ihr Vater war Spanier und Seifensieder, durch die Adern ihrer Mutter floß Inkablut. So behauptete Yma Sumac konsequent, eine direkte Nachfahrin von Atahualpa, dem letzten Herrscher des Inkareiches, zu sein. Im peruanischen Konsulat in New York wurde die Richtigkeit dieser Behauptung einmal offiziell bestätigt.
Yma Sumac wurde schon früh zu einer Legende, um die sich nach wie vor zahllose Mythen ranken, die sie während ihres ganzen Lebens gezielt schärfte. Sie war eine obskure Exzentrikerin, die gern selbst Gerüchte in die Welt setzte; Fakten und Fiktion vermischten sich. Es gab Gerede, ihr Geburtsjahr wäre irgendwo zwischen 1922 und 1929 anzusiedeln und daß sie eigentlich in Brooklyn als Amy Camus - also umgekehrt, die Buchstaben - zur Welt gekommen wäre. Tatsächlich hatte sie ihren Künstlernamen von dem echten ihrer Mutter abgeleitet, die Imma Sumack Emilia Atahualpa hieß.
Bereits im Alter von 13 Jahren fiel Yma Sumac bei den Menschen in ihrer Umgebung als Gesangstalent auf. Bald darauf wurde sie, zuerst zum Mißfallen ihrer Eltern, zu denen sie aber stets ein sehr gutes Verhältnis pflegte, von verschiedenen Radiosendern in der Umgebung eingeladen. 1941 trat sie am Inti Raymi, dem traditionellen Sonnenfest der Inka, auf. Daraufhin wurde der jungen Primadonna die Möglichkeit gegeben, nach Lima zu gehen. Eigentlich sollte sie dort studieren, doch lernte sie bald Moises Vivanco kennen, der die Gruppe Compania Perruana de Arte gegründet hatte. Dieses Kollektiv hatte sich authentischer Volksmusik verschrieben und beherbergte 46 Musiker und Tänzer. Als er Yma Sumac singen hörte, wußte Vivanco, daß kein Weg an ihr vorbeiführte, und holte sie aus der Bildungsstätte vollends auf die Bühne. Nicht nur beruflich ging diese Verbindung auf: es dauerte nicht lange, bis Yma Sumac und Moisés Vivanco den Bund der Ehe eingingen.
Mambo Amusio
Die beiden zogen 1946 nach New York und traten gemeinsam mit Yma Sumacs Cousine Cholita Rivero unter dem Namen Inka Taky Trio auf. 1949 kam ihr Sohn Charles zur Welt; ein Jahr später landete Yma Sumac bei Capitol Records, nachdem ein Talent-Scout eine ihrer Liveshows gesehen hatte und in dieser zwar eigenartigen, aber doch stimmkräftigen Zampana Potential gewittert hatte. Dann ging es Schlag auf Schlag: Ein Konzert in der Hollywood Bowl 1950 markierte ihren Durchbruch; ihr Debütalbum "Voice of the Xtabay" (1950) machte sie zum Weltstar; 1951 landete sie mit dem Musical "Flahooley" am Broadway; 1954 spielte sie mit Charlton Heston im Film "Secret of the Incas"; 1955 wurde sie amerikanische Staatsbürgerin. Ihr Mann sagte in einem Interview im selben Jahr: "She is five singers in one. Never in 2,000 years has there been another voice like hers." Während der 1950er tourte sie fast pausenlos durch die Welt, besuchte Aufnahmestudios und wurde gar als achtes Weltwunder gefeiert.
Yma Sumacs Klangreich ist phantastisch und psychedelisch, eine Form von Weltmusik, die nicht nur tolerierbar, sondern extrem anziehend und wahrlich einzigartig ist. Ihre musikalische Ausbildung erfolgte auf keinem Konservatorium - die Tiere der Wildnis hätten sie stark geprägt, meinte die Sängerin. Manchmal klingt sie schwebend wie ein Theremin, dann wie ein zur Stimme gewordenes Erdbeben, dann wie die Spatzen von den Dächern, dann wie ein Löwe, kurz bevor er einen Zwergenmenschen zerfleischt. Ein Kritiker schrieb, in ihrem Rachen wären wohl eine Nachtigall und ein Panther zu Hause.
Yma Sumac hat "nur" fünf vollständige Alben hinterlassen, auf denen die (vermeintliche) Musik der Inka und südamerikanische Volkslieder mit Lounge und Phantastik verbunden werden, ohne den Grad der Authentizität überzubewerten, um das einmal salopp zu formulieren. Sie arbeitete auch mit dem Exotica-Mastermind, Orchesterleiter und Arrangeur Les Baxter zusammen, über den sie später kein gutes Wort mehr verlieren sollte, da er laut Yma Sumac ihre kompositorischen Leistungen weder würdigte noch bekannt werden ließ. Baxter und ihr Exmann hätten bei zahlreichen ihrer Kompositionen die Urheberschaft an sich gerissen, sagte sie.
Nicht nur die Musik von Yma Sumac war exotisch - ihre Ausstrahlung komplettierte das Bild: langes schwarzes Haar, Kronen aus Pfauenfedern, apartes Make-up, Gold und Silber überall. Gemeinsam mit ihrer ältesten Schwester Maruja arbeitete sie an (besonders für diese Zeit) ungewöhnlichen Kostümen. Dazu gab es Tänzerinnen, riesige Inkastatuen, brodelnde Vulkane und der Ruf des Dschungels. Der Inka-Mythos wurde dann, besonders in den USA, sehr gut verkauft, ihr Image immer weiter vorangetrieben: Yma Sumac, die Inka-Prinzessin! Eine Priesterin aus längst erloschenen Zeiten! Unerreichbar! Unbegreiflich! - aber im Fachhandel Ihres Vertrauens erhältlich!
