Weiterführendes
(Photos © Tatiana Lecomte, Catrin Bolt)
Die längste Zeit wollte niemand mehr etwas von den Zwangsarbeitslagern in und um St. Pölten wissen. Jetzt soll eine Kunstaktion an die Ereignisse der Nazi-Zeit erinnern. 16.11.2009
In den nächsten ein, zwei Jahren wird, wenn die Finanzierung klappt, jeder St. Pöltner Haushalt eine Ansichtskarte der Wiener Künstlerin Tatiana Lecomte mit folgendem handgeschriebenem Text erhalten:
"Ich bin gesund, es geht mir gut."
Dies ist ein Standardsatz aus der NS-Zeit, der auf Postkarten von Lagerinsassen - wenn es ihnen überhaupt erlaubt war, zu schreiben - niemals fehlen durfte. Insgesamt werden drei verschiedene Ansichtskarten-Motive versandt werden: der große Viehofener Schotter-See, unter dem heute das einstige Lager für ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter liegt; die Reste des ehemaligen Zwangsarbeiterlagers der Glanzstoffwerke in der Viehofener Au; und ein Massengrab der Nazizeit am St. Pöltner Hauptfriedhof. Auf jeder Ansichtskarte wird auch die Adresse einer Homepage mit historischen Materialien zu den drei Schreckensorten vermerkt sein.
Mit dieser Idee hat Tatiana Lecomte den ersten Preis beim Künstlerwettbewerb für ein "Mahnmal für die Zwangsarbeiterlager St. Pölten-Viehofen" gewonnen, der vom Land Niederösterreich und der Stadt St. Pölten ausgeschrieben wurde und an dem sich 164 Künstler aus elf Nationen beteiligt haben. Die Preisverleihung fand vor kurzem im St. Pöltner Stadtmuseum statt. Ein zweiter erster Preis, ebenfalls von der Jury zur Verwirklichung empfohlen, ging ebenfalls an eine Wiener Künstlerin, nämlich an Catrin Bolt. "Sie greift in ihrem Entwurf die in Freizeitarealen zur Vermittlung von Informationen beliebten Orientierungstafeln auf", heißt es in einer Beschreibung von Bolts Projektidee auf www.publicart.at. "An stark frequentierten Orten geben diese den aktuellen Standort der BesucherInnen wieder, in diesem Fall jedoch auf einer Karte, die die Situation um die Viehofener Seen von 1944/45 wiedergibt. Die fünf vorgeschlagenen Tafeln werden teils Ausschnitte des Geländes, teils das ganze Gebiet wiedergeben, wobei die Baracken der Arbeitslager sowie Teile der Strecke des Todesmarsches samt Legende eingezeichnet werden."
Eine von Lecomtes Ansichtskarten wird symbolisch auch an Paul Kraus in New South Wales in Australien gehen. Der pensionierte Lehrer wurde am 20. Oktober 1944 im Lager für ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter in St. Pölten-Viehofen geboren; bei diesem Geburtsort und -datum ist es mehr als ein Wunder, daß er heute noch am Leben ist. Ein mit seiner Geburt direkt zusammenhängendes Dokument wurde 2004 in den "Central Archives for the History of the Jewish People" in Jerusalem aufgefunden und war der erste konkrete Hinweis überhaupt auf die Existenz eines jüdischen Zwangsarbeiterlagers mitten in St. Pölten. Es handelt sich dabei um einen handschriftlichen Brief der "Traisenregulierung St. Pölten, Lager Viehofen-Au" an die "Jüdische Versorgungsstelle Wien" vom 9. September 1944, in dem es heißt:
"Die Traisenregulierung St. Pölten - Herzogenburg beschäftigt seit 11/VII. 1944 - 126 Personen intern. ungar. Juden, die im eigenen Lager Viehofen-Au untergebracht sind. Unter diesen Lagerinsassen befindet sich nun auch eine hoch schwangere jüdische Frau, bei der es, nach ihren eigenen Angaben, in ungefähr 3 Wochen zur Entbindung kommen dürfte. Die Entbindung selbst wird voraussichtlich im Lager hier stattfinden. Nachdem jedoch diese Frau keinerlei Babywäsche etc. besitzt, das Wirtschaftsamt St. Pölten einen Antrag um Zuteilung solcher Wäsche abgewiesen, bzw. die Lagerführung damit an die dortige Versorgungsstelle verwiesen hat, wird ersucht, veranlassen zu wollen, daß diese Frau ehebaldigst mit Babywäsche und sonstigem, was zu einer Hausentbindung gehört, versorgt werde."
