Stories_Wienerisch vs. Piefkinesisch

Halt die Fresse!

"Der Österreicher unterscheidet sich vom Deutschen durch die gemeinsame Sprache", wie schon Karl Farkas wußte. Leider nicht mehr lange: Die reale und mediale Piefke-Invasion macht vor allem das Wienerische zur gefährdeten Spezies. Ja, ne?    06.11.2014

 

Hasse ma ´n paar Ssent? raunzt dich eine Stimme mit aggressivem norddeutschen Akzent in der U-Bahn-Station an. Ein Sandlerpunk - und als du schweigend vorbeigehst, keppelt er dir noch nach: Biss du aba arrogant! Du betrittst ein Lokal nahe der Mariahilfer Straße und bestellst dir ein Seidl; da die Kellnerin aber natürlich auch aus dem Nachbarland kommt (Wie bidde, ´n Saidel?) mußt du ihr erst erklären, daß es sich dabei um ein kleines Bier handelt. Zwei Tische weiter sitzt eine österreichische Jungfamilie, deren verzogene Fratzen das Hähnchen und den Schweinebraten total lecker finden, wie sie Maami und Pappi lautstark versichern.

Und spätestens da hast du das Gefühl, daß alles verloren ist.

Vor ein paar Jahren erschien in einem heimischen Verlag ein Buch mit dem Titel "Wir sind gekommen, um zu bleiben", verfaßt von Exildeutschen aus der sogenannten Kreativbranche, die der Leserschaft androhten, Wien zu ihrer bleibenden Heimat zu machen. Ich bot damals einer Literaturzeitschrift gratis eine Kurzrezension zu dem Machwerk an: "Geh bitte, schleicht´s eich ... aber gschwind!" Die Redaktion lehnte ab - wahrscheinlich, weil auch dort längst Piefke drinsitzen.

Aber es ist sowieso zu spät. Während Österreich sich durch den Zuzug der mittlerweile größten Einwanderergruppe mit rasanter Geschwindigkeit wieder in die Ostmark verwandelt, ist das Medienpublikum schon viel länger vom Piefke-Virus infiziert. Das Elend fing vor Jahrzehnten mit der unsäglichen deutschen Synchronisation von Filmen und Fernsehserien an. Wer sich Hollywood-Heroen anschaut, wie sie einander sprachliche Hilflosigkeiten wie Das kann ich nich, Heilige Scheiße! oder Hast du ne Macke? zuplärren, denkt wehmütig an die Zeiten Rainer Brandts zurück, der die Kultserie "Die Zwei" wenigstens noch sagenhaft witzig deutschvertonte. Seit Robert De Niro aber in "Taxi Driver" vor dem Spiegel statt "You talkin´ to me?" im debilsten Ballermann-Slang Du laberst mich an? sagen mußte, lernt der Kinofreund lieber Englisch, damit er sich die Originalversionen anschauen kann.

Das deutsche Unterschichtenfernsehen (Zitat: Harald Schmidt), das über zahllose Kanäle auch hiesige Gehirne aufweicht, hat das Österreichische ebenfalls schwer bedient. Hört man heute Schulkindern zu - was sich in der Straßenbahn ja leider nicht vermeiden lässt -, dann fühlt man sich ins finsterste Ruhrgebiet versetzt: Ich hab ne Drei gekriegt ("An Fleck solltest ausfassn fia des depperte Redn ..."); Meine Maam hat jetz ´n Jungen, von mein neum Daaaddy; Ich krieg das nich auf die Reihe; Da hab ich kein Bock drauf, das is doch total abgedreht - gefolgt vom unvermeidlichen Tschüüüüss! Man könnte speiben, wenn nicht auch das schon kotzen heißen täte ...

Besonders das Wienerische ist gefährdet - vor allem, weil es von den vielen bundesdeutschen Lehrern und Kindergärtnerinnen, die nun auch heimische Kinder verziehen dürfen, als lokaler Dialekt abqualifiziert wird. Albert Bock, Uni-Lektor am Wiener Institut für Sprachwissenschaft und ein "Sprachtod"-Experte (siehe Interview: "Wenn Sprachen sterben ..."), sieht das anders: "An sich ist die Unterscheidung zwischen Sprache und Dialekt eine rein politische, keine sprachwissenschaftliche. Der jiddische Linguist Max Weinreich hat das pointiert folgendermaßen zusammengefaßt: 'A sprakh iz a diyalekt mit an armey un flot' - 'Eine Sprache ist ein Dialekt mit einer Armee und einer Flotte.' Soll heißen: Ob ein Dialekt als Sprache anerkannt wird, ist die willkürliche Entscheidung einer Machtelite. Sprachwissenschaftlich gesehen ist das Wienerische selbstverständlich eine Sprache - und zwar eine akut gefährdete. Es wird nämlich derzeit zugunsten eines weitgehend norddeutsch geprägten Medienstandards immer weiter aus dem Leben der meisten Menschen unter vierzig verdrängt."

 

Apropos Medien: Natürlich geht auch die österreichische Journaille - vom Boulevard übers Staatsfernsehen bis hin zu den "Qualitätsmedien" - vor dem neuen Anschluß in die Knie, macht den Mund weit auf und schluckt die Sprache der Kolonialherren. Nur so ist zu erklären, daß wir nicht erst seit gestern in allen Zeitungen, den Nachrichten oder dem Teletext mit obergscheiten Begriffen und Phrasen wie Starkregen, Gemengelage, gefühlte Temperatur, zeitgleich, fremdschämen oder dem katastrophal vertrottelten Sinn machen konfrontiert werden. Sowas sickert ins Unterbewußtsein ein und läßt die eigene Sprachtradition vergessen. Plötzlich weiß man nicht mehr, daß es nicht am Stück, sondern "im Ganzen" oder wahlweise "hintereinander" heißt. Oder daß man statt dem plumpen dieses Jahr natürlich weiterhin "heuer" sagen kann, darf und soll.

Aber wie soll man sich denn noch aufs Wienerische besinnen, wenn vor allem in den Bobo-Bezirken lauter zuagraste Piefke herumrennen, kellnerieren oder an den Supermarktkassen sitzen, die Spassss haben wollen, uns Einheimische goschert Ösis nennen, an der Tanke nochn Kastn Bier kaufen, dafür mit Knete bezahlen und dann irgendwelche Tussen anmachen? (Der geborene Österreicher denkt bei anmachen übrigens immer noch an was ganz anderes und versteht daher, daß deutsche Pornos als die grauslichsten der ganzen Welt gelten - kein Wunder, wenn die dort nicht pudern, sondern nur ficken und dabei irgendwie an Fotzen, Titten und Nippeln rummachen.)

Die wenigen verbliebenen echten Wiener sind die einzigen, die dem Sprachimperialismus Einhalt gebieten können, weil sie dank ihres "gfäuten Schmähs" noch länger nicht untergehen werden. Das dokumentiert ein Zitat, das ich bei den Recherchen für diesen Artikel (ha!) in einem Wirtshaus im Außenbezirk aufgeschnappt habe: "Do woa vor kurzm a Doku im Fernsehn über Jugendliche im Gfängnis - a in Gerasdorf, wo i söba a amoi gsessn bin. Und stö da vua, die redn do olle Hochdeitsch und sagen: 'Dann habe ich einen Einbruch gemacht und bin geschnappt worden. Und jetzt sitz ich im Knast.' Nimma so wie fria, daß eam bei an Bruch dawischt hom. Na, waun sogar im Häfn heit lauter so woame Schwammerln sitzn, is eh ois aus."

Noch nicht ganz - aber wir müssen aufpassen wie die Haftlmacher. Sonst heißt es bald auch bei uns: Ich muß auf Toilette. Und wie deppert ist das denn?!

 

Lesen Sie unser Interview mit Mag. Albert Bock, Lektor am Institut für Sprachwissenschaft der Uni Wien: Wenn Sprachen sterben ...

Peter Hiess

Rez gscheid!


Erfahren Sie mehr über das Wienerische von unserem mittlerweile pensionierten Sprachexperten Dr. Seicherl.

 

(Illustration © Jörg Vogeltanz)

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