Ihre Popularität näherte sich noch in den 1950ern dem Höhepunkt an. 1957 ließen sich Yma Sumac und Vivanco scheiden, um im selben Jahr wieder zu heiraten, um sich dann 1965 endgültig scheiden zu lassen. Die turbulente Ehe hinderte sie nicht daran, 1961 das Inka Taky Trio wiederzuvereinen - angeblich aus finanziellen Nöten. Es folgte eine fünfjährige Tournee, die Yma & Co. nach Europa, Asien, Amerika und in die Sowjetunion führte, wo sie angeblich Chruschtschow als großen Fan hinterließ. Eigentlich sollte sie nur zwei Wochen im Osten bleiben, doch dann wurde sie für sechs Monate verpflegt und wie eine Königin behandelt und bezahlt. Sie spielte auch mit dem Bolschoi Orchester zusammen und bekam von Chruschtschow zwei Jets samt Belegschaft zur Verfügung gestellt. Angeblich war Yma Sumac der erste Star aus dem Westen, der den Eisernen Vorhang erfolgreich durchschritt. Sie sang dort in Opernhäusern, aufgrund der hohen Nachfrage aber auch in Stadien, wodurch sie in dem halben Jahr 60 Millionen Sowjetunionisten beglückt haben soll. Von der mehrjährigen Tournee müde, schwach und abgemagert, konsultierte sie Ärzte, die ihr nahe legten, sich auszuruhen. Diesen Rat nahm sie an.
Mambo Confusion
Was dann genau passierte, bleibt rätselhaft. Laut Eigenangaben lebte sich nach dieser Tour gut 15 Jahre in Spanien und kehrte erst dann wieder in die USA zurück. 1971 nahm sie das Album "Miracles" auf, das bombastischen Psychedelic Rock mit ihrer wuchtigen Stimme koppelt. Angeblich war Yma Sumac zu jener Zeit recht schwierig im Umgang. Sie zog wieder zurück nach Peru; es wurde nun ruhiger um ihre Person. Ihr nächster Auftritt in Europa sollte erst 1989 stattfinden. Ab und zu gab sie noch Konzerte auf dem amerikanischen Kontinent, ging zu David Letterman, nahm einen Song für Walt Disney auf und präsentierte 1991 eine extrem lasche Techno-Version ihres Hits "Mambo", dessen Neubearbeitung korrekterweise den Titel "Mambo Confusion" trägt.
Doch in den 90er Jahren wurden ihre Originale wieder mehr geschätzt als in den vorherigen, eher verschlafenen Jahren, und ihre Musik wurde für Werbespots verwendet, gesamplet und auch in der Los-Angeles-Hommage an Faulheit, Zufall und White Russian als führende Lebensprinzipien namens "The Big Lebowski" gewürdigt.
Von Zeit zu Zeit trat sie dann auch wieder live auf. Ein angeblicher Autounfall, bei dem sie sich Arme und Beine gebrochen haben soll, Erkältungen, die ihr auf die Stimme schlugen, sowie wechselnde Begleitmusiker, die oft nicht mit ihr klarkamen, machten die Konzerte teilweise zu eher ungelungenen Zurschaustellungen. Yma Sumac lebte damals in verarmten Verhältnissen, und ihr damaliger Manager versuchte gerüchteweise, den schnöden Mammon vom sterbenden Schwan abzukratzen. Von ignoranten Menschen wurde Yma Sumac außerdem als bloßes Kuriosum mißverstanden, was der alternden Inka-Lady wirklich wehtat. Bei einem Konzert in Hamburg vor einer völlig pathetisch-kitschigen Bühne mit einem Moderator, der selbst im Kinderzirkus Tritte in die Weichteile bekommen hätte, wurde sie von einer Zuschauerin ausgelacht. Sie brach das Lied ab und verließ erbost die Bühne.
Ihre Tour endete 1992 in Deutschland sehr unglamourös: Es gab weder Geld für ein Hotelzimmer noch für einen Rückflug. Angeblich wollte sie in der Bundesrepublik bleiben, doch diverse Gerüchte tauchten auf, sie wäre in Spanien, den USA oder doch wieder in Peru. Nichts Genaues weiß man nicht, doch diese Spekulationen hielten sie - in einem Zeitalter, als die Stars noch nicht über Twitter ihren Stuhlgang vermeldeten - für einen gewissen Kreis spannend und relevant. Was Yma Sumac machte, war ziemlich schlau: sie sah zu, daß weder ihr Sohn Charles noch ihr Ex Geschichten aus ihrem Leben erzählten und den Mythos der wahrhaftigen Yma Sumac so nicht schwächen konnten. Jeder, der dies tat, mußte mit einer gerichtlichen Klage rechnen. Undurchschaubarkeit als Marketingstrategie - ein sympathischer Zug.
1997 trat sie bei einem Festival in Montreal auf; in den folgenden Jahren erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen in Peru. Auch in den USA wurde sie wieder gewürdigt und bekam einen Stern auf dem Walk of Fame in Los Angeles und eine kleine Würdigung in Brooklyn.
Und heute? Genau wie vor 60 Jahren gilt: Listen to the Voice of the Xtabay.
aus: Rokko´s Adventures #10
(erschienen im Dezember 2011)
Text: Rokko, Illustration: Silvia Boscolo
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