The Wohlstandskinder - Dezibelkarate
Motor/Universal (D 2003)
Punker, Poser und doch irgendwie Pop: Die 1995 gegründete Punk-Kapelle aus Köln läßt´s auch im Interview mit David Krutzler so richtig krachen! 23.04.2004
Wenn sich Honolulu Silver (Gesang, Gitarre), Don Ludger de la Cardeneo (Drums), Türk Travolta (Gitarre) und Herr Neidhart aka "Raki" (Baß) auf den Bühnen dieser Welt ankündigten, war bisher manchmal recht wenig los, wie sie im Interview bekennen. Die Szene Wien, in der sie vor kurzem neben alten Hadern auch ihr neuestes Werk "Dezibelkarate" präsentierten, war jedenfalls - inklusive Christl Stürmer - bummvoll. Und der EVOLVER bekam noch vor dem Konzert eine Audienz.
EVOLVER: Ihr seid ja sehr fleißig mit dem Produzieren; das jüngste Werk "Dezibelkarate" ist bereits euer sechstes Album. Im Gegensatz zu euren ersten Platten, die ihr sozusagen übers Wochenende aufgenommen habt, dürft ihr jetzt schon mehr Zeit im Studio verbringen. Merkt ihr da persönlich einen Unterschied?
Raki: Die Töne, die wir aufnehmen, werden immer komischer. Früher hatten wir nicht die Zeit, mal einen ganzen Nachmittag Filter über Töne zu setzen und dann zu hoffen, daß das irgendwann mal einen Rhythmus ergibt.
Don Ludger: Oder des Nachts stundenlang mit Geigenbögen auf Gitarren herumzufuhrwerken - das hat man früher einfach nicht gemacht.
Honolulu Silver: Auch diesmal spielten wir die Songs eigentlich wieder ziemlich schnell ein, nur hatten wir dann eben die Zeit, nachdem die Gitarren und Baßlinien paßten, so Sachen auszuprobieren. Bei früheren Platten spielten wir einfach mal ein. Wenn die Töne und Riffs so halbwegs hingehauen haben, hat´s dann einfach geheißen: "Paßt, nehmen wir", und dann ließen wir das gleich so. Bei diesem Album hatten wir die Zeit, aus bekloppten, banalen, manchmal komischen Dingen einfach schöne Sounds zu erzeugen und manchmal auch zusammenzubasteln.
Türk Travolta: Das hört sich jetzt ein bißchen an wie die Sound-Tüftelei bei den Einstürzenden Neubauten. Das ist es natürlich nicht. Es macht teilweise immer noch "One, two, three, four", krach-bäng! Der Song hat ´ne Gitarre, Schlagzeug, Baß und eine Stimme, paßt!
Honolulu Silver: Früher setzten wir auch mehr Instrumente ein, da noch ´ne Geige, hier noch ein Synthie... Heute gibt es nur mehr wenig Background-Stimmen und auch keine Zusatzdinger wie Blasinstrumente, es ist irgendwie viel klarer strukturiert. Die Verkünstelungen werden subtiler in den Hintergrund gesetzt, du merkst es fast nicht, aber sie wirken.
EVOLVER: Wie war die Zusammenarbeit mit Produzent Olaf Opal, der ja auch schon mit Miles, Readymade und The Notwist zusammengearbeitet hat?
Don Ludger: Göttlich.
Honolulu Silver: Wir haben schon ausgemacht, daß wir die nächste Platte wieder mit ihm aufnehmen. Was die Aufnahmen irgendwie bereichert hat - und weil´s bei Olaf sofort gefunkt hat - war die Tatsache, daß wir aus einem straighten Rock-Bereich kommen, mit Schlägen gerade auf die Eins. Und der Olaf ist irgendwie der Indie-Guru, der brachte einfach neue Sound-Ideen mit ein.
Raki: Ich war in der Produktion noch nie so oft im Steakhouse essen wie mit Olaf.
Türk Travolta: So richtige 300-Gramm-Steaks...
Honolulu Silver: Zuvor gab es meist noch ´ne Currywurst, und dann sind wir erst rein ins Steakhouse.
EVOLVER: Ihr dürft euch rühmen, bereits mehr als 300 Konzerte gespielt zu haben und jeden grindigen Club im deutschsprachigen Raum zu kennen. Was war euer schlimmster Auftritt?
Honolulu Silver: Eindeutig Torgau 1998. Das hat alles geschlagen. Wir kamen um elf Uhr abends erst an, und es war kein einziger zahlender Zuschauer da.
Don Ludger: Das Konzert in Dresden 1999 war auch ganz arg. Aber diese verkorksten Abende machen dich stark. Es gab auch Konzerte, wo mit Bierflaschen und Böllern auf uns geworfen wurde. Wenn du solche Gigs überlebst wie vor einer Horde wildgewordener Punks, die dich hassen, dann kannst du auch vor 50.000 Fans im Stadion aufgeigen. Es war eine schöne Erfahrung, die ich aber nicht wirklich noch mal durchleben möchte. Zu dem Zeitpunkt sind solche Konzerte scheiße, aber nachher kannst du lustige Geschichten drüber erzählen.