Gezeichnet ist das Schreiben mit "Heil Hitler!", einem Stempel
"Traisen-Regulierung
St. Pölten-Herzogenburg
(Arbeitslager Viehofner Au)
Post: St. Pölten-Viehofen
Nied. Donau"
und einer unleserlichen Unterschrift. Weiters finden sich auf dem Schreiben Bearbeitungsvermerke der "Allgemeinen Stiftung für Jüdische Fürsorge", die unter der Aufsicht von Eichmanns "Zentralstelle für jüdische Auswanderung" damals noch tätig sein durfte, und schließlich der Vermerk "erledigt 17. 9. 1944".
Die dreißigjährige, schwangere Budapesterin Klara Kraus wurde Anfang Juli 1944 gemeinsam mit ihrem zweijährigen Sohn Peter und 124 weiteren ungarischen Juden am Bahnhof des Zwangsarbeiter-Umschlagplatzes Strasshof im heutigen Weinviertel in Viehwaggons gepfercht. Das Ziel der Fahrt wurde den Menschen nicht genannt, der Zug schien um Wien herumzufahren und dann Richtung Westen unterwegs zu sein. Die Verhältnisse in dem völlig überfüllten Waggon während der tagelangen Fahrt waren traumatisierend, die sechzehnjährige Zwangsarbeiterin Margareta Balog schrieb später in ihr Tagebuch: "Seligmann Klara lag auf mir. Ich war im Schock. Ständig bohrte sich irgendein Eisen schrecklich in mich. Es kam mir vor, daß diese Nacht ewig dauerte." Am Abend des 10. Juli 1944 kam der Transport am St. Pöltner Hauptbahnhof an. Die Nacht verbrachten die künftigen Zwangsarbeiter auf dem Boden der Warteräume; als Juden war es ihnen nicht gestattet, auf den Bänken zu schlafen.
Am Morgen marschierten die 126 Gefangenen, eskortiert von drei Wachen namens Kubitschek, Losleben und Seif auf Fahrrädern, in Richtung Osten durch die Stadt. Entlang des westlichen Ufers des Flusses Traisen ging es in Richtung Norden in die Au östlich des St. Pöltner Stadtteils Viehofen. Die Neuankömmlinge fanden ein leeres Lager mit acht umzäunten, kleinen Baracken vor. Außerhalb des Stacheldrahtes standen eine Waschküche, ein WC und die größte, für den Lagerführer bestimmte Baracke, die über einen Luftschutzbunker für ihn und die Wachen verfügte.
Die Viehofener Au gehörte dem Grafengeschlecht derer von Kuefstein, deren jahrhundertealtes Schloß über dem Dorf thronte. Betreiber des Lagers und damit quasi Arbeitgeber der ungarischen Juden war der in St. Pölten ansässige Traisen-Wasserverband, der nach den Hochwässern der Jahre 1940 und 1941 versuchte, den Fluß im Bereich von Viehofen zu regulieren. Ab 1942 hatte er sich dazu zunächst des Reichsarbeitsdienstes, dann Kriegs- und Strafgefangener sowie bis 10. Juli 1944 ukrainischer Zwangsarbeiter bedient. Als letztere kriegswichtigeren Arbeitsstellen zugeteilt wurden, suchte der Verbandssekretär Johann Gruber um neue Zwangsarbeiter an, war dann aber nicht gerade glücklich über die vom Gauarbeitsamt zugeteilten jüdischen Arbeitskräfte, da ihm zu viele Kinder, Frauen und alte Menschen darunter waren.
