William Burroughs´ technologische Revolution: Von Kollaborationen mit Kurt Cobain über eine Cover-Version von "Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt" bis hin zu einem HipHop-Album hat William Burroughs (1914-1997) wohl das vielfältigste musikalische Werk der Beats hinterlassen. Ein Hördurchgang von Ulrich Rois.
18.01.2016
Rokko´s Adventures ist - so steht es im Impressum - eine "unabhängige, überparteiliche sowie übermenschliche Publikation" und "setzt sich mit Leben, Kunst, Musik und Literatur auseinander". Der EVOLVER präsentiert (mit freundlicher Genehmigung) in regelmäßigen Abständen ausgewählte Beiträge.
Die Beat-Literatur zeigt generell ein Naheverhältnis zur Musik; so haben unter anderem auch Jack Kerouac, Anne Waldmann und Allen Ginsberg umfangreiche Diskographien erarbeitet. Was an Burroughs´ Verhältnis zur Musik allerdings besonders erscheint, ist die große Bandbreite an Musikern, die mit ihm zusammengearbeitet haben beziehungsweise sich in ihrem Werk auf Burroughs berufen.
Jazz-Fan Kerouac blieb in seinen musikalischen Unternehmungen in eben diesem Umfeld, Ginsberg und Waldmann beschäftigten sich mit Mantras und Folk-Songs, für Burroughs jedoch schienen der musikalische Stil beziehungsweise das Genre für seine Kollaborationen letztendlich eine untergeordnete Rolle zu spielen. Vielmehr scheint es ihm um die Möglichkeiten des Mediums einer Audioaufnahme an sich und um die Herangehensweise der jeweiligen Künstler an die sich dadurch bietenden Möglichkeiten und Herausforderungen gegangen zu sein.
Auch haben einige von Burroughs´ Arbeitsmethoden Eingang in die Musikproduktion gefunden - und zwar auf unterschiedlichster Ebene. So ist der Prozeß des Sampling, der heute von Avantgarde-Musik bis hin zu Pop-Produktionen kaum aus der Musiklandschaft wegzudenken ist, eng mit der Cut-up-Technik verwandt. Diese wurde zwar nicht von William Burroughs entwickelt, er hat sie allerdings popularisiert, und sie ist in der öffentlichen Wahrnehmung eng mit seinem Werk verbunden. Wenn auch die bekannteste, so war die Cut-up-Technik nur eine von vielen Kompositionstechniken, die Burroughs angewandt hat. Ebenso wichtig für sein Werk waren Routines und Fold-ins. Die einzelnen Begriffe sollen im Folgenden näher erläutert werden.
Routines und Schlupping
Burroughs´ frühe Werke "Junkie" (1953) und das erst viel später veröffentlichte "Queer" sind zwar ebenso faszinierend, aber technisch noch vergleichsweise konventionell. Das Experimentieren mit verschiedenen Arten der Textkomposition begann in vollem Ausmaß bei "Naked Lunch" (1959) wirksam zu werden. "Naked Lunch" hat - wie viele von Burroughs´ Werken - eine äußerst lange und interessante Entstehungsgeschichte. Burroughs hatte den von Jack Kerouac inspirierten Titel schon seit den vierziger Jahren immer wieder für Manuskripte verwendet, an denen er arbeitete. Zu einem Zeitpunkt hätte der Text neben Teilen des schließlich verwendeten Materials auch Teile der dann getrennt erschienen "Yagé Letters", "Queer" sowie einige Outtakes aus "Junkie" enthalten sollen.