Raki: Boahh. Weißt du noch, vor fünf Jahren, in diesem kleinen Kaff...? So fangen doch nur gute Geschichten an, oder?
EVOLVER: In welcher Gedankenwelt muß man leben, um auf "The Wohlstandskinder" zu kommen? Was für eine sarkastische Kritik - vom Punk-Standpunkt aus gesehen - suggeriert dieser Band-Name?
Honolulu Silver: Zum einen heißen nun mal alle Punkbands Schimmeltod, Kotz dir ins Gesicht, Leb in der Gosse oder so ähnlich. Zum anderen sind wir in unserer westlichen Welt nun mal alle Wohlstandskinder, auch 88jährige Omas.
Türk Travolta: Man muß sich schon ganz schön anstrengen, um im Mitteleuropa unserer Zeit zu verhungern...
EVOLVER: Wieso ist das heutzutage bei Bands so beliebte "The" vor dem Namen hinzugekommen? Haben die "The"-Bands ein wenig inspiriert?
Honolulu Silver: Einerseits ist das natürlich eine Persiflage, andererseits ein schönes Adelsprädikat. Zu dieser Zeit haben wir mit den Namensänderungen unsererseits auch gleich dem Band-Namen einen Schliff verpaßt.
Raki: Ich glaube ja auch, daß wir diesen "The"-Trend gesetzt haben.
Don Ludger: Genau, wir hießen ja auch früher "Wohlstandskinder 51"!
EVOLVER: Bei eurer jüngsten Platte "Dezibelkarate" kreidet man euch den Gebrauch verschiedener Stilrichtungen an. Alle Bezeichnungen sind mit Pop versehen: Pop-Punk, Power-Pop, Pop-Rock, poppiger Ska-Punk. Ist da der Einfluß des neuen Major-Labels zu bemerken?
Honolulu Silver: Na ja, es ist definitiv Pop. Aber auch schon bei unserer ersten oder zweiten Platte, die 1997 rauskam, hatten wir "Pop" bereits im Plattennamen [Anm.: Es war die zweite Platte "Poppxapank"]. Ich glaube, der Pop in unseren Songs hat sich nur mehr herauskristallisiert.
EVOLVER: Glaubt ihr nicht, daß ihr damit eure "echten" Punk-Fans - die, die euch entdeckt zu haben glauben - vergrault?
Türk Travolta: Es kommen ja jedes Jahr immer neue Fans hinzu, die meinen, uns als erste entdeckt zu haben.
Don Ludger: Viele Bands sagen: Wir machen nur Musik für unsere Fans. Natürlich ist das richtig, aber ich glaube, man ist nur authentisch, wenn den Band-Mitgliedern selbst das gefällt, was man gerade als Songs auf eine Konzert-Setlist oder auf die CD draufgepackt hat.
Honolulu Silver: Als wir so 16, 17 Jahre alt waren, waren wir sehr darum bemüht, eine bestimmte Attitüde aufzubauen und zu erfüllen. Wir wollten der Idealvorstellung in der Punkrock-Szene in den Texten und Songs gerecht werden. Heute, vor allem mit "Dezibelkarate", sind wir ehrlich wie noch nie. Mir ist wirklich scheißegal, was die anderen dazu sagen. Natürlich schmerzt ein Verriß heute sicher mehr, wenn er versiert ausgedrückt wird und es sich ums Essentielle in unseren Songs wie Text oder Melodie dreht. Weil es sich wirklich ums eigene Herzblut handelt, auf dem da herumgetrampelt wird.
Raki: Es ist irgendwie schon komisch, daß wir jetzt eigentlich dafür gelobt werden, was für Mist wir da manches Mal die ganzen Jahre über gespielt haben.
EVOLVER: So wie ihr ging auch die anarchistische Crossover-Band Chumbawamba nach Plattenverträgen mit Indie-Labels einen Kontrakt mit einem "bösen" Major-Label - in ihrem Fall EMI - ein, um später dann mehr oder weniger reumütig wieder zu den "Kleinen" zurückzukehren. Ist das für euch auch eine Option?
Türk Travolta: Zu einem Major zu gehen birgt immer eine Grundgefahr. Das kann bis zur Abhängigkeit führen. Wir kontrollieren aber fast alles selbst und agieren autark vom Label. Wir würden auch ohne Major weiterexistieren.
Honolulu Silver: 2000 haben wir aus Spaß unter dem Band-Namen Kindakacke eine Vinylscheibe mit vier Stücken aufgenommen und nannten die dann "Untot macht hirnpolitisch". Die Tracks darauf: "Scheiß Spießer", "Scheiß Bulle", "Scheiß Kommerz" und "Scheiß Scheiß". Das war für uns der gehobene Mittelfinger für die Punkrock-Szene, da wollten wir die Szene mal verarschen und ihnen einen Spiegel vor die Nase drücken. Und heute, vier Jahre später, lese ich im Gästebuch noch Einträge wie: Damals habt ihr noch "Scheiß Kommerz" gesungen, und was ist heute?
Don Ludger: Das sind die Leute, die einfach nichts checken. Da kannst du nur drüber lachen.
The Wohlstandskinder - Dezibelkarate
Motor/Universal (D 2003)
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