Stories_Weihnachten 2010
Shopping für die Kunst
In der sogenannten besinnlichen Adventszeit irren aus Ost-Autobussen gespuckte Völkermassen und wildgewordene Einheimische durch die Einkaufsstraßen und "Shopping-Malls", die einst Einkaufszentren hießen. Gestreßt streben sie durch die Geschäfte, um nutzlose Dinge zu kaufen, die kein Mensch braucht. Wir wissen es besser: Der EVOLVER-Klassikexperte stellt wie jedes Jahr Kostbarkeiten vor, die das kunstbeflissene Gemüt erfreuen werden.
18.12.2010
Diesmal präsentieren wir der geneigten Leserschaft auch Kostbarkeiten mit direktem Weihnachtsbezug, da feierliche Advents- und Weihnachtsmusik doch für manche zum Schönsten an dem Fest gehört, bei dem die Vorfreude bekanntlich oft besser ist als die beklemmenden Minuten vor dem Christbaum, bevor das hektische Zerreißen des Geschenkpapiers beginnt ...
Fangen wir also mit der CD-Box "The Complete Christmas Celebration" an, die beliebte weihnachtliche Musikwerke versammelt. Da findet man eine hervorragende "Messias"-Aufnahme unter Christopher Hogwood, eine der glanzvollsten "Weihnachtsoratorium"-Aufnahmen, deutsche und englische Weihnachtslieder sowie die grandiose "Nußknacker"-Produktion unter Gergiev. Schade, daß die "Hänsel und Gretel"-Aufnahme unter Solti nicht dabei ist; mit ihr wäre diese Box unschlagbar.
Eine andere interessante Aufnahme des Bachschen Oratoriums liefert Riccardo Chailly mit seinem Gewandhaus-Orchester Leipzig. Mit eher unbekannten (aber ausgezeichneten) Solisten und dem hervorragenden Dresdner Kammerchor entstand eine sehr forsche, aber stimmige und kurzweilige Produktion.
Jazzige Weihnachten zelebriert wiederum die Norwegerin Silje Nergaard mit ihrem neuen Album "If I Could Wrap Up A Kiss". Mit ihrer rauchigen und hübschen Stimme, einer hervorragenden Band und Duettpartnern wie beispielsweise Roger Cicero swingt sie sich durch bekannte und unbekannte Weihnachtslieder. "X-Mas" mit Pop-Touch serviert uns der berühmte Karl Jenkins. Mit der großartigen Kate Royal läßt er seine Werke "Stella Natalis" und "Joy to the World" mit Gänsehautfaktor erklingen. Da kommen sowohl Klassik- als auch Popmusikfreunde voll auf ihre Rechnung.
Brahms Symphonien haben klarerweise keinen weihnachtlichen Touch; trotzdem soll die Gesamtaufnahme mit dem SWR-Orchester Stuttgart unter Sir Roger Norrington hier besonders empfohlen werden - für den Gabentisch, wenn Sie wollen. Der extrem umtriebige Maestro zeichnet hier ein betont unromantisches und trotzdem faszinierendes Brahms-Bild - auf jeden Fall eine aufregende Alternative zu anderen Aufnahmen dieser Symphonien.
Für Literatur in Ton sorgt ein ganz besonderes Hörbuch. Vertont wurden die autobiographischen Schriften des österreichischen Literaturgenies Thomas Bernhard, der am 9. Februar 2011 seinen 80. Geburtstag feiern würde - und nach seinem Tod von den Politikern und Kulturschaffenden vereinnahmt und ausgebeutet wurde, die er zeit seines Lebens so verachtet hatte. In Leseaufnahmen von Wolfram Berger, Peter Simonischek, Burghart Klaußner, Gert Voss und Ulrich Matthes wird das ganze Leben des Oberösterreichers ausgebreitet, was es auch leichter macht, seine Persönlichkeit zu begreifen.
Die gedruckte Ausgabe dieser ewigen Worte ist in einem schönen Schuber mit fünf Büchern beim Residenz-Verlag erschienen. Thomas Bernhards Werk ist schwierig zu lesen (auch ohne PISA-Studie); so fangen bei "Die Ursache" die ersten Kapitel mit Sätzen in Kantschen Dimensionen an, die sich über mehr als eine Seite erstrecken. Da liefert das Hörbuch eine willkommene auditive Ergänzung dazu.
Bernhards 80. Geburtstag wird von seinem Haus- und Hofverlag auch als Gelegenheit wahrgenommen, wichtige Kapitel aus seinem Leben vorzustellen. Hier sei der Bildband "Thomas Bernhard: Leben und Werk in Bildern und Texten" empfohlen, der das Leben des Dichters in Zusammenhang mit seinen Werken darstellt. Hier kann der Leser gut Zusammenhänge herstellen und sich selbst ein Bild machen.
Ein anderer großer Dichter, der Wiener H. C. Artmann, würde 2011 seinen 90. Geburtstag begehen und hatte heuer seinen 10. Todestag. An ihn erinnert der Residenz-Verlag mit in seiner "Gesammelten Prosa" in vier Bänden und auf 1604 Seiten. Der Verfasser dieser Zeilen konnte Artmann einst live bei einer Lesung im kleinen Kreis erleben und ist seit damals fasziniert von der Phantasie und den Wortbildern des Schriftstellers.
Abschließend sei der sehr liebevoll zusammengestellte Band "Das kleine Fest des Lachens" von Heinz Marecek empfohlen, der Weihnachten einmal anders zeigt. Hier versammelt der Wiener Schauspieler Werke mit Weihnachtsbezug von Klassikern wie Theodor Fontane und Friedrich Torberg sowie Kabarettisten wie Helmut Qualtinger in einem wunderschönen Buch.
Damit auch allen treuen Lesern (wirklich!) besinnliche Weihnachten und ein gutes Jahr 2011.
Herbert Hiess
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