Stories_Viennale 2010/Journal I

Traurige Clowns

Wie jedes Jahr im Oktober begleitet Sie der EVOLVER durch das Programm der Viennale. Die Highlights in unserem ersten Teil: Das jüngste Werk von Regisseur Alex de la Iglesia - und eine höchst amüsante Dokumentation über Phil Spector.    25.10.2010

Es ist durchaus eine Wahl mit Folgen - die jenes Filmes, mit dem man als Besucher ein Festival beginnt. Schließlich hängt davon ab, ob man sich ins weitere Geschehen mit einer daraus resultierenden Euphorie oder eben Ernüchterung stürzt. Der Berichterstatter ging dieses Jahr auf Nummer sicher und vertraute sich ganz einem alten EVOLVER-Wegbegleiter an (wofür er reichlich belohnt wurde): Alex de la Iglesia, dem Schöpfer solcher Großtaten wie "El Dia de la Bestia" oder "Perdita Durango", um den es zuletzt aber etwas ruhiger geworden war (letzte Erinnerung des Autors: der durchwegs akzeptable "Crimen Ferpecto" von vor sechs Jahren).

 

Balada triste de trompeta (A Sad Trumpet Ballad) stellt dahingehend aber eine entscheidende Zäsur in de la Iglesias Schaffen dar. Mit seiner bislang ambitioniertesten und auch besten Arbeit hat er wohl sein Ticket in die erste Filmemacher-Liga gelöst - wovon insbesondere die Auszeichnung mit dem Silbernen Löwen beim Filmfestival von Venedig (zustandegekommen unter tätiger Mithilfe eines gewissen Tarantino) ja bereits kündet.

Daß de la Iglesia vom deutschen Feuilleton für sein Werk kräftig Prügel einstecken mußte, paßt ganz gut ins Bild. Denn so wüst und überzeichnet wie der Spanier in seiner barocken, überbordenden Aufarbeitung der Franco-Diktatur zu Werke geht - derlei kann in einem Land, in dem Geschichtsträchtiges zwanghaft bierernst, korrekt und moralisierend präsentiert zu werden hat, nur eine blanke Provokation darstellen.

In Wirklichkeit ist der Film eine ebenso charmante wie clevere Hommage an alles, was das phantastische Kino zu bieten hat: die herrlich überzeichnete Geschichte eines traurigen Clowns, der seinen Vater einst an den Faschismus verlor und sich nun im Zirkusumfeld gegen den "lustigen Clown" (einen Psychopathen vor dem Herrn) mit allen unerlaubten Waffen um eine Frau duelliert; um letztendlich gegen alles und jeden - auch gegen das Regime an sich - Amok zu laufen. Bildgewalt und Ideenvielfalt von "Balada" würden bei anderen Regisseuren leicht für drei Filme reichen. Wie de la Iglesia hier Splatter und Groteske, Black Comedy und Liebesdrama miteinander verheiratet, sprengt bei weitem den Rahmen dessen, was sich in einer Besprechung wie dieser niederschreiben läßt. Ein Film wie ein Rausch.

 

Ein trauriger Clown steht auch im Zentrum der Dokumentation The Agony and The Ecstasy of Phil Spector. Dem BBC-Filmer Vikran Jayanti ist damit ein journalistischer Scoop erster Güteklasse gelungen: Den legendären Sixties-Produzenten und Erfinder der Wall of Sound für eines seiner sehr raren Interviews vor die Kamera zu bekommen - und das gleich für eine Drehzeit von fünf Tagen. Der Hintergrund freilich war kein alltäglicher. Spector stand zu dem Zeitpunkt - 2007, um genau zu sein - kurz vor der ersten Gerichtsverhandlung bezüglich des ihm angelasteten Todes von B-Movie-Starlet Lana Clarkson.

Jayantis Ansatz: ein Wechselspiel aus den Gesprächssitzungen in Spectors feudalem Wohnsitz und Verhandlungsszenen, die mit den größten Hits aus seiner Feder und diesbezüglichen Biographen-Kommentaren zusammengeschnitten wurden. Vor allem Letzeres verwirrt aber mehr als nur einmal. Bei einer gleichzeitigen Analyse der inhaltlichen Beschaffenheit von "Da Doo Ron Ron" und des Todesschußeinfallswinkels kommt zwangsweise eines der Themen zu kurz.

So wird einerseits der Prozeßhergang an sich nicht wirklich erschöpfend erklärt (bis auf die Fußnote, daß Spector eigentlich erst ein Jahr später anhand eines zweites Prozesses verurteilt werden sollte) - und andererseits gehen die Erklärungen zur Magie von Jahrhundertnummern wie "Spanish Harlem" und "You’ve Lost That Lovin’ Feelin'" dabei bisweilen ein wenig unter.

Das große Trumpf-As von "The Agony and The Ecstasy" sind trotzdem eindeutig die berührenden, oft paranoiden, noch öfter erheiternden und garantiert immer größenwahnsinnigen Anekdoten und Geschichten des selbsterklärten Über-Producers. Wenn der "Tycoon of Teen" sich etwa selbst bedeutungsmäßig in der Größenordnung von da Vinci ansiedelt; nebenbei erwähnt, daß es die Karrieren von Scorsese und De Niro im speziellen ohne ihn nicht gäbe (weil in "Mean Streets" damals ungeklärterweise sein "Be My Baby" verwendet wurde, er aber nicht einschritt); und ganz im allgemeinen die moderne Pop- und Rock-Geschichtsschreibung ohne sein Zutun ganz anders aussehen würde ... dann ist das zwar im Kern nicht unwahr, aber doch so furchtbar übertrieben, daß man nicht weiß, ob man nicht vielleicht doch noch Mitleid haben soll mit dem Herrn mit den oftmals kruden Haarteilen.

Gern hätte man noch mehr zu Spectors früherem Privatleben erfahren (z. B. über seine Ehe mit Ronnie Bennett von den Ronettes), oder neben den Beatles- und Tina-Turner-Stories auch noch welche zu den angeblich abenteuerlichen Studioaufenthalten mit den Ramones oder Leonard Cohen gehört - nur wußte der Filmemacher nach eigener Auskunft von selbigen zum Zeitpunkt des Interviews noch gar nichts. Es geht eben nichts über eine gute Vorbereitung ...

Es bleibt: "An imperfect fascinating film about an imperfect fascinating man" ("San Francisco Chronicle").

Christoph Prenner

Viennale 2010


21. Oktober - 3. November 2010, diverse Wiener Kinos
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