Stories_Willard Grant Conspiracy

Konspirative Umtriebe

Country noir? Gothic Folk? Americana? Egal. Diese Band verdient es, gehört und gesehen zu werden. Zu Hause darf man dann die eine oder andere Träne zerdrücken - weil schöner die Glocken der Melancholie selten klingen.    30.11.2009

Die Autorin dieser Zeilen hat die Willard Grant Conspiracy zum ersten Mal 2003 gehört - es fing mit dem damals aktuellen "Regard The End" an und führte zum Kauf früherer CDs. Als im Jahr darauf eine Europatournee angekündigt wurde, wollten sofort Karten für diese beeindruckende, warme, dunkle und heimelige Band erworben werden. Überraschenderweise gab es jedoch nicht einmal einen Vorverkauf ...

Man kennt eine Menge leidvoller Geschichten über Lieblingslieder, die bei Konzerten, wenn überhaupt, dann als zweite Zugabe gespielt werden - und häufig in einer Fassung, die nicht mehr viel mit dem zu tun hat, was man liebt. Die Conspiracy begann ihr Münchner Konzert im April 2004 mit einem damaligen (und heutigen) Lieblings-Song, der absolut einzigartig klang. Wie sich bei Gigs der kommenden Jahre herausstellte, spielt die Band immer derart langsame und intensive Opener, legt aber später gelegentlich auch ganz ordentlich und druckvoll los.

Willard Grant Conspiracy wurden 1995 in Boston gegründet und benannten sich nach einer Straße, in der sie übten. Gründungsmitglieder waren Robert Fisher (voc.) und Paul Austin (git); rund um die beiden versammelte sich ein umfangreiches Musikerkollektiv: James Apt, Simon Alpin, Chris Brokaw, Dennis Cronin, David Michael Curry, Chris Eckman, Edith Frost, Kristin Hersh, Josh Hillman, Jess Klein, Jackie Leven, Malcolm Lindsay, Peter Linnane, Nathan Logus, Mary Lorson, Erik van Loo, Terri Moeller, Yuko Murata, Sean O’Brien, Pete Sutton, Carla Torgerson, Jason Victor, Pete Weiss, Steve Wynn und andere. Die Besetzungen, live und im Studio, variieren. Auf vielen CDs ist der Vermerk zu finden: "Wenn jemand behauptet, bei uns mitgespielt zu haben, so stimmt das wahrscheinlich." Die musikalische Partnerschaft von Fisher und Austin währte bis 2002, als Austin sich den inzwischen aufgelösten Transmissionary Six anschloß. Somit ist Robert Fisher als einziger Musiker übriggeblieben, ohne den bei WGC gar nichts geht. Der Singer/Songwriter (für den die Band aber immer im Vordergrund steht) wuchs im Kalifornien der 60er Jahre auf und hat daher einen reichhaltigen musikalischen Hintergrund.

 

EVOLVER: Du betonst immer sehr stark das "Wir" von Willard Grant, dieses musikalische Kollektiv. Da hört man einen sehr großen Respekt allen Musikern gegenüber heraus, die bei WGC spielen. Aber aller Erfahrung nach brauchen Kollektive meist einen Cheforganisator, der alles in der Hand hat. Du hast lange Zeit mit Paul Austin bei WGC zusammengearbeitet. Wie wichtig für deine Musik ist ein Partner?

Robert Fisher: Zusammenarbeit macht einfach große Freude, und ich betrachte jeden in der Band als Mitarbeiter. Einige waren Koautoren, wie Paul Austin und Malcolm Lindsay, andere sind Teil der musikalischen, kollektiven Zusammenarbeit wie Chris Eckman. Recht viel mehr kann ich eigentlich nicht dazu sagen. All diese Prozesse der Zusammenarbeit müssen von jemandem angeregt, geformt, sorgfältig gepflegt und dokumentiert werden - und ich schätze, das ist meine Aufgabe. Ich bin der Katalysator.