Die Wachen des Viehofener Aulagers waren neben dem Lagerführer Kubitschek, nach Aussagen von Lagerinsassen bis zuletzt ein überzeugter Nazi, zwei ältere Männer, die man aus der Pension geholt und hier in Dienst gestellt hatte. Letztere standen den Juden wohl weder besonders negativ noch positiv gegenüber. Der Lagerführer begann nach einiger Zeit ein Verhältnis mit einer blutjungen, jüdischen Lagerinsassin, die diese 'Freundschaft' in ihrer totalen Abhängigkeit wohl oder übel über sich ergehen lassen mußte. Die für das Mädchen sehr traumatische erzwungene Liebschaft kulminierte ein paar Monate später in einer Abtreibung, die unter primitiven Bedingungen und unter höchster Geheimhaltung vorgenommen werden mußte. Die schwere, erschöpfende Zwangsarbeit mußte von den Erwachsenen am Traisenufer östlich des Lagers geleistet werden, wo Dämme zu bauen waren und der mäandernde Fluß in ein gerades Bett umgeleitet werden sollte. Die Kinder hatten im Lager Holz und Balken zu sägen sowie andere Arbeiten zu verrichten. Auch der hochschwangeren bzw. späteren Wöchnerin Klara Kraus wurde die Zwangsarbeit nicht erspart. Ihr Elend blieb zumindestens zwei Frauen aus dem nahen Industriedorf Viehofen nicht verborgen:
"... Es war im 44er Jahr und mein Bub war eineinhalb Jahre und eine Frau, die hat gesagt: 'Du, da ist eine Jüdin, die ist so arm, die hat einen ganz kleinen Säugling und muß aber arbeiten mitgehen.' Sagt sie: 'Habt ihr nicht einen Wagen [= Kinderwagen; M. W.]?' Sage ich: 'Na ja, wir haben einen stehen in der Schupfen [...].' Hat sie gesagt: 'Wasch ihn und mach ihn zusammen.' Ich hab alles hinein, Betterl gerichtet, vom Buben das Jackerl und alles. Und auf einmal ist sie gekommen, sagt sie: 'Du, in der Au sind so viele Gelsen, mach Vorhangerl vor!' No, habe ich das auch noch gemacht. Und dann sind wir daune gefahren und niemanden etwas gesagt, weil hat ja nicht sein dürfen. Sind wir daune gefahren und haben den Bub ein wenig, wie wenn wir Blumen brocken täten, und dann ist so ein schmaler Weg gewesen, gerade wie der Kinderwagen und ... von den Bäumen durch. Und wir sind hinein und haben da ... Es waren aber viele Bäume, so dicke waren da drinnen, und wie wir hingekommen sind, ist rechts ein Bunker gewesen und links war das Lager. Ein riesengroßer Zaun und da sind ein paar ..., ich habe es nicht richtig ausnehmen können, weil wir uns andauernd versteckt haben. Und da habe ich andauernd gedeutet, daß der Wagen da ist. Und habe ihn wieder ... Und dann habe ich das Kind genommen, daß sie gesehen haben, ich gehe mit ihm. Und in ein, zwei Tagen darauf, hat die Frau gesagt: 'Du, die ist schon mit dem Wagen gefahren.' No, war ich glücklich!", erinnert sich eine Viehofener Zeitzeugin heute.
Als alleinige Verpflegung für die zunächst 126 Zwangsarbeiter waren 14 Brote vorgesehen, die jeden Tag mit einem Handkarren von einer Bäckerei neben der Viehofener Schule abgeholt wurden. Obwohl die Anzahl der Gefangenen in den folgenden Wochen und Monaten auf rund 180 stieg, wurden nie mehr als 14 Brote zugeteilt. Vor allem alte Menschen im Lager erlagen der Erschöpfung und dem Hunger, bis April 1945 starben acht von ihnen. Während die Zwangsarbeiter darbten, wurde das Wild in der Au, die gräflich-kuefsteinsches Jagdrevier war, bis Kriegsende gut gefüttert. Auf Fluchtversuche stehe der Tod durch Erschießung, wurde den Insassen ständig eingeschärft, aber aus Hunger wurden trotzdem einige unternommen. Von diesen Flüchtigen hat man bis heute nie wieder etwas gehört.
