Terrorizer - Darker Days Ahead
Century Media (USA 2006)
Terrorizer erstehen wie der Phönix aus der Asche auf. Napalm Death veröffentlichen ihr neues Studioalbum "Smear Campaign". Und Nuri Nurbachsch erinnert sich an Grindcore. 21.09.2006
Double-Bass-Mörser auf Blast-Beat-Barrikaden und in frenetischen Geschwindigkeiten geschrummelte Maschinengewehr-Riffs - wenn man sowas überhaupt noch als Riff bezeichnen kann. Ist das Grindcore? Ja und nein. Da steckt noch mehr drin. Der Extremismus ist vielseitiger, als man meinen möchte. Das Erscheinen der zweiten Platte der Kult-Band Terrorizer und des neuen Studioalbums der Genre-Institution Napalm Death bietet mehr als genug Anlaß, um sich diese scheinbar verlorene, aber unsterbliche Abspaltung der Schnittmenge von Metal und Punk in Erinnerung zu rufen.
Blicken wir also ein wenig zurück - genauer gesagt, ins Jahr 1982. In Großbritannien wird die Band Napalm Death ins Leben gerufen, in deren Proberaum der Heavy Metal und Thrash Metal jener Zeit dröhnen. Aber "the kids are alright" - sie haben starke Verbindungen zur aufblühenden Hardcore-Punk-Szene, und daher wird experimentiert, bis schließlich ein Musikstil entsteht, den sie selbst "Grindcore" nennen.
Kurz umrissen kann man Grindcore in seiner frühesten Inkarnation als eine Hypergeschwindigkeits-Mischung aus den extremsten Bestandteilen des Thrash Metal, der Rhythmik des Hardcore-Punk und mit ästhetischen Anleihen aus beiden Stilen beschreiben - und dies dann noch mit größtmöglichem Augenmerk auf starke Reduktion (sowohl bei der Spieldauer der Songs als auch in Sachen Songwriter-Firlefanz) sowie extrahohem Lärmpegel. Inhaltlich verschrieben sich Napalm Death soziopolitischen Belangen in sehr direkten, unverblümten Texten, stark von Anarcho-Punks wie Crass oder Conflict geprägt. Damit waren die "Grandaddies of Grindcore", wie sie liebevoll von Fans aus aller Welt genannt werden, nicht nur Begründer einer neuen musikalischen Spielart, sondern wurden auch zu einem Phänomen an der Grenze zwischen Metal und Punk. Die Kombination aus musikalischem Extremismus und politischer Aktivität machte sie zu einem mitreißenden und sicher für viele auch schockierenden Sprachrohr der künstlerischen Nischen wie auch eines sozialen und politischen Bewußtseins.
Der Einfluß, den Napalm Death auf ihr Umfeld ausübten, und das kreative Potential der Mitwirkenden kann leicht anhand einer Job-Liste der (Ex-)Mitglieder der Band belegt werden: Gitarrist Justin Broadrick veränderte mit Godflesh die Verbindungen zwischen Elektronica und Metal. Sänger Lee Dorrian gründete später die Band Cathedral, die weithin als Vorantreiber der neuen Welle des Doom Metal à la Black Sabbath anerkannt wird. Drummer Mick Harris war nicht nur am Schaffen der Genre-Kollegen Extreme Noise Terror beteiligt, sondern ist zu einer fixen Größe in den Bereichen experimenteller und radikaler Dub- und Ambient-Musik geworden, dessen Soloprojekte unter den Namen Scorn und Lull laufen, der aber auch mit bekannten Namen wie John Zorn, Bill Laswell, James Plotkin oder Marty Bates aktiv ist. Bassist Shane Embury ist mit Lock-Up und Blood From The Soul in Bands involviert, die als Diamanten des modernen Metal angesehen werden. Gitarrist Bill Steer schließlich gründete die Band Carcass, die neben Napalm Death den Grindcore verbreitete, das jedoch in einer mehr dem Death Metal zugewandten Art. Und das ist nur ein kleiner Auszug aus dem Katalog der Napalm-Death-Satelliten.
Im Gegensatz zu den extremen Ausformungen des Hardcore-Punk, die allesamt als direkte Blaupause für den Grindcore von Napalm Death gesehen werden müssen, konnten sich die Briten sowohl bei Punks wie auch bei Metalheads Gehör verschaffen, was in den 80ern für eine recht breite Basis sorgte. Auf diesem fruchtbaren Boden säten Napalm Death die Saat eines Musikstils, der sich beharrlich weigerte, von seinen Themen abzulassen, und mit ihnen verschmolz. Grindcore war ein Ventil für Wut und Ärger über Gesellschaft, Kultur und Politik. Was dem Punk seit jeher nicht fremd war, existierte im Metal jedoch nur teilweise - nämlich im Thrash Metal (der seinerseits ja auch stark vom Punk geprägt war), und auch dort nur eingeschränkt. Metal, der kommerziell stärkere Musikstil, konnte außerdem mit anderen Infrastrukturen aufwarten, als es die DIY-Mentalität der Punks zuließ. Dies ist ein weiterer nicht unerheblicher Grund, warum Napalm Death zum Fokus einer neuen Welle extremer Musik in vielerlei Spielarten wurden, während andere, ähnliche Bands nur Genre-Liebhabern bekannt bleiben. Zu letzteren gehören etwa Siege, Assück, Drop Dead, Heresy, Anti-Cimex, Discharge, Resist, State Of Fear, Health Hazard und etliche andere Bands, die zwischen Grindcore und Crustcore stattfanden oder immer noch stattfinden.