Die endgültige Fassung ist, kurz gesagt, eine Gemeinschaftsarbeit zwischen Burroughs, Allen Ginsberg und Jack Kerouac. Den Großteil des Materials schrieb Burroughs in den Jahren 1954 bis 1957 in Tanger und Paris. Er warf die lineare Erzählweise seiner früheren Werke über Bord und begann intensiv an vielen verschiedenen episodischen Erzählungen zu arbeiten, die er "Routines" (Routinen) nannte. Gemeint sind damit "situations extended and exploited to their most surreal and humorous ends": eine Technik, die Burroughs schon bei seinen vorherigen Werken benutzt hatte, die nun aber ganz zentral für sein Schaffen wurde. Die Routines wurden für ihn zu einer absoluten Notwendigkeit, wie er in einem Brief an Ginsberg schrieb: "Routines like habit. Without routines my life is chronic nightmare, grey horror of Midwest suburb ... I have to have receiver for routine. If there is no one there to receive it, routine turns back on me and tears me apart, grows more and more insane (literal growth like cancer) and impossible, and fragmentary like berserk pinball machine and I am screaming: ‘Stop it! Stop it.'"[i]
Dieser notwendige Zuhörer war Ginsberg, der später auch zusammen mit Kerouac die meist auf losen Zetteln, zuerst mit Schreibmaschine und anschließend - nachdem er diese verkauft hatte, um seine Eukodol-Sucht zu finanzieren - handschriftlich festgehaltenen Routines abtippte und zu Kapiteln formte.
Die Routines sind auch ein erster Bezugspunkt zu Burroughs´ Faszination für Seelenwanderung, Zeitreisen und die Verbindung mit Audio-Cut-ups, wie sie später vor allem in der "Word Hoard"-Trilogie ersichtlich wird. Es ist ein gewissermaßen alchemisch-magischer Prozess, der es schafft, sich in der Realität zu manifestieren und nicht rein symbolisch ist, wie er ebenfalls in einem Brief an Ginsberg erklärt: "I´ve been thinking about routine as art form and what distinguishes it from other forms. One thing, it is not completely symbolic; that is, it is subject to shlup over into 'real' action at any time. In a sense the whole Nazi movement was a great, humorless, evil routine on Hitler´s part. Do you dig me? I am not sure I dig myself."[ii] Unter "schlupping" oder "shlupping" verstand Burroughs die vollständige Assimilation einer anderen Person, wie sie unter anderem in der "Bradley the Buyer"-Episode in "Naked Lunch" angedeutet wird.
The D.S. retches into his handkerchief and points to the door with a limp hand. The Buyer stands up looking at the D.S. dreamily. His body begins to dip like a dowser´s wand. He flows forward ...
'No! No!' screams the D.S.
'Schlup ... schlup schlup.' An hour later they find the Buyer on the nod in the D.S.´s chair. The D.S. has disappeared without a trace.[iii]
Es geschieht also eine nicht genauer beschriebene, vollständige Übernahme der Persönlichkeit des District Supervisors. Dieses Konzept spielt in weiten Teilen von Burroughs´ Werk eine große Rolle. Es war für ihn jedoch nicht nur ein literarisches Werkzeug, sondern konnte auf viele Ebenen angewendet werden, wie etwa auf politisch-weltgeschichtlicher Ebene (siehe den oben zitierten Brief an Ginsberg) oder aber auch als ultimatives Ziel einer romantischen Beziehung, sozusagen als engste mögliche Verbindung. Diese Idee des "schlupping" wurde später auch eng mit Burroughs´ Anwendung der Cut-up-Technik verbunden, wie im Folgenden gezeigt werden soll.
1955 begann eine intensive Schreibphase für Burroughs. Laut eigenen Angaben tippte er unter dem Einfluß von Majoun, einer marokkanischen Spezialität aus Honig und Haschisch, bis zu sechs Stunden ununterbrochen seine Routines ab. So entstand eine große Sammlung an Episoden, die als einzige Verbindung meist nur ihren Handlungsort - Interzone, Burroughs´ fiktionalisierte Version von Tanger - gemein hatten. Das Manuskript trug zu diesem Zeitpunkt den Titel "Word Hoard". Teile daraus wurden dann in "Naked Lunch" eingearbeitet, andere Teile bilden einen Großteil von "The Soft Machine" und "The Ticket That Exploded".
1957 zog Burroughs nach Paris, wo er zusammen mit Allen Ginsberg und Gregory Corso in einer Absteige in der Rue Git le Coeur, die durch eben diese Gäste als "Beat Hotel" bekannt werden sollte, hauste. In Paris lernte er unter anderem den Maler Brion Gysin kennen, der zu einem seiner engsten Freunde und größten Inspirationen werden sollte. Gysin machte Burroughs auch auf die Cut-up-Technik aufmerksam, die er selbst schon seit einiger Zeit anwendete.
