Stories_Auslandseinsatz
Brutalität am Hermon
Ich habe Maschinenbau studiert und bin auf all das hier nicht angewiesen. Schließlich habe ich im Gegensatz zu Ihnen etwas Vernünftiges gelernt. Außerdem bin ich voll und ganz davon überzeugt, richtig gehandelt zu haben ... 20.01.2011
Der Tod hat nämlich keinen Anstand und keine Manieren, der klopft nicht an, der kommt unangemeldet. Der Knackpunkt - und das sollten Sie bei Ihrer Untersuchung keinesfalls außer Acht lassen - ist der, wo man dem Fahrer seine zwanzig Patronen abnehmen muß, um weiterschießen zu können. Der Fahrer hat ebenfalls eine Glock und eben diese zwanzig Patronen im Magazin.
Man darf ihn um diese zwanzig Patronen nicht bitten. Dann bekommt man sie nämlich nicht, sage ich Ihnen. Man muß sich sagen, der Fahrer ist ein Tier.
Für einen Mitteleuropäer ist das natürlich schwer. Der Fahrer ist ein Tier. Er ist vielleicht mit dem Musterkoffer eines keramischen Betriebes auf und davon, hat wahrscheinlich seine Freundin geschlagen, geschwängert und verlassen. Das Hirn des Fahrers, muß man sich sagen, ist Gatsch, er hat weit mehr als ein Kampftrinken zuviel gewonnen. Wie ein englischer Offizier muß man ganz nahe an die Visage des Fahrers heran. Und dann losbrüllen, was die Stimmbänder nur hergeben.
Peinlich, aber wirksam, sage ich Ihnen. Ein Reifenplatzer nach Mitternacht auf einer Patrouillenfahrt zum Mount Hermon ist ja schließlich kein Honigschlecken. Nicht, daß ich oder der Fahrer Spundus davor gehabt hätten, die restliche Nacht im Jeep zu verbringen, obwohl es auf den Höhen ganz schön kalt werden kann. Aber die wilden Hunde lassen das nicht zu. Mit ihren großen, hungrigen Augen haben sie aus den Minenfeldern auf unsere Scheinwerfer gestarrt.
Immer wieder greifen sie Beduinen, Hirten und deren Tiere an. Am Tag könnte man sie mit dem Sturmgewehr schön erledigen, aber sie verkriechen sich und sind nur nachts aktiv. Gelbbraune, dürre, verdreckte Körper sollen sie haben, schmale, lange Köpfe und schwarze Reißzähne. Voriges Jahr haben wir in der Gegend einen Schmuggler gefunden, der eine Ladehemmung gehabt hat. Kein schöner Anblick, kann ich Ihnen sagen. Es sind oft zwei, drei Dutzend Hunde in einem Rudel. Man kann nur auf ihre verfluchten Augen in der Dunkelheit schießen. Dann ziehen sie sich zurück, aber nur für einen Moment. Sie kommen immer wieder.
Ich habe mein Magazin mit den zwanzig Patronen leergeschossen, während der Fahrer in fieberhafter Eile versucht hat, den Reifen zu wechseln. Ich habe mich bewußt dafür entschieden, über Funk keinen Entsatz anzufordern. Schließlich bin ich Milizoffizier und kein Schwammerl. Wozu habe ich die Streifen denn? Mit den Patronen des Fahrers bin ich auf vierzig Schuß gekommen. Das hat schließlich gereicht, um den Reservereifen zu montieren.
Ich habe ihn nicht einmal ungern gemocht, aber in der Situation muß man sich sagen, der Fahrer ist ein Tier. Alle zwei Wochen werden die Tiere für zwei Tage aus dem Camp gelassen. Um sich in den Puffs diverser in der Bibel erwähnter Städte hemmungslos zu besaufen und Krawalle, kindische Schlägereien und schlimme Autounfälle zu veranstalten. Gelegentlich gibt es Verluste auf unserer Seite. Wenn die Israelis in einer Bar plötzlich losbrüllen und ihre Waffen ziehen, wirft man sich am besten auf den Boden und bleibt still liegen. Wenn man davonrennt, läuft man Gefahr, als Attentäter erschossen zu werden.
An der Grenze beschlagnahmen die Syrer alles mit hebräischer Aufschrift. Fruchtsäfte, Müsliriegel, Zigaretten. Alkohol sowieso. Wenn man kein Tier ist, sondern Offizier, wird man abends gelegentlich zum Umtrunk in eines ihrer Casinos eingeladen. Als Österreicher hat man bei ihnen keinen schlechten Stand. Wenn der obligate Toast auf Hitler, seltener auf Göring, ausgebracht wird, hat man die Wahl. Wenn der syrische Geheimdienst eine Schmugglerkolonne erwischt, löscht er sie aus. Als Beobachter kann man leicht eine Kugel in den Rücken bekommen, wenn man den Toast verweigert hat oder bei der Schmugglerei mitmischt.
Ich kann letztlich nichts dafür, daß dem Fahrer im letzten Moment noch die hintere Schienbeinarterie aufgebissen worden ist von so einem Vieh. Natürlich habe ich der Familie kondoliert, aber da oben am Hermon herrschen einfach andere Verhältnisse.
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