Stories_Wienerisch vs. Piefkinesisch, Teil II

Wenn Sprachen sterben ...

Das Wienerische ist nicht nur gefährdet, sondern steht bereits mit einem Fuß im Grab. Mag. Albert Bock, Lektor am Institut für Sprachwissenschaft der Uni Wien, stellt im Gespräch mit dem EVOLVER eine Diagnose.    06.11.2014

"Der Österreicher unterscheidet sich vom Deutschen durch die gemeinsame Sprache", wie schon Karl Farkas wußte. Leider nicht mehr lange: Die reale und mediale Piefke-Invasion macht vor allem das Wienerische zur gefährdeten Spezies. Ja, ne?

Lesen Sie hier den ersten Teil über den Verfall des Wienerischen.

 

 

EVOLVER: Wie definiert man "Sprachtod"? Woran stirbt eine Sprache?

Albert Bock: Von Sprachtod spricht man dann, wenn eine Sprache ihren Platz im Alltagsleben der Menschen verliert. Wenn man sie nirgendwo mehr in alltäglichen Situationen benutzen oder hören kann und wenn sie nicht mehr von Eltern an Kinder weitergegeben wird, dann stirbt sie. In Ausnahmefällen gibt es noch Rückzugsnischen, etwa im liturgischen Kontext, in denen ansonsten ausgestorbene Sprachen einen rituellen Platz behalten können.

 

EVOLVER: Was ist die schwerste Gefährdung für den Fortbestand des Wienerischen?

Bock: Der Minderwertigkeitskomplex vieler Menschen, deren Muttersprache es ist. Historisch sind es meistens die Mütter, die darauf geschaut haben, daß mit ihren Kindern "schön" gesprochen werden muß, das heißt, nach dem Schriftstandard - oder dem, was sie dafür halten. Konsequenterweise ist das Wienerische dann "schiach". Es wird als etwas empfunden, dem ein soziales Stigma anhaftet, auch wenn die Eltern selbst oft der Schriftsprache nicht wirklich mächtig sind.

 

EVOLVER: Wie konnte sich das "Piefkinesische" so rasant und ausufernd in Wien bzw. ganz Österreich ausbreiten?

Bock: Hier sind zwei Faktoren entscheidend. Zum einen erreicht ein bestimmtes norddeutsch geprägtes Idiom per Fernseher fast jedes Wohnzimmer. Dadurch dringt es in zentrale Bereiche des täglichen Familienlebens ein. Zum zweiten haben viele Menschen, deren Muttersprache das Wienerische ist, in der Schule eingeimpft bekommen, daß ihre eigene Art zu sprechen und Gedanken zu formulieren, "falsch" sei. Dabei ist das Schriftdeutsch für Dialektsprecher einfach eine Fremdsprache, die enstprechend unterrichtet werden könnte. In der Schweiz existiert dieses Problem nicht; dort ist allen klar, daß es sich bei der deutschen Schriftsprache um eine Fremdsprache handelt, die neben den gesprochenen schweizerdeutschen Dialekten unterrichtet wird und sie nicht ersetzen soll. Der Unterschied hat historische Gründe. In der Republik Österreich zielt offizielle Sprachpolitik meist auf Assimilation und Einsprachigkeit ab, nicht auf breite Mehrsprachigkeit.

 

EVOLVER: Was sind für Sie die schlimmsten Beispiele für Piefke-Ausdrücke oder -Redewendungen, die Sie in letzter Zeit in Wien gehört haben?

Bock: Einzelne Ausdrücke sind in diesem Zusammenhang eigentlich blunzn. Die Entlehnung von Fremdworten allein bringt keine Sprache um, sonst wäre das Englische längst tot. Es geht eher um Dinge wie Aussprache und Grammatik, also um das zugrundeliegende System der Sprache. In der Kindergartengruppe meines zweijährigen Sohns zum Beispiel sagen die Kinder konsequent "Beerg", "Heerz", "geerne" usw. mit gespanntem "e" wie im Wort "leer". Das kommt aus dem Hamburger Mediendeutsch und breitet sich gerade rasant aus. Da werden Grundregeln des Lautsystems nach norddeutschem Muster umgestellt.

An der Grammatik sieht man das auch ganz gut. Zum Beispiel breitet sich die "piefkinesische" Perfektbildung aus. Immer wieder stoße ich auf Konstruktionen wie "ich habe gesessen". Noch vor wenigen Jahren war das in Österreich absolut unüblich - alle haben gesagt "ich bin gesessen". Das bedroht nicht nur das Bestehen des Wienerischen, sondern auch das des österreichischen Hochdeutschen. Heute scheint es sogar manchen Journalisten, also Menschen, die eigentlich täglich mit Sprache arbeiten, nicht ganz klar zu sein, was österreichisches Deutsch ist und was "Piefkinesisch".

Peter Hiess

Rez gscheid!


Erfahren Sie mehr über das Wienerische von unserem mittlerweile pensionierten Sprachexperten Dr. Seicherl.

 

(Photo: privat)

Links:

Kommentare_

Artkon - 11.11.2014 : 18.20
Es tut einfach sehr, sehr weh zusehen zu müssen, wie gerade die jungen Leut' so widerstands- und kritiklos hinnehmen, was ihnen medial vorgekaut wird.

Gegen die Übermacht des Hartz IV-TV-gesteuerten Volksverblödungsfernsehens ist einfach kein Kraut gewachsen: wehe, Du wagst es und machst darauf aufmerksam, dass es bei uns nicht 'Kartoffel', sondern Erdäpfel heißt. Dann bist Du 'einfach nur sowas von retro' ...

Ich sehe eines der Probleme darin, dass sich junge österreichische Journalisten dessen gar nicht bewusst sind, es vielleicht auch gar nicht anders gelernt haben und das so auch an die nächste Generation weitergeben. Das betrifft allerdings offensichtlich auch die Hochsprache, wenn ich von den Sprachfehlern in österreichischen (Online-) Medien ausgehe.

Wuascht, ich lass' mir meine Sprache trotzdem nicht nehmen. Und wenn die Pefke ned gneissn, dass unsere Marmelad' so ähnlich is wia eana 'Konfitüröh', schenk ich eana an Peter Wehle: 'Sprechen Sie Wienerisch? Von Adaxl bis Zwutschkerl' - fia eahna Bildungslukk'n.

So schaut's aus.

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