Cut-up, Fold-in, Ayahuasca und Zeitreisen
Brion Gysin und William Burroughs verband unter anderem eine tiefe Faszination für Magie, Suggestion, Trancezustände, Verwünschungen und andere übernatürliche Phänomene, und sie führten zu zweit viele Experimente in diesen Bereichen durch. Auch ihre Beschäftigung mit Techniken wie Cut-up und Fold-in kann in diesem Zusammenhang gesehen werden. In ihrer Ausführung, aber auch in ihrer Anwendung durch beide Künstler kann man durchaus eine gewisse Ähnlichkeit mit chaosmagischen Ideen attestieren. Burroughs´ Ansicht nach war es auch die Aufgabe eines Autors, Dinge geschehen zu lassen - eine Sicht auf das Schreiben, die einem magischen Akt im Sinne einer Manifestation des Willens entspricht.
Angeblich entdeckte Gysin die Technik unabsichtlich, als er beim Zurechtschneiden von Brettern auch durch einen Stoß alter Ausgaben der "New York Herald Tribune" schnitt. Er las die durch die Schnitte neugeformten Sätze, und diese amüsierten ihn so sehr, daß er fortfuhr, mit dieser Technik zu experimentieren und auch Burroughs davon erzählte, der wiederum ebenfalls sofort von der Idee fasziniert war und damit zu arbeiten begann. 1964 erklärte er in einem Interview die Technik: "Pages of text are cut and rearranged to form new combinations of word and image, that is, the page is actually cut with scissors, usually into four sections, and the order rearranged."[iv] Eine damit verwandte Technik ist das Fold-in, bei dem die Seite eben nicht geschnitten, sondern gefaltet wird. In einer Erklärung hierfür ist auch schon die Verbindung mit dem Element der Zeitreise erwähnt, das dann vor allem in der "Word Hoard"-Trilogie wichtig wird:
The fold-in method extends to writing the flashback used in movies to enable a writer to move backwards and forwards in time. Characters and themes are carried over from one to the other, moving back and forth in time and space, making repeated trips through the same space but in previous times.[v]
Dieses Überlappen von Material findet bei Burroughs nicht nur innerhalb eines Buches statt, es gibt auch einen Austausch zwischen den einzelnen Werken. So taucht zum Beispiel Dr. Benway aus "Naked Lunch" einige Bücher später in "Nova Express" wieder auf. Dies spielt wiederum auch mit den sich immer wiederholenden Routines zusammen, und so kann Burroughs´ literarisches Schaffen auch als Gesamtwerk gesehen werden. Eine Abfolge an Variationen auf einige gleichbleibende Themen, die in ihrer Gesamtheit aber dennoch die Entwicklung eines Geistes nachzeichnet. Man kann diese Technik durchaus auch mit Remixes vergleichen. In der Musik versteht man darunter eine neue Version eines Stücks, die durch das Hinzufügen oder Weglassen einzelner Spuren oder auch durch eine Neuanordnung einzelner Teile (also Variationen des Ursprungsmaterials sowohl in linearer als auch horizontaler Ebene) entsteht. Vor allem seit dem Siegeszug der elektronischen Musik sind Remixes aus der Musiklandschaft nicht mehr wegzudenken; die Technik an sich wurde allerdings schon wesentlich früher angewendet. So gelten zum Beispiel einige Miles-Davis-Alben, die mit dem Produzenten Teo Macero in den späten Sechzigern und frühen Siebzigern entstanden sind, als Wegbereiter dieser Technik. Hier wurde allerdings noch analoges Band geschnitten und neu zusammengesetzt - eine Vorgehensweise, die große Ähnlichkeiten mit den Audio-Cut-ups von Burroughs und Ian Sommerville zeigt. Im Bereich der Avantgarde-Musik hat Karlheinz Stockhausen ebenfalls mit Tape-Manipulationen experimentiert. Es soll hier nicht behauptet werden, daß William Burroughs diese Entwicklungen in der Musik beeinflußte, es geht vielmehr darum, aufzuzeigen, daß er diese technischen Möglichkeiten ebenfalls erkannte und zwar schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt. Auch hat Burroughs diese Experimente in Bereiche geführt, die meiner Meinung nach bislang nur wenig erforscht wurden und auch heute noch revolutionäres Potential haben. So dürften viele seiner Werke auch für Transhumanismus- und Singularitätstheoretiker von großem Interesse sein.
