Stories_Väterkarenz im Selbstversuch
"Die Mama bin ich, verdammt!"
Sag mir, wo die Väter sind ... denn während meiner Karenz sehe ich kaum welche. 19 Prozent der 2016 in Karenz weilenden Elternteile waren Väter. Viel ist das nicht. Dabei versäumen sie was! 11.09.2017
Mittwoch, 1. Februar. Gestern noch im Vollzeitjob verfangen, mit Übergabestreß an meine Vertretung. Heute Start der Karenz mit Luis (Name von der Redaktion geändert), männlich, zehn Monate alt. Kann noch nicht stehen. Schläft dreimal täglich (Vormittag, Mittag, Nachmittag) je circa 30 Minuten. Bekommt noch oft zwischen 4 und 5 Uhr 30 morgens eine Flasche Milch. Fremdelt und läßt sich nicht von anderen betreuen. Brüllt, sobald ich den Raum verlasse. Die Betreuung seiner Schwester Margarete (Name ebenfalls von der Redaktion geändert), Kindergartenkind mit knapp viereinhalb Jahren, läuft nebenbei mit. Es liegt eine Menge Schnee. Ich packe die beiden in viel Gewand, ziehe die Ältere mit der Rodel in den Kindergarten und schiebe gleichzeitig den Kinderwagen des jüngeren Kindes wie einen Schneepflug vor mir her.
Ich war schon vor einiger Zeit mit der Tochter sechs Monate in Karenz. Trotzdem scheint es mir anfangs komisch, ein halbes Jahr mit dem nächsten Kleinkind daheim zu verbringen und nicht in die Arbeit zu gehen. In den ersten Tagen kommuniziere ich auch noch öfters mit den Kollegen - ich kann nicht abschalten, fühle mich aus dem Alltag gerissen und bin es nicht gewohnt, zu Hause zu sein. Die Zeit ohne Büro soll dem Kind zur Verfügung stehen; ich schaffe es aber anfangs nicht, das auch einzusehen. Und so dauert es eine Weile, die Arbeit zu vergessen, mich im neuen Alltag zurechtzufinden und diesen schätzen zu lernen.
Mit der Zeit macht sich Routine breit. Ich gewöhne mich daran, daß Luis in den ersten Wochen eine tägliche nächtliche Wachphase von durchgehend 15 bis 120 Minuten durchmacht. Schon gut, wenn er um drei Uhr nachts bestens gelaunt und brabbelnd spielen will und den Schlaf auch morgens selten nachholt. Ich stehe mit meinen Frühaufsteher-Kindern täglich zwischen 5 Uhr 30 und 6 Uhr 30, im seltenen Glücksfall um spätestens 7 Uhr auf. Ist es besonders früh, versuche ich die beiden noch eine Weile im Bett zu halten (ohne selbst noch ruhen zu können, weil Luis beim Herumturnen herauszufallen droht). Die morgendlichen Liebesbekundungen der Kinder können sehr schmerzhaft sein. Unsere anschließenden Beschäftigungen werden mit der Zeit zum fixen Ritual, jede absichtliche oder unabsichtliche Abweichung wird von Margarete, der Älteren, lautstark bemängelt. Sie will eine Zeitlang noch im Bett eine "Märchengeschichte, die nicht stimmt" hören. Da heißt es scharf nachgedacht, um ihre potentielle morgendliche schlechte Laune - es ist ja oft noch sehr früh - hintanzuhalten. Luis ist in der Früh seltsamerweise immer gut aufgelegt, trotz der kurzen Nacht. Dann ziehe ich ihn an, Margarete kann das selber. Je nach Laune macht sie das widerstandslos. Oder tauscht das vorbereitete Gewand gegen ihre eigene Auswahl aus. Oder fetzt es irgendwo hin und protestiert wütend und laut. Das ist der Moment, in dem sich für alle Beteiligten eine emotionale Downward Spiral zu drehen beginnen kann, wenn ich mich nicht zusammenreiße - was mir nicht immer gelingt.