Auf den Spuren von Napalm Death konnte Grindcore zwar nicht die musikalische Mehrheit im Metal erlangen, doch ihr Einfluß erstreckte sich in alle Lager - sei es, daß manche Death-Metal-Bands in ihrem Extremismus schon beinahe Grindcore gleichen (allerdings inhaltlich stark abweichen) oder einfach nur als Inspirationsquelle. Napalm Death selbst entwickelten sich kontinuierlich weiter. Ihre Meilensteine - die Alben "Utopia Banished" (1992), "Fear, Emptiness, Despair" (1994) und "Enemies Of The Music Business" (2001) - leugnen ihre Verwandtschaft und Wurzeln nicht, präsentieren jedoch jedes für sich einen ganz eigenen Stil: Dub-inspirierte Sample-Sphären, Sounds aus dem Industrial, Durchmischung des bekannt extremen Geschwindigkeitsgrads mit rhythmisch-groovenden Mid-Tempo-Passagen und vieles mehr. Der Grindcore vergangener Tage bildet immer noch die Basis, ist aber umgeben von vielschichtigen und anspruchsvollen Fortentwicklungen. Napalm Death blieben immer einzigartig und sind es heute noch.
Zwei Jahre nach dem Napalm-Death-Debüt "Scum" und einen Kontinent weiter westlich veröffentlichten Terrorizer ihren Erstling "World Downfall". Jesse Pintado und David Garcia - Jesse sollte übrigens schon bald zu Napalm Death stoßen - sowie Pete Sandoval und David Vincent (spätere Gründungsmitglieder der herausragenden und wegweisenden Florida-Death-Metal Band Morbid Angel) ahnten damals nicht, daß dieses Album zu einem Kultobjekt der Grindcore-Fans werden sollte. Dabei war der kommerzielle Erfolg zunächst eher bescheiden. Obwohl Earache, damals Heimat von Napalm Death und zu einem essentiellen Label in Sachen extremen Metals gewachsen, das Album für den europäischen Markt lizensierte, war der Niederschlag auf die überschaubare Szene der Grindcore-Anhänger begrenzt. Während sich die Mitglieder der Band mit anderen Projekten beschäftigten, entwickelte sich "World Downfall" langsam, aber sicher zu einem absoluten Tip, bis die Nachfrage schließlich so groß wurde, daß Earache das vergriffene Album 2002 neu auflegte.
Den Status, den "World Downfall" genießt, versteht man wahrscheinlich am besten, wenn man sich die Platte heute anhört. Im Erscheinungsjahr 1989 war die amerikanische Grindcore- und Crustcore-Landschaft eindeutig von der Message und nicht der Form geprägt. Die Bands, die sich dieses Stils bedienten, brauchten nur ein adäquates Transportmittel ihrer Inhalte. Terrorizer hingegen folgten den Spuren von Napalm Death und versuchten die kritischen Texte beizubehalten, während sie die technische Form verfeinerten. Jesse Pintados Gitarrenarbeit hatte dabei wohl den größten Anteil am Erfolg. Auf dem Rücken seiner abwechslungsreichen Riffs bauten Terrorizer einen Genre-Klassiker.
2006 - also ganze 17 Jahre später - kommen Pintado und Sandoval wieder zusammen, um ein neues Terrorizer-Album aufzunehmen. Mit ihrem neuen Sänger Anthony Rezhawk und Tony Norman am Baß stellen sie "Darker Days Ahead" fertig. Jeglicher Versuch, dieses Album mit "World Downfall" zu vergleichen, muß aber zwangsweise scheitern. Nicht nur das - ein solcher Vergleich wäre auch vermessen und ergäbe wenig Sinn. Stattdessen steht mit "Darker Days Ahead" eine neue Band an einem neuen Anfang. Viel ist vom Flair alter Tage zu spüren, aber die Zeit ist zum Glück nicht stehengeblieben. Hätten Terrorizer ein zweites "World Downfall" einspielen wollen, dann wäre das Ergebnis wohl unweigerlich enttäuschend geworden. Das ist allerdings nicht der Fall. Zwar wird nicht großartig von der 89er-Rezeptur abgewichen, aber das Album ist eindeutig modern, aktuell und zeitgerecht - nicht nur in der Produktion oder der Auswahl der Themen, die Anthony Rezhawk gekonnt ins Mikrofon grunzt, sondern auch in kompositorischer Hinsicht.
Womit wir auch schon beim Schlußwort wären: Grindcore taucht wieder aus dem Underground auf und zeigt sich Dank Terrorizers "Darker Days Ahead" als zielsicheres Werkzeug für den ambitionierten und engagierten Geist einer mitdenkenden und besorgt den Zustand der Welt beobachtenden Metal-Community. Und die wird sich - nicht nur mit Headbanging - garantiert herzlich dafür bedanken.
Terrorizer - Darker Days Ahead
Century Media (USA 2006)
Napalm Death - Smear Campaign
Century Media (GB 2006)
Terrorizer erstehen wie der Phönix aus der Asche auf. Napalm Death veröffentlichen ihr neues Studioalbum "Smear Campaign". Und Nuri Nurbachsch erinnert sich an Grindcore.
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