Brion Gysin machte William Burroughs auch mit Scientology bekannt. Eine Zeitlang war Burroughs der Meinung, daß von Scientology angewandte Techniken wie das Auditing der nächste notwendige Schritt für sein Schreiben seien, und versuchte auch Allen Ginsberg davon zu überzeugen. Faszinierend an Burroughs´ Verhältnis zur Scientology ist, wie sehr er einerseits die Techniken annahm, andererseits aber kaum für die Ideologie empfänglich war. Der Einfluß ist aber in vielen seiner Bücher bemerkbar, so scheint zum Beispiel auch die Erfahrung mit dem Auditing einen Einfluß auf seine Audio-Cut-ups und speziell auf die "Mayan Caper"-Episode aus "The Soft Machine" gehabt zu haben.
Ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg zum Audio-Cut-up war die Verbindung zu Ian Sommerville, der zum technischen Berater für Gysins und Burroughs´ Experimente wurde. Er taucht auch in einigen Texten von Burroughs als "The Subliminal Kid" oder "Technical Tilly" auf. In der Danksagung von "The Ticket That Exploded" verweist Burroughs darauf, daß alle in dem Buch angesprochenen Bandmaschinen-Experimente von Sommerville inspiriert wurden.
Burroughs und Gysin begannen mit ersten Tape-Experimenten im Beat Hotel im Herbst 1959 auf Gysins Uher-Bandgerät, aber als Burroughs 1960 nach London ging und Ian Sommerville kennenlernte, intensivierte sich seine Beschäftigung mit dem Medium. Sommerville schenkte Burroughs ein Bandgerät, und in den nächsten Jahren entstand eine Vielzahl an Audio-Cut-ups. Interessant ist, daß Burroughs laut eigenen Aussagen die Tape-Experimente nie als Kunstwerk im eigentlichen Sinn verstand; er benutzte Tapes sehr wenig für sein Schreiben, vielmehr waren sie experimentelle Arbeit im eigentlichen Sinne. Hier kommt wieder die zuvor schon angesprochene Ebene des Magischen zum Tragen. Unter anderem auch von der Methodologie der Scientology, aber auch von seiner Erfahrung mit Ayahuasca inspiriert, wollte Burroughs mit den Tape-Cut-ups Bewußtsein und damit auch die Realität verändern. "We weren´t thinking about art, we were thinking about alterations and the, shall we say the potentialities of the tape-recording for altering addictions, and how they were undoubtedly being used for this purpose by official agencies."[vi]
Für Burroughs stellten die Cut-ups auch eine Möglichkeit dar, die kontrollierenden, unterdrückenden Mechanismen des Status quo zu überwinden, die er unter anderem in der Sprache selbst sah: "Words are the principal agents of control. Suggestions are words. Persuasions are words. Orders are words. No control machine can operate without words."[vii] Die logische Folge war für Burroughs, die Konventionen der Sprache hinter sich zu lassen, und die Cut-ups schienen der perfekte Weg dafür zu sein. Die Intention war allerdings, noch weiter zu gehen und die Sprache komplett hinter sich zu lassen, wie er in einem Interview mit Ginsberg und Gregory Corso 1961 sagte:
The forward step must be made in silence. We detach ourselves from word forms - this can be accomplished by substituting for words, letters, concepts, verbal concepts, other modes of expression; for example colour (Rimbaud stated that in his colour vowels, words quote 'words' can be read in silent colour). In other words, man must get away from verbal forms to attain the consciousness, that which is there to be perceived, at hand.[viii]
Die Danksagung in "The Ticket that Exploded" erwähnt auch Anthony Balch, der wiederum für die Passagen über Filmexperimente als Ideengeber diente. Zusammen mit Balch arbeitete Burroughs in den frühen Sechzigerjahren auch an mehreren Video-Cut-ups. Es entstanden drei Experimentalfilme, "Towers Open Fire", "The Cut Ups" und "Bill and Tony", die die Cut-up-Technik auf unterschiedliche Art in das Medium Film überführen. Die Filme stellen gewissermaßen die umfassendste Auseinandersetzung mit der Cut-up-Technik dar, da sie hier nicht nur auf der Ebene des Filmmaterials selbst, sondern auch noch auf der Text- und Tonebene zum Wirken kommt. So entstand zum Beispiel "The Cut Ups" aus vier Spulen Film, die in viele gleich lange Teile zerschnitten wurden und danach abwechselnd - also immer jeweils ein Stück einer Spule, danach wieder von vorne - zusammengeklebt wurden. Der Soundtrack wurde von Burroughs, Sommerville und Gysin erstellt und beruht auf der Permutation von gelesenen Phrasen.
In einigen Episoden der aus dem "Word Hoard"-Manuskript entstandenen Cut-up-Trilogie werden Audio-Cut-ups als Möglichkeit des Zeitreisens dargestellt. Das beste Beispiel hierfür ist wohl die "Mayan Caper"-Episode aus "The Soft Machine". Am Anfang des Kapitels wird die Verbindung von Zeitreisen und Fold-in-Technik erklärt:
I started my trip in the morgue with old newspapers, folding in today with yesterday and typing out composites - When you skip through a newspaper as most of us do you see a great deal more than you know - In fact you see it all on a subliminal level - Now when I fold today´s paper in with yesterday´s paper and arrange the pictures to form a time section montage, I am literally moving back in time back to yesterday - I did this eight hours a day for three months - I went back as far as the papers went - I dug out old magazines and forgotten novels and letters - I made fold-ins and composites and I did the same with photos. [ix]
Auch hier führen die Text-Cut-ups weiter zu Zeitmanipulationen von Video- und Audio-Aufzeichnungen:
The next step was carried out in a film studio - I learned to talk and think backward on all levels - This was done by running film and sound track backward - For example a picture of myself eating a full meal was reversed, from satiety back to hunger - First the film was run at normal speed, then in slow motion - The same procedure was extended to other physiological processes including orgasm (...) For three months I worked with the studio - My basic training in time travel was complete and I was now ready to train specifically for the Mayan assignment.[x]
Der letzte Schritt vor der eigentlichen Zeitreise, die letztendlich zum Ziel hat, die Kontrollinstanzen des Maya-Imperiums zu zerstören, ist die Verschmelzung des Protagonisten mit einem Maya-Jugendlichen. Hier ist schließlich die Verbindung der Cut-up-Technik mit dem zuvor erwähnten "Schlupping” eindeutig hergestellt. Dies ist wiederum eng mit dem Sexualakt und der Wirkung von psychoaktiven Substanzen verbunden - eine Verbindung, die Burroughs seit den Entwürfen zu "Queer" und "The Yagé Letters" stark faszinierte. Als Vorbereitung werden die Stimmen des Jugendlichen und des Protagonisten auf einem Bandgerät aufgezeichnet und übereinandergelegt, bis schließlich kein Unterschied mehr feststellbar ist. Danach wird von Audio-Cut-ups zu Video-Cut-ups übergegangen: "We followed the 'Take' to a studio in the same building equipped with a 35 millimeter movie camera and Mayan backdrops - He posed us naked in erection and orgasm, cutting the images in together down the middle line of our bodies."[xi]
Schließlich wird der Transfer vollzogen, und auch hier finden sich wieder - wenn auch der genaue Vorgang mysteriös bleibt - Anspielungen auf Audiotechnik, die Überwindung der Sprache und die vollständige Verschmelzung zweier Individuen, das Schlupping:
At the end of three weeks he indicated the time has come to operate - He arranged us side by side naked on the operating table under floodlights - With a phosphorescent pencil he traced the middle line of our bodies from the cleft under the nose down to the rectum - Then he injected a blue fluid of heavy cold silence as word dust fell from demagnetized patterns - From a Polar distance I could see the doctor separating the two halves of our bodies and fitting together a composite being - I came back in other flesh the lookout different, thoughts and memories of the young Mayan drifting through my brain.[xii]
Wie in der Episode erklärt wird, beruht die Kontrollmaschinerie der Maya auf komplexen technischen Vorgängen, die allerdings von der herrschenden Klasse der Priester nicht verstanden werden. Die Priester sind fähig, Knöpfe zu drücken und die Maschine am Laufen zu halten, sie könnten aber eine Fehlfunktion nicht wieder beheben. Es wird also das Bild einer Gesellschaft mit komplexen Kontrollinstanzen gezeichnet, die jedoch von der reibungslosen Funktion ihrer Maschinen abhängig ist. Hier setzt das Potential des Saboteurs an, der die Maschinen zu beherrschen weiß. Der Protagonist macht Ton- und Bildaufnahmen der verschiedenen Kontrollmechanismen und verwendet diese schließlich, um Cut-ups anzufertigen, die wiederum ihre manifestierende Kraft entfalten und das Kontrollsystem der Maya zerstören:
Equipped now with sound and image track of the control machine I was in position to dismantle it - I had only to mix the order of recordings and the order of images and the changed order would be picked up and fed back into the machine - I had recordings of all agricultural operations, cutting and burning brush etc. - I now correlated the recordings of burning brush with the image track of this operation, and shuffled the time so that the order to burn came late and a year´s crop was lost - Famine weakining control lines, I cut radio static into the control music and festival recordings together with sound and image track rebellion.[xiii]
Es soll noch einmal betont werden, daß die Cut-ups und Fold-ins für Burroughs mehr als bloß literarische Techniken waren - sie wurden für einige Jahre lang zu der Basis seiner Weltanschauung. Wie zuvor auch die Routines, da ja ursprünglich aus einer Art Rollenspiel entstanden, wurden auch diese Techniken in seinen Alltag integriert. Wie zuvor schon angesprochen, versuchte Burroughs durch Cut-ups unter anderem Gewohnheiten und Machtstrukturen aufzulösen und sich selbst, aber auch andere von Abhängigkeiten zu befreien. Auf persönlicher Ebene war dies für Burroughs seine Heroinabhängigkeit, gegen die er einen Großteil seines Lebens ankämpfte. Während der Arbeit an der Trilogie machte er mehrere Entziehungskuren mit Hilfe von Apomorphin, das auch seinen Weg in die Texte fand und dort vor allem in Verbindung mit Cut-ups sowie Audio- und Video-Equipment eine Waffe im Kampf gegen die Kontrollinstanzen des Nova Mob darstellt. Bereits seit "Junkie" war die äußerst offene und ehrliche Auseinandersetzung mit Drogen ein zentrales Thema in Burroughs´ Schreiben. Abhängigkeiten, Macht und Kontrolle hingen für ihn eng zusammen - und im Durchbrechen eben dieser Strukturen konnte die Hoffnung auf eine Überwindung der Abhängigkeit, sowohl von Drogen als auch von anderen Machtstrukturen wie der sozialen Ordnung und selbst der Sprache gesehen werden. Was die Cut-ups und Fold-ins für die Sprache taten - die Auflösung der herkömmlichen Struktur - sah Burroughs auch als Potential auf der Ebene der psychoaktiven Substanzen in den psychedelischen Drogen, insbesondere aber in Yagé beziehungsweise Ayahuasca gegeben. Bereits in "Junkie" wird das DMT- und harmalinhältige Getränk aus dem Amazonasgebiet als ultimative Lösung, als "final fix" angesehen: "Maybe I will find in yage what I was looking for in junk and weed and coke. Yage may be the final fix."[xiv]
1953 reiste Burroughs nach Südamerika auf der Suche nach der legendenumwobenen Droge - dies geschah zu einem Zeitpunkt, lange bevor synthetisches DMT populär wurde - und schilderte seine Eindrücke in Briefen an Allen Ginsberg. Dieser unternahm dann sieben Jahre später eine ähnliche Reise und schrieb wiederum an Burroughs. Diese Korrespondenzen und einiges anderes Material umfassen die "Yagé Letters". Als Ginsberg in einem Brief an Burroughs seine Erlebnisse mit Ayahuasca schildert und über die Angst spricht, nicht wieder zu einem "normalen" Bewußtseinszustand zurückkehren zu können, antwortet Burroughs, daß es keinen Grund zur Angst gäbe, und fügt eine kurze Anleitung zur Cut-up-Methode und Material, das Ginsberg damit bearbeiten sollte, hinzu. Für ihn waren die grenzenlösende Wirkung psychedelischer Drogen und die Cut-ups eng miteinander verbunden, und auch für Ginsberg stellte diese Erfahrung ein prägendes Erlebnis dar, das großen Einfluß auf sein literarisches Schaffen hatte.
Auch hier war Burroughs wieder seiner Zeit voraus, aber wenige Jahre später sollten im Zuge der psychedelischen Revolution der sechziger Jahre viele seiner Themen, Theorien und Techniken Eingang in die Populärkultur finden. Diese psychedelische Ebene der Cut-ups ist zwar nicht die alleinige Erklärung - eine Vielzahl an technischen und kulturellen Faktoren spielt hier mit -, aber doch eine wichtige Komponente in der Entwicklung beziehungsweise der Beschäftigung mit Produktionsmethoden in der Musik, die starke Ähnlichkeiten zu Burroughs´ Methoden aufweisen. Bereits angesprochen wurde Miles Davis´ Album "Bitches Brew", das von dem Produzenten Teo Macero und Davis in mühevoller Kleinarbeit aus verschiedenen Aufnahmesessions collagenartig zusammengeschnitten wurde. So entstanden neue Strukturen, die so nicht live gespielt wurden, sondern eben durch die Neuanordnung bestehender Aufnahmen erschaffen wurden. "Bitches Brew" erschien 1968, im gleichen Jahr wie "Anthem of the Sun", das zweite Album von Grateful Dead. Auch bei diesem Album wurde intensiv mit Studiotechnik experimentiert. So wurde zum Beispiel die zentrale Nummer "The Other One" aus verschiedenen Aufnahmen von Live-Konzerten und Studio-Sessions zusammengesetzt.
Recording Artist William Burroughs
Burroughs wird zwar meist vorrangig als Autor behandelt, jedoch ist die medienübergreifende Natur seines Werkes eines seiner auffallendsten Merkmale. So entstanden neben seinen Büchern auch die schon erwähnten Filme, Gemälde und eine umfangreiche Diskographie. Sein erstes Album war das 1965 entstandene und erschienene "Call Me Burroughs", ein Spoken-Word-Album mit Passagen aus "Naked Lunch", "The Soft Machine" und "Nova Express".
In den Achtzigern arbeitete Burroughs mit Laurie Anderson auf deren Album "Mister Heartbreak" und steuerte Spoken-Word-Stücke und einen Kurzauftritt zu ihrem Konzertfilm "Home of the Brave" bei.
Erwähnenswert ist auch das 1990 erschienene Album "Dead City Radio". Hier handelt es sich um Lesungen von Burroughs, die mit unterschiedlichem musikalischen Material unterlegt wurden. Hier wirkten unter anderem Sonic Youth, John Cale, Donald Fagan und Lenny Picket mit.
Ein weiteres interessantes musikalisches Dokument ist das 1993 erschienene Album "Spare Ass Annie and Other Tales", eine Kollaboration zwischen Burroughs, Produzent Hal Willner und der Industrial-HipHop-Formation The Disposable Heroes of Hiphoprisy.
1993 erschien "The 'Priest' They Called Him", eine 10-Inch-EP, die in Zusammenarbeit mit Kurt Cobain entstand. Burroughs liest seine gleichnamige Kurzgeschichte, die ursprünglich in "Exterminator!" erschienen war und die Geschichte eines Junkies zur Weihnachtszeit erzählt. Cobain steuert auf "Stille Nacht" und "To Anacreon In Heaven" basierende Gitarrenimprovisationen bei. Die EP wurde nicht gemeinsam aufgenommen, sondern Burroughs sprach seinen Teil im September 1992 in Lawrence, Kansas ein - und Cobain spielte die Gitarrenparts im November 1992 in Seattle, Washington ein.
An diesem kurzem Überblick kann man erkennen, daß das Interesse an Burroughs’´Werk stets in vielen unterschiedlichen Bereichen der Musik groß war. Neben den Kollaborationen gibt es auch viele Bands, die sich thematisch auf Burroughs beziehen. Auch als Namensgeber wurden seine Werke gerne herangezogen, wie man am Beispiel von The Soft Machine oder Steely Dan sehen kann.
Es wäre faszinierend zu sehen, wie Burroughs auf die enormen technologischen und gesellschaftlichen Veränderungen der vergangenen 15 Jahre reagiert hätte. Viele Entwicklungen im Zusammenhang mit der flächendeckenden Verbreitung des Internet und auch Social Media scheinen fast in einigen von Burroughs´ Werken vorausgeahnt. Jedenfalls hat seine Dichtung nach wie vor großes revolutionäres Potential, sowohl auf künstlerischer als auch auf gesellschaftlicher Ebene, und wird wohl weiterhin eine große Faszination auf Kunstschaffende aus allen Sparten ausüben, die an einer Überwindung der herrschenden Kommunikations- und Machtstrukturen interessiert sind.
Es gibt nicht nur Puffs und Swingerclubs, sondern auch die freie Wildbahn: geheime Sexorte im öffentlichen Raum, wo man sich selbst aktiv betätigen oder als Voyeur in Erscheinung treten kann. Diese Plätze zu finden erfordert Zeit, Geduld - und im besten Fall Anstand. Rokko führte ein Gespräch mit einem, der den Wiener Dschungel schon seit Jahrzehnten durchkreuzt.
Dr. Stanley Burns hat sich in seinem unauffälligen Sandsteinhaus in Manhattan seine eigene Sammlung geschaffen, in der er arbeitet, lebt, und atmet. Darin zu finden: mehr als eine Million historische Photos aus existentiellen, medizinischen, kriegerischen und kriminellen Prozeduren, die die menschlichen Entwicklungen von 1850 bis 1950 schonungslos dokumentieren - und damit auch die Gegenwart sowie zukünftige Entwicklungen bzw. Dummheiten besser begreifbar machen.
Freddy Quinn, ein internationaler Star, der zu Journalisten ein distanziertes Verhältnis pflegt, sich mit seiner Kunstfigur von der Außenwelt abschottet, seine Frau öffentlich nur als "meine Managerin" siezte, ist im September 2016 ganze 85 Jahre alt geworden. Ein exklusives Fest mit einstelliger Gästelistenzahl im geheimen Szenelokal? Falsche Fährte. Gefeiert wird mit Liptauerbrot und Dosenbier in einem Gemeinschaftsraum im Wiener Wohnpark Alt-Erlaa, den das Pensionistenehepaar Brigitta und Eduard Klinger gestaltet.
Wo hat Rokko das erste Mal Country Teasers quengeln, Sleaford Mods fluchen, Amanda Whitt wüten, Steel Pans im Getümmel bei einer West Indian Day Parade gehört? Nicht draußen - und nicht im Wohnzimmer eines Vertrauten, sondern auf WFMU. Dieser Radiosender funktioniert aber im Grunde genauso: als würde man daheim bei einem Haberer sitzen, der einem seine Lieblingsplatten vorspielt.
Wenn etwas weggeschmissen wird, heißt das nicht, daß es weg ist. Erst dann fängt nämlich ein interessanter Verwertungsprozeß an, der auf mehreren Ebenen funktioniert. Diesen Vorgang wollte sich Team Rokko genauer ansehen.
Preisfrage: Was haben Mike Tyson, Nikola Tesla und Willy Brandt gemeinsam? Richtig: allesamt Taubenzüchter. Team Rokko hat für Sie einige spannende Geschichten zum Thema "Männer, ihre Vögel und die Pigeon Fancier Convention in Blackpool" auf Lager. Fliegen Sie mit ihm los!
Kommentare_