Anschließend Frühstück. Er bekommt Milch, sie Kakao. Alle meine und Margaretes Handgriffe sind dabei genau definiert, und wehe, ich passe nicht auf. Dann dreht sich die Spirale ... Danach Brote für die beiden.
Währenddessen räume, wische und kehre ich, tische Nachschub auf, richte Margaretes Kindergartenjause, esse und trinke im Stehen. Dann putze ich seine Zähne - zwei, als ich ihn in Karenz übernehme, acht, als ich ihn am Ende wieder seiner Mutter übergebe. Margarete "putzt", wobei Tempo und Intensität stark von ihrer Laune abhängen, zuerst selbst, ich putze dann nach. Ich bürste ihren enormen Haarschopf, bastle ihr eine Frisur (ein Zopf geht sich noch nicht aus), putze ihre Brille und setze sie noch mal aufs Klo. Das alles passiert in möglichst immer der gleichen Reihenfolge, Abweichungen toleriert sie nicht.
Inzwischen ist Luis in der Gehschule (weil er sich sonst an meinen Hosenbeinen hochzieht und wieder umfällt) wegen mangelnder Beachtung mit voller Windel wütend. Einmal ist es ihm beim Wickeln gelungen, sich die volle Windel ... na ja: Brus, Muehl und Weibel hätten ihre Freude gehabt. Gegen 8 Uhr 15 sind wir fertig. Die täglichen Morgenverrichtungen können bis zu zwei Stunden dauern. In der Regel starten wir anschließend mit der Nachbarin und deren Tochter in den nahegelegenen Kindergarten. Unterwegs ein kurzer Plausch ist bis zur Rückkehr der Kindesmutter aus der Arbeit oft für mehrere Stunden mein einziges Gespräch mit einem erwachsenen Menschen.
Ist die Ältere abgeliefert, bieten sich mehrere Möglichkeiten: Entweder eile ich nach Hause, wobei Luis wieder einzuschlafen droht. Ich versuche das Kind mit lauten Ansprachen wachzuhalten. Auf Außenstehende mag das befremdlich wirken, aber wenn er jetzt schon einschläft, habe ich keine 30 freien Vormittagsminuten. Normalerweise checke ich in dieser Pause Mails, bringe den Kompost raus oder putze ... Sachen halt, die ich mit ihm am Arm nicht erledigen kann. Oft mache ich in dieser Pause einfach nichts. War die Nacht besonders schrecklich, lege ich mich mit ihm zum Schlafen nieder. In guten Phasen spielt Luis zehn Minuten selbständig, ansonsten braucht er Bespaßung. Ohne wird er rasch unleidlich. Manchmal muß er sehr, sehr lange getragen werden.
Der restliche Vormittag? Mit dem Kinderwagen zum Flaschencontainer, Bäcker, Supermarkt und zum offenen Bücherschrank (hin und retour 700 Meter). In die Apotheke (800 Meter; unglaublich, was ein Kind an Mittelchen braucht). Zum DM (3,8 Kilometer), Vorräte aufstocken: Windeln, Wickelunterlagen, Feuchttücher, anfangs Milchpulver, Baby-Trinkflaschen, Baby-Trinksauger, Schnuller, später püriertes Baby-Mittagessen und Baby-Jause. In eines der zwei örtlichen Einkaufszentren (3,9 oder 5 Kilometer hin und zurück). Natürlich ginge das mit dem Auto schneller, aber ich habe unendlich viel Zeit für solche Unternehmungen, daher gehe ich zu Fuß. Gelegentlich mit dem Zug ein paar Dörfer weiter, Oma und/oder Eltern besuchen. Da gibt´s Essen, und ich muß mich um nichts kümmern. Zum Kinderarzt in die nächstgelegene Kleinstadt (per Bahn; bei Schönwetter wenigstens in eine Richtung auch zu Fuß, 5 Kilometer). Für mich als Highlights dort: Brotkauf beim letzten Independent-Bäcker weit und breit und ein Kaffee in der Konditorei. Dabei fünf Minuten ins Narrenkastl schauen (weil Luis schläft) und mich wundern, wie ein Werktag von außen so aussieht. Mittags verbringen wir zu Hause - und wann immer machbar, hau´ ich mich mit ihm ins Bett zum Mittagsschlaf. Herrlich!
