Eli, Eli, Lema Sabachtani?
Japan 2005
117 Min.
OmU
Regie: Shinji Ayoama
Darsteller: Asano Tadanobu, Miyazaki Aoi, Okada Mariko u. a.
Nächster Termin: 26. 10., 23.30 Uhr, Urania
Nahrung fürs Auge, Lärm für die Ohren, Balsam fürs Gehirn: Der neue Ayoama kreist um Selbstmord und Science Fiction und taucht uns in ein Meer aus Geräuschen und hypnotischen Bildern. 25.10.2005
Eine junge Frau fällt aus einem Hochhaus. Ihr Satinkleid flattert im Wind, für eine Sekunde schwebt sie wie im Weltall über dem irrealen Geflimmer der nächtlichen Großstadt. Ein schwarz gekleidetes Mädchen steht mit verbundenen Augen in der leuchtend grünsten Wiese dieser Erde und hört so lange Gitarrenmusik, bis sie ohnmächtig zu Boden sinkt. Zwei beleuchtete Fenster eines einsamen Hauses pulsieren wie ein pochendes Herz. Am Tag sind Himmel und Meer so strahlend und pur blau, daß es beinahe wehtut.
Kaum hat man sich wehmütig damit abgefunden, daß einen bei der Viennale 2005 wohl keine große Sensation mehr erwarten werden, schon sitzt man einem wahren Kleinod gegenüber und starrt mit weit aufgerissenen Augen auf die Leinwand. Dort reiht sich nämlich ein tolles oder poetisches oder kühl-glattes Bild nach dem anderen aneinander, jedes perfekt, keines ist abgegriffen, obwohl es sich oft um ganz banale Blicke handelt, etwa auf das Meer, den Herbstwald oder den Strand. Doch das ist eben auch Kinokunst, deren Existenz man bei dem vielen Trash ringsum fast vergessen hätte.
Und eine zweite beherrscht Shinji Ayoama ebenso meisterhaft: Aus wirklich wenigen, marginalen Ingredienzen ziemlich viel herauszuholen. Das heißt, diejenigen, die eine elaborierte, ausgefeilte Handlung und gedrechselte Dialoge brauchen, sollten besser zu Hause bleiben; da werden sie nämlich garantiert enttäuscht sein. Und auch jene, die sich für japanischen Extrem-Noise irgendwo zwischen Merzbow und Boredoms kein bißchen erwärmen können und nicht verstehen wollen, daß Geräusche auch Musik sein können, werden es auch eher schwer haben.
Denn der Plot ist für dieses sehr originäre Sound-Bild-Poem, wie gesagt, nur ein Vehikel - dabei ist aber auch die Grundidee reichlich originell. Im Jahr 2015 wütet weltweit eine Grippeepidemie. Dem sogenannten Lemming-Syndrom sind überall, auch in Japan, Millionen Menschen zum Opfer gefallen. Das Virus ist unheilbar und veranlaßt Betroffene, Selbstmord zu begehen. Viele Dörfer und Städte sind verlassen, Tote baumeln von Strommasten und Zimmerplafonds oder liegen blutüberströmt herum. In dieser apokalyptischen Stimmung leben die Musiker der Band Stepin Fetchit, Mizui (Asano Tadanobu aus dem fantastischen "Shark Skin Man and Peach Hip Girl") und Asuhara (Nakahara Masaya), vereinsamt am Land, fahren durch die Gegend, nehmen mit eigenartigen Gerätschaften Geräusche und Sounds auf oder erzeugen sie und wandeln sie in ihrem Studio zu Musik um. Dieser Prozeß und das Experimentieren wird ausführlich gezeigt, was sehr interessant ist, wenn man es mag. Ab und zu essen sie im Restaurant der einzigen weiteren Überlebenden, Navi, einer älteren Frau (Okada Mariko), zu Mittag. Sonst tut sich nichts, bis ein reicher Mann mit seinem Fahrer und seiner erkrankten Enkelin ebenfalls dort absteigen. Angeblich hat sich herausgestellt. daß die Noise-Musik der beiden die Lemming-Krankheit heilen kann, also bittet der Großvater die ablehnenden Skeptiker um Hilfe.
Unbestreitbar ist der Gedanke, daß die Musik die Menschen vor Selbstmord retten kann, ein sehr netter und liebenswerter. Daß er darüberhinaus noch mit schönen und artifiziellen Szenen umgesetzt wird, begeistert um so mehr. "Eli, Eli, Lema Sabachtani?" heißt übersetzt so viel wie "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?", was zu den letzten Worten Jesus Christus am Kreuz gehört. Das verweist darauf, daß der Film trotz seiner ästhetischen Oberfläche sehr wohl auch über Tod und Sterben nachdenken will. Deshalb ist dies auch nicht das übliche schnelle Nippon-Industrial-Movie, wie man vermuten hätte können, sondern eher elegisch. Aber wie schon erwähnt, es ist eine sehr sehenswerte Angelegenheit für Fans, aber das sind manche Filme von David Lynch ja auch.
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