 

Die erste CD von Willard Grant Conspiracy ist mittlerweile vergriffen, das zweite Studioalbum (ebenfalls auf Rykodisc) folgte 1998 mit "Flying Low". Bereits hier finden sich einige WGC-Klassiker, die live immer noch gespielt werden, wie das wunderschöne, tränentreibende "Evening Mass" und "The Monster Inside": starke Sucht- und Suchenummern. Bereits hier klingen die Grundthemen an: Außenseiter, Abhängigkeiten, kleine Leben; bereits hier ist der typische WGC-Sound voller dunkler Wärme zu finden, viele akustische Instrumente, wenn elektrisch verstärkt, dann maßvoll, immer im Sinne des Gesamten. "Mojave" (1999) und "Everything´s Fine" (2000) ähneln einander: schöne, starke Lieder, schöne starke Texte, eine schöne starke Stimme, die immer weniger verfremdet/verzerrt wird. Der musikalische Stil ist mit "Americana" umschrieben worden, aber auch mit "Gothic Country/Folk" oder "Swamp noir", und ist in der Indie- und Alternativszene verankert. Seit 2003 sind WGC in Europa beim Glitterhouse-Label; neben den Studio- gibt es einige Live-Alben.

Robert Fisher schreibt ebenso einfache wie gute Songs. Wenn er zeitnahe Kollegen (Dylan, van Zandt, Cash, American Music Club) oder Traditionals covert, dann wird die Reverenz zum Ursprung zwar deutlich, gleichzeitig klingen Fishers Versionen aber eigen und typisch, nach WGC eben. Immer ist da diese ganz unverwechselbare Handschrift eines "richtigen" Maßes, eine künstlerische Gesamtchoreographie wie eine goldene Mitte in einer ganz besonderen Ausprägung. Bemerkenswert ist Fishers tiefe, unglaubliche warme Stimme, die er unspektakulär, uneitel einsetzt, was nicht vielen an seiner Stelle gelingen würde. Natürlich läßt er sich in der Tradition aller dunklen Poeten, sterbenden Schwäne und Troubadoure verorten, nur fehlen zum Glück deren offener/latenter Narzißmus und alle Theatralik, alles pubertär Weinerliche, geschmerzt-eitle Gepose, was mitunter reizvoll sein kann, bei zuviel in Szene gesetztem Weltschmerz aber ermüdend stereotyp wirkt. Fishers Musik ist eine erwachsene, und sie ist die Musik eines Überlebenden.

 

Der "Visitor" ("Mojave") braucht nur ein Minimum an Akkorden und Worten, um eine Situation zu skizzieren. Kommt nun wirklich das ganz andere, das Bedrohliche in den eigenen Raum hinein, ist es schon im eigenen Raum, oder handelt es sich um den gefährlichen Anteil des Selbst, der auf einmal zuschlägt, einen Rückfall? Musikalisch explodiert oder implodiert das Lied, was live besonders beeindruckend ist. Ja, und dann hat sich die Situation wieder geklärt, ist die Gefahr vorbei, wobei Fisher keine Anhaltspunkte gibt, warum. Es bleibt der Phantasie, den Freiheiten und Möglichkeiten der Zuhörer überlassen, die lyrische Miniatur aufzufüllen.

 Die WGC-Inhalte sind, wie gesagt, keine leichten, flockigen. Die Texte kreisen oft um Selbstmörder und andere Todeskandidaten, um die, die gern vergessen werden, um menschliche Extremsituationen, die fast zeitlos und eben deshalb allgemeingültig wirken, um innere und geheime Kammern. Bei WGC geht es nicht um die Sieger im Leben, was dem American way of life, der uns so überreichlich und global in den Massenmedien präsentiert wird, diesem schnellen Glück, gegenübersteht. Bei WGC könnte es durchaus um die zu kurz Gekommenen gehen, die so ihre Stimme erhalten, eine Erinnerung, letztlich ihre Würde und Bedeutung. In einem sehr tiefen Sinne ist da also durchaus ein politischer oder sozialer Hintergrund herauszuhören.

 Ein Song ("From A Distant Shore") vom eher rockigen Album "Let It Roll", das ansonsten auch ungewohnt frohe Töne enthält und eine latent hysterische E-Gitarre, wurde direkt als Protestsong aufgefaßt, als Kritik an der Kriegspolitik der Bush-Regierung. Dabei setzt er doch eher dem unbekannten, universellen Soldaten ein Denkmal, der - von einer einsamen Trompete umflort - auf seinem Posten ausharrt, bis es nichts mehr zu sagen gibt. (Das dazugehörige Video verdient einen Preis für Geschmack, Dezenz und Eindringlichkeit!)

 

EVOLVER: In einem Interview mit dir stand zu lesen, daß es einzig Steve Earle wäre, der noch Protestsongs schreibe ... Für das Lied, das als dein Protestsong gehört wurde ("From A Distant Shore") hast du das Bürgerkriegsthema gewählt, ein inneramerikanisches Thema, ein Thema der Vergangenheit. Warum?