Manchmal bekomme ich vormittags Besuch von Gleichgesinnten, also Menschen in Karenz mit Kind. So eine kleine Selbsthilfegruppe schafft ein wenig Ablenkung. Die Kinder sind zu klein, um miteinander zu spielen, aber oft zufrieden, nebeneinander am Boden zu sitzen und auf ihre Weise zu interagieren.
Oder aber ich packe das Kind in den Zug, und wir fahren fort. Wohin immer ich fahre, bin ich voll bepackt mit Baby-Kram. Anfangs unternehmen wir kleine Touren in Wiener Museen: ins Schottenstift, 21er-Haus, Winterpalais von Prinz Eugen, Volkskundemuseum, in die Secession. Erzähle ich das den Kinderlosen, sind sie neidisch. Was sich chillig anhört, ist in Wirklichkeit streng getaktet: Ziemlich genau alle drei Stunden braucht Luis eine Flasche Milch; dann brauch´ ich, weil es draußen immer noch kalt ist, einen warmen Platz zum Wickeln. Obwohl er die ersten drei Monate meiner Karenz lange zufrieden im Wagen sitzt, kann ich ihn dort nicht ewig halten. Der Ausflug muß daher auch einen sauberen, trockenen Raum zum Krabbeln beinhalten. Das alles sollte bei der Reiseplanung mitbedacht werden. Museen sind ideal: Vormittags ist dort unter der Woche kaum was los, und meistens verfügen sie über Super-Wickelräume. Am liebsten sehe ich Moderne Kunst mit wenig Begleittext. Da kann ich schnell durchgehen und hab´ das Gefühl, nichts zu versäumen. Was man da überhaupt sieht, lese ich abends im Internet oder im Ausstellungsfolder vor oder nach dem Museumsbesuch nach.
Wo immer ich hinkomme, sehe ich (außer an Wochenenden) überhaupt keine Väter mit Nachwuchs. Auf Spielplätzen, im Bad, beim Kinderarzt, im Museum - immer bin ich der einzige Mann mit Kind. Ausnahmen: die Cafés am Yppenplatz. Selten dermaßen viele Väter mit Kinderwagen auf einem Fleck gesehen: mit mir fünf! Oft wird man als Vater wie ein Exot behandelt. Luis, der gerne "ma ma ma ma ma" brabbelt und damit alles, nur nicht seine Mama meint, bekommt in der Schnellbahn ein freundliches Lächeln und ein "Jaja, die Mama". Die Mama bin ich, verdammt! An einer Imbißbude fragt der Verkäufer mich und einen Bekannten, der ebenfalls gerade mit seinem Sohn in Karenz ist: "Wo sind eure Frauen?" Daß die in der Arbeit sind, ist ihm unbegreiflich. Mein Bekannter, der frühmorgens bereits Mittagessen vorgekocht hat, muß sich im Museum anhören: "Na, was hat die Mama da mitgegeben?"
Mit der Zeit zieht der Frühling, dann der Sommer ins Land. Eine Durchschlafphase setzt ein (und geht viel zu rasch vorüber). Luis lernt stehen, dann gehen (hat enorme Vorteile, ist aber anfangs gefährlich, weil er ständig umfällt und man besonders aufpassen muß). Längere Ausfahrten im Wagen sind endgültig passé: er rebelliert, wenn er zu lange sitzen muß. Er lernt selbständig von einem Kornspitz abzubeißen und muß nicht mehr streng im Takt gefüttert werden. Im Wirtshaus teilen wir uns das mildeste und weichste Essen der Speisekarte. Mit der Zeit sind erste Ausfahrten im Fahrradsitz möglich. Bei warmen Wetter wickle ich im Freien. Ich erweitere meinen Wirkungskreis und unternehme Fast-Tagesausflüge mit dem Zug (Bahn ist besser als Auto. Im Zug kann er sich bewegen und ich besser mit ihm interagieren). Hauptsache, es gibt am Ziel nicht viel, aber doch etwas zu besichtigen - damit für mich das Gefühl bleibt, etwas gesehen zu haben.