In den ersten Apriltagen des Jahres 1945 war bereits das Artilleriefeuer der Sowjetarmee zu hören, deren Angriffslinien sich von Osten her der "Wirtschaftsgauhauptstadt St. Pölten" näherten. Am Abend des 6. April erklärte der Lagerführer Kubitschek dem Lagerarzt Dr. Balog, daß er sich mit seinen beiden Männern unverzüglich absetzen und die Insassen ihrem Schicksal überlassen werde. "Die Lagertore blieben unversperrt und die Wachen kamen auch in der Nacht nicht mehr zurück", heißt es im Tagebuch von Margareta Balog. Kaum jemand im Lager schlief in dieser Nacht, alle Insassen standen vor einer existentiellen Entscheidung. Gewarnt durch den Wachmann Losleben, verließ Klara Kraus gemeinsam mit ihren beiden Kleinkindern am Morgen des 7. April das Lager und wandte sich in Richtung Osten, auf die nahende Front zu. Nur einige wenige Familien wie die Balogs, die Partos und die Kohns folgten ihrem Beispiel. Kurz danach rückte die SS in das Viehofener Aulager ein und erschoß alle Alten, Kranken und Schwachen. Der Rest der Insassen wurde auf einen Todesmarsch nach Mauthausen getrieben.
Weiterführendes
(Photos © Tatiana Lecomte, Catrin Bolt)
Ich habe Maschinenbau studiert und bin auf all das hier nicht angewiesen. Schließlich habe ich im Gegensatz zu Ihnen etwas Vernünftiges gelernt. Außerdem bin ich voll und ganz davon überzeugt, richtig gehandelt zu haben ...
Das Schlimmste ist, daß sie den Kopf zu mir drehen und mich anzusehen versuchen, während ich sie über den Haufen fahre. Sie ziehen nur den Kopf ein wenig ein und schauen mich irgendwie traurig an ...
Am 4. Dezember 2000 verstarb Hans Carl Artmann, einer der größten Literaten Österreichs. Anläßlich des zehnten Todestages: Eine Hommage von Manfred Wieninger.
Es könnte der Titel eines modernen Romanes aus deutschsprachiger Feder sein. Doch auch anderswo werden verkrampfte Begriffe ersonnen. Beim Militär zum Beispiel.
Massaker in Hofamt Priel: Revierinspektor Winkler und eines der größten ungelösten Rätsel der österreichischen Kriminalgeschichte.
Von Manfred Wieninger
Es gibt sie noch, die legendären Wiener Cafés, mit ihren Geschichten und ihrer Vergangenheit - wenn auch manche Änderungen ein wenig eigenwillig anmuten. Manfred Wieninger hat eines davon besucht.
Kommentare_
Ich war mit der mir zugestellten Ansichtskarte mit dem Text: Ich bin gesund, es geht mir gut ohne Signierung leider sehr verunsichert und dachte mir, daß möglicherweise der Verfasser mir ein derartiges Leben "GÖNNE? Da ich kürzlich einige ungebetene Besucher hatte! Ein Gespräch bei der Polizei, da man bei mir bereits eingebrochen hat und der Schaden sehr groß war, brachte leider kein Ergebnis! Hätte mir gewünscht, daß zumindest die Zeichnung: Tatiana Lecomte aufgeschienen wäre, dann hätte ich mir weniger Sorgen gemacht. Jetzt mußte ich im Internet recherchieren um der Sache auf den Grund zu gehen! Hoffe, daß Sie die Menschen damit nicht zu sehr verunsichern -
da meine Nachbarschaft derartige Post nicht erhielt - war für mich die Post beunruhigend! mfg Rosemarie Fuchs
Diese Postkarten-Aktion verunsichert ältere Menschen. Meine Eltern haben gestern 2 dieser Karten erhalten und wussten nicht was das soll.
Meiner Meinung nach sind solche Aktionen sehr teuer und unnötig. Das Mahnmal steht und wer die Geschichte der Stadt kennt, wird auch wissen warum. Müssen wir immer noch in der NS-Zeit leben? Es war unbestritten eine unvorstellbare schreckliche Zeit. Aber jede Woche in irgendeiner Form (Zeitung, Fernsehen,....) daran erinnert zu werden, ist schon ein bischen viel. Man soll nicht vergessen und/oder verdrängen, aber wie gesagt diese Aktion war und ist unnötig. Dieses Geld wäre für Bedürftige sicher besser angelegt gewesen. Die Armut nimmt Überhand, auch in St. Pölten.
Es grüßt Sie, selbst eine Bedürftige Witwe
Brigitte Hutterer