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Windhunde im Portfolio
Spielsucht modern: Sind Sportwetten im Internet interessanter als Beziehungen? Benny Denes berichtet. 20.01.2003
Mit schweißnassen Fingern sitzt Phillip seit Stunden vor dem Rechner. Die einzige Regung seiner Gliedmaßen ist das im Minutentakt durch ihn vorgenommene Klicken der Maustaste, mit dem er den Inhalt des Browser-Fensters aktualisiert. Seine Freundin geht alle 15 Minuten wortlos, aber kopfschüttelnd an ihm vorbei. Sie sieht immer wieder nur eine schmucklose Spalte von Fußballergebnissen auf dem Bildschirm.
Die Frage, ob er spielsüchtig sei, verneint Phillip energisch; das Wetten auf Fußballspiele sei lediglich seine Form von Börsenspiel. 20 Euro hat der Student an diesem Abend in insgesamt acht Einzelspiele und eine Kombination von drei Spielen investiert. Außerdem erwartet er noch den Ausgang eines Windhundrennens in Südwales. Mit Lottospielern oder "Oddset"-Tippern will der 28jährige nicht verglichen werden, da er prinzipiell nicht auf deutsche Spiele wettet. Sein Portfolio besteht an diesem Abend aus Wetten, die er in der zweiten italienischen Liga, den ersten Ligen Belgiens, Italiens, der Niederlande und Portugals plaziert hat. Nach über zwei Stunden Beobachtung hat er einen ersten Gefühlsausbruch: "JA! Sampdoria führt in Messina! Ich habe ein Asian Handicap laufen, und außerdem stecken die in meiner Dreierkombi."
Am Ende des Abends kommt doch nur ein Bier für den Beobachter und ihn selbst heraus. Phillip hat aus 20 Euro 14 gemacht - das ist für einen Fonds-Manager eher unbefriedigend. "Der Schnitt muß stimmen, und der hat heute nicht gestimmt. Von elf Spielen sind drei in der Tendenz richtig ausgegangen, aber eben die falschen." Damit meint er, daß es sich nicht um Überraschungssiege handelte, und er somit nur schlechte Quoten hatte.
Sein Börsenspiel kostete ihn bisher bereits eine Freundin und etwa 300 Euro. "Seit wann ich tippe? Seit gut fünf Jahren. Aber ich habe jetzt ein neues System - todsicher! Man muß Fünferkombinationen nur aus Unentschieden-Tips bilden, das gibt immer gute Quoten." Philipp meint, daß die Psychologie des Spielers, in diesem Falle des Teilnehmers an Fußballwetten, grundsätzlich gegen die "Null", also gegen ein Unentschieden sei. Das sei das beste Indiz, denn auf seine Lieblingsmannschaften dürfte man ja schließlich auch nicht wetten. "Nicht wieder pulen!" ruft Sabrina aus der anderen Ecke des Wohnzimmers. Seine Freundin stört sich daran, daß Phillip an der Haut um seine Fingernägel zerrt. "Das tut er immer, wenn er spielt." Sabrina liest einstweilen die "Amica"-Beilage "150 Singles zum Verlieben".
Bei der Antwort auf die Frage nach seinem bisher größten Gewinn wird der Spieler zum Philosophen: "In Relation zur Chance auf das große Geld sind doch schon zwei Euro Gewinn ein Erfolg. Selbst wenn ich mit Plus-Minus-Null ankomme, habe ich doch am Wettlauf um Tausende Euro partizipiert." Sabrina wendet ein, ihr Freund würde in diesem Zusammenhang die hohen Online-Gebühren, die sein permanentes "Livescore-Spotting" versuche, stets außer acht lassen. Tatsächlich geht Phillip darauf nicht ein, sondern plaziert lieber neue Wetten, für die Spiele der Nacht. Es ist ein "Exotic Portfolio": Gimnasia de la Plata gegen Boca Juniors aus Argentinien, dazu noch Spiele aus Mexiko und Japan. Kurz vor Mitternacht gibt er dann doch noch einen aus: "Ben Affleck" hat in Cardiff gewonnen. Windhunde passen ja doch ins Portfolio...
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