Ich erlebe Nebensaison-Freibadtage und Wochentags-Frühstücke auf Marktplätzen. Aber auch diese Tage sind getaktet: Im Bad ist es anstrengend, weil er stets zum Wasser läuft und hineinzufallen droht. Selbst schwimme ich nur, wenn er schläft. Marktplätze und Kaffeehäuser gehen nur, wenn es dort keine Autos, Straßen, freilaufende Hunde, Hundescheiße, Müll oder Glassplitter gibt. Und bis zu einem gewissen Zeitpunkt muß Margarete aus dem Kindergarten abgeholt werden. Wie überhaupt beim vermeintlichen Nichtstun ganz schön viel zu tun ist: Montag Kinderturnen der Älteren, Mittwoch und/oder Donnerstag Großeltern-Tag der Älteren, von wo sie oft abzuholen ist, Donnerstag Jour fixe mit einem Karenz-Spezl, Freitag großer Kochtag (weil mittags alle zuhause sind). Samstag Müllinsel (weil unser Windelverbrauch nicht in die Mülltonne paßt). Am Wochenende kann an einem Tag ich, am anderen die Mutter "ausschlafen". Die Kinder schlafen nie aus ...
Es ist ein ewiges Auf und Ab. Was gestern schon gut geklappt hat, kann morgen wieder vorbei sein. Luis schläft wochenlang durch, dann wochenlang nicht. Luis kann tagelang selbständig von der Küchenbank runter klettern, dann wieder nicht. Nichts ist vorhersehbar. Kaum bin ich an etwas gewöhnt, ändert es sich wieder. Eine Zeit lang zum Beispiel schläft er abends sofort ein, wenn man ihn ein paar Runden trägt. Von einem Tag auf den anderen will er das nicht mehr und wir sitzen mitunter bis zu 60 Minuten an seinem Bett, während er turnt und quäkt. Luis geht durch die Wohnung, reißt alle Läden und Kästen auf, räumt alles raus. Fischt im Kompostkübel, hat die Buntstiftbox aufgebracht und ißt Stifte. Klettert unter den Küchentisch und schafft es nicht mehr hervor. Klettert auf einen Sessel und kippt samt ihm um, klettert auf seinen Trip-Trap und kommt nicht mehr runter, klettert auf eine Kommode und fällt runter, schmeißt sein gesamtes Essen Stück für Stück unter den Tisch. Die Tage sind lang - und meistens sehr anstrengend. Abends bin ich oft so fertig, daß ich außer YouTube und Facebook nichts mehr zustandebringe. Worst Case: kranke Kinder und gleichzeitig kranke Eltern.
Fazit? Es war dennoch sehr schön, die Zeit ist wie im Flug vergangen (auch wenn ich währenddessen das Gegenteil behauptet habe). In keinem noch so langen Urlaub hätte ich soviel Zeit mit den Kindern verbracht; wäre es mir gelungen, so tief in deren Alltag einzutauchen. Kinderbetreuung nach einem langen Arbeitstag, wenn alle Beteiligten müde sind, gibt einen völlig falschen Eindruck davon, was Kinder den ganzen Tag machen, brauchen, schätzen und wie sie die Welt sehen. Zudem ist Eltern-Karenz eine der wenigen Möglichkeiten, sich (in der Regel) ohne Jobverlust aus der Arbeitswelt auszuklinken. Auch wenn es mit dem Nachwuchs sehr anstrengend sein kann: Im Gegensatz zum Berufsleben bietet sich zu Hause trotz der Kinder ein Mehr an selbstbestimmten Möglichkeiten. Und wenn es nur ein Mittagsschlaf ist.
P.S.:
.) Neue Helden? Alleinerziehende Elternteile oder Eltern von Zwillingen.
.) Der Soundtrack zu Karenz? Waldecks Album "Gran Paradiso". Paßt zu jeder Lebenslage.
.) Tip für andere? Hört euch vor langen Autofahrten unbedingt an, welche CDs eure Kinder mitnehmen wollen. Um das Schlimmste zu vermeiden ...
Kommentare_