Stories_Shy/Interview

Sympathisch reicht nicht

Was der Einzug in japanische Dance-Single-Charts mit dem Konkurs des Handelsriesen Libro zu tun hat: Die Linzer Indie-Pop-Band Shy hatte dem EVOLVER einiges zu erzählen.    21.03.2006

Für Musiker kann das mit Problemen und Erlebnissen bisweilen ziemlich einfach sein. Da packt man seine persönlichen Befindlichkeiten in kryptische Textzeilen und läßt die ganze Welt am Seelenstrip teilnehmen. Und da stört es auch