Stories_Simone F. Baumann im Interview
Das Sterbedatum als Titel
Gerhard Förster interviewte die avantgardistische Comic-Newcomerin Simone F. Baumann. Lesen Sie im EVOLVER, was sie über abbgebildete Seelenzustände, akribische Arbeitsweisen und ihre Zukunft zu berichten hat.
20.01.2020
Jung, hübsch, sympathisch, ein angenehmer Gesprächspartner ... so erlebte ich Simone auf der "Buch Wien", als ich sie in einer Bekanntenrunde kennenlernte. Und wie sind ihre selbstpublizierten Comics beschaffen (sofern man diese eigenwilligen Bildwelten als Comics bezeichnen kann)? Ungewöhnlich, alltagsbezogen, düster, fast textlos. Ihre extrem penible Art der Zeichnung ist ebenfalls ungewöhnlich (z. B. zieht sie nicht einfach eine Linie, wenn sie zwei Panels voneinander trennen will, sondern macht unzählige fizzelige Striche, die gemeinsam dann eine Linie ergeben). Ihr neues Heft ist bereits das 39ste. Ich fragte Simone in der Gesprächsrunde, was "2067" - der Titel ihres Magazins - aussagt. Ihre Antwort: Dies wäre wohl ihr voraussichtliches Sterbedatum. Na geh ...
Simone scheint Seelenzustände abzubilden. In der Geschichte "Depression" verliert sie ihren Kopf, dann ihre Bestandteile, und letztlich entsorgt alles der Straßenkehrer. In "Depression 2" sieht man sie sich kopflos im Hamsterrad abstrampeln. In "Paranoia" flüchtet sie vor bedrohlich zugreifenden Händen, indem sie sich aus dem Klofenster stürzt und in einer Szenerie landet, die an Hitchcocks "Fenster zum Hof" erinnert. Und in "Das Schlimmste" passieren alle häuslichen Katastrophen gleichzeitig - und sie erstickt in ihrer brennenden Wohnung an einem Bonbon.
Soviel zu meiner Rezension. Da Simones ausdrucksstarke Comics in mir das Bedürfnis weckten, mehr darüber zu erfahren, stellte ich ihr per Mail einige Fragen.
EVOLVER: Fühlst du dein Werk in meiner Rezension richtig interpretiert?
Simone: Klar, klingt doch ganz gut. Ich finde auch nicht, daß das gleiche, was ich mir bei einem Bild oder einer Geschichte gedacht habe (oder auch nicht ...) den Leser immer eins zu eins anspringen muß. Das, was du oder wer auch immer sieh(s)t und liest, ist doch total richtig. Am Schlimmsten finde ich, einen Comic noch erklären zu müssen.
EVOLVER: Wie kommst du dazu, solche Comics zu zeichnen? Arbeitest du damit Probleme auf? Daß du dein Publikum unterhalten willst, scheint nicht im Vordergrund zu stehen, oder? Kommerzielle Erwägungen vermutlich auch nicht ...
Simone: Schwierig zu sagen, wie irgendjemand zu einer bestimmten Tätigkeit oder einem Beruf kommt. Man merkt ja auch, was einem liegt und was nicht. Sagen wir mal so, ich habe bald gemerkt, daß ich nicht Mathematik studieren will. Nach und nach kam immer mehr dazu, was ich nicht wollte. Aber zeichnen konnte ich immer. Und als ich dann endlich richtig und ernsthaft damit angefangen habe, so mit 17, 18, wurde vieles besser. Es war für mich logisch, daß ich das weitermachen will. Ich weiß nie recht, wie ich mit diesem "Romantischer Künstler"-Klischee umgehen soll. Ich meine, natürlich will ich auch gerne bestätigt werden in meiner Arbeit. Freiheit ist wichtig, klar, aber das heißt nicht, daß Künstler weltfremd sind oder sowas.
EVOLVER: Schon klar. Der Supermarkt schenkt dir auch nichts, bloß weil du Künstler bist. Warum zeichnest du auf diese akribische Weise? Dein Stil mit den vielen feinen Linien ist sicher sehr aufwendig. Trotzdem hast du schon 39 Hefte geschaffen. Du hast vermutlich enorm viel Zeit hineingesteckt, richtig?
Simone: Das ist richtig, wie man sieht, ist es eine zeitintensive Arbeit. Zum Glück beginne ich jedes Mal wieder mit einer leeren, weißen Seite. Ich sehe ja am Anfang nicht, wie viele Striche ich da noch machen werde ... Ich mag die repetitive Arbeit, und das Tolle ist, man kann gleichzeitig denken und zeichnen. Man kann sogar gleichzeitig Musik hören, denken und zeichnen. Das finde ich sehr beruhigend, kathartisch sogar. Es sieht vielleicht verbissen aus, akribisch, wie du sagst, aber für mich ist die ganze Sache durchaus angenehm.
EVOLVER: Dein Zeichenstil erinnert mich an Debbie Drechsler. Kennst du die? Ihre Comics gehen unter die Haut. Auf Deutsch erschien 1997 "Konstellationen" bei Reprodukt. Da ging es um Mißbrauch. Sie kann sehr eindringlich erzählen. Willst du nicht auch einmal eine richtige Geschichte versuchen?
Simone: Nein, ich will eigentlich keine "richtige" Geschichte versuchen. Solche Begriffe und Empfindungen ändern sich ja auch immer wieder, oft auch im nachhinein. Ich finde es außerdem schwierig, überhaupt irgendwelche Leute direkt miteinander zu vergleichen, oder ihre Arbeit - ob inhaltlich oder über die Ästhetik. Es macht ja jeder eine eigene künstlerische Entwicklung durch, das ist ein Prozeß, eine Veränderung, und um das geht es auch. Ich will meine Arbeit und meine Geschichten einfach so weiterentwickeln, wie es mir paßt.
EVOLVER: Was zeichnest du derzeit? Gibt es Pläne? Versuchst du, von der Kunst zu leben?
Simone: Ich bin an der nächsten Ausgabe meines Comics, wie immer - diesmal an der vierzigsten Nummer. Erst kürzlich habe ich eine Kulturförderung erhalten, ein halbes Werkjahr im Bereich Literatur von der Stadt Zürich, was eine große finanzielle Erleichterung bedeutet. Damit mache ich jetzt einfach einmal weiter wie bisher, ich würde auch gern in der näheren Zukunft ein erstes Comicalbum veröffentlichen. Material habe ich ja genug ...
EVOLVER: Alles Gute, Simone! Und danke, daß du meine Neugier gestillt hast.
Gerhard Förster
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