Robert Fisher: Das stimmt nicht so ganz ... Steve Earle ist einer der wenigen, die gute Protestsongs schreiben, weil seine Songs nicht ausgesprochen politisch sind, sondern menschlich. Ich habe den Bürgerkrieg oder irgendeinen Nationalitätenkonflikt im Text zu "From A Distant Shore" nicht ausdrücklich erwähnt. Diese Verbindung wurde hergestellt, weil die Leute halt in Interviews gelesen haben, der Song handle - in etwa - von einem Brief aus dieser Zeit. Aber ich habe den Text selbst verfaßt und nicht aus einem bereits geschriebenen Brief übernommen. Die Idee eines Briefs nach Hause, in der Nacht vor einer Schlacht, drückt das ganze Dilemma des Krieges aus, wenn Menschen, die dieselben unmittelbaren Bedürfnisse und Sorgen haben, befohlen wird, einander umzubringen. Alle Kriege bedeuten Bruder gegen Bruder an vorderster Front. Der Song wurde ohne eine genaue historische Zeit geschrieben, aus genau demselben Grund, warum ich einen Steve-Earle-Song wie "Ellis Unit One" bewundere. Man kann ihn verstehen, ohne durch eine zeitliche Verortung und nationalistische Vorurteile behindert zu sein.

 

Robert Fisher hat immer wieder mit anderen Musikern zusammengearbeitet, nicht nur, was das WGC-Kollektiv anbelangt. Bei der CD "Pilgrim Road" (Glitterhouse 2008) war der Schotte Malcolm Lindsay, der aus der klassischen Musik kommt, sein musikalischer Partner. Meist gibt es bei solchen (grob gesprochen) Rock-meets-Classic-Konstellationen orchestralen Bombast und grenzenlose Dramatik, werden alle Möglichkeiten bis zum Extrem ausgefahren. Fisher und Lindsay sind eher mehrere Schritte zurückgetreten, haben ein Minimum gesucht und gefunden. "Pilgrim Road" ist ein Meisterwerk an ganz bewußter und gelungener Reduktion und enthält traumhaft hingetupfte, zeitlose Lieder, die umso grandioser wirken können, weil sie sparsam sind. Da ist zum Beispiel der Gospel-ähnliche Song "Where Is My Great Deceiver", der nur Fragen aufwirft. Ja, wo sind sie denn, wo sind Versuchung und Täuschung und Gott? Fragen, die in einer Lebensmitte auftauchen können, wenn es keine Gewißheiten mehr gibt; Fragen, die sich wiederholen, aber keine Antworten ...

Was alle Schwere ausgleicht oder - besser gesagt - ergänzt, sind eben dieser warme Sound und die Art der Präsentation. Robert Fisher sitzt fast in der Art eines Autors vor seinem Mikrophon, den Kopf oft in diesem typischen Lesungswinkel geneigt, wie nach innen gerichtet. Das schafft eine seltene Intensität. Bei seinen zahlreichen Ansagen aber wendet er sich ans Publikum, ist ironisch, leise sarkastisch, witzig. Wenn er sich selbst inszeniert oder eine Bühnenpersönlichkeit geschaffen hat, so ist ihm dies auf eine äußerst glaubwürdige Weise gelungen. Es ist die Gesamtheit dieser WGC-Anmutung, die dich nach einem Konzert, einer CD - neben allem ästhetischen Genuß - nicht etwa verzweifelt, sondern eben seltsam getröstet und geradezu beheimatet nach Hause entläßt.

 

EVOLVER: Von all deinen Alben ist mir "Pilgrim Road" am liebsten und wichtigsten. Aber es klingt so ewig und final, daß ich ein bißchen besorgt bin, was danach noch kommen kann, welche Art von Musik, welche Texte ...

Robert Fisher: Ich bin selbst völlig ahnungslos, was als nächstes für uns kommen kann. Es ist immer eine Art Geheimnis, das sich selbst löst, wenn es fertig ist.


Die "Pilgrim Road"-Tour im Frühjahr 2008 mit dem über zehnköpfigen Pilgrim-Road-Orchestra (und Howe Gelb als Support) hatte ihren Schwerpunkt in Großbritannien. WGC haben ihr Publikum vor allem in Europa, weil hier die Nischen zahlreicher sind, das kulturelle Klima freier, die Möglichkeiten für nicht-mainstreamige Kunst besser: WGC spielen selten in Fishers Heimat Amerika, was nicht nur daran liegt, daß ein großer Teil der aktuellen Line-ups aus europäischen Musikern besteht, und sie spielen in kleinen Clubs.

 

EVOLVER: Gibt es für Bands irgendwelche Möglichkeiten, im Musikgeschäft der Majors mitzuhalten? Was kann man tun, um zu überleben?

Robert Fisher: Diese Frage ist unmöglich zu beantworten, weil ich nie Teil des Major-Busineß gewesen bin und mich selbst kaum als Teil des Minor-Busineß sehen kann. Ich weiß nicht, wie Bands überleben. Ich weiß, daß wir nur weiterbestehen, weil ich stur genug bin, um mich weiterhin den Songs, dem Publikum, den Musikern, den Promotern und Labels verpflichtet zu fühlen, die sich entschlossen haben, diesen Weg mit uns zu gehen, und eine Möglichkeit finde, die Fehlbeträge aus den Einkünften meines anderen Jobs (Immobilienmakler; Anm. d. Autorin) auszugleichen.

EVOLVER: Wie wichtig ist Erfolg, gerade was das große Geschäft anbelangt, für dich? Euer Publikum hat es ja in den kleinen Hallen wahrscheinlich besser ...

Fisher: Ich habe keinerlei Interesse daran, irgendwie obskur oder eine Art Privatvergnügen für Plattensammler und Fans zu sein, weil ihnen dieses Obskure erlaubt, zu einem kleinen und exklusiven Klub zu gehören. Die Musik und die Leute, die sie spielen und sich dabei aufopfern, verdienen mehr als das - und deshalb arbeite ich so hart, wie ich das eben tue, um ein Publikum für die Songs zu finden. Auf der anderen Seite habe ich kein Interesse an Bekanntheit, nur um eben berühmt zu sein. Das ist eine leere und sinnlose Jagd - eine, bei der ich mir nicht einmal vorstellen kann, zu irgendeiner Zeit, an irgendeinem Ort dabei zu sein. Ich hätte auch nicht die leiseste Ahnung, wo ich bei dieser Jagd ansetzen sollte. Schließlich haben Kunst und Künstler kaum eine Wahl, wie sie von ihrem Publikum wahrgenommen werden. Sie können die Wahrnehmung beeinflussen, aber letztlich setzt sich das Endergebnis aus Geschichte, harter Arbeit und wahrscheinlich auch Glück zusammen. Außerdem sieht oder hört das Publikum ohnehin, was es will.


"In einer besseren Welt wären Willard Grant Conspiracy schon längst in den Charts." Sätze wie diese liest man immer wieder - und sie haben nicht zuletzt mit den Live-Auftritten der Band zu tun. Die sind von einer seltsamen, bisweilen magischen Intensität gekennzeichnet, die Zuhörer zwischen geschätzten zwanzigplus und fünfzigplus Jahren zu fesseln vermag. Und es läßt sich tatsächlich kaum in Worte fassen, wie leise so viele Menschen in einem Club auf engem Raum sein können. Also: Sollten Sie je die Möglichkeit bekommen, WGC live sehen zu können - ergreifen Sie sie! Diese Band hat es wahrlich verdient. Und Sie auch.

Helga Laugsch

Diskographie


3m Sunday@Fortunes Otto´s (Rykodisc, 1996)

Flying Low (Rykodisc, 1998)

Weevils In The Captain´s Biscuit (Return to Sender, 1998)

Mojave (Rykodisc, 1999)

Radio Free WGC (EP, Rykodisc, 1999)

Color Of The Sun (EP, Rykodisc, 1999)

The Green, Green Grass Of Slovenia (Live, Glitterhouse, 2000)

Everything´s Fine (Rykodisc, 2000)

Live 2001 - Amsterdam and Aberdeen (Tour-Only-Live-Album, Selbstverlag, 2001)

In The Fishtank 8 (Touch And Go, 2002)

Regard The End (Glitterhouse, 2003)

From A Distant Shore: Live In The Netherlands (Live, Glitterhouse, 2004)

There But for The Grace Of God (Best-of, Glitterhouse, 2004)

Let It Roll (Glitterhouse, 2006)

Pilgrim Road (Glitterhouse, 2008)

Paper Covers Stone (Glitterhouse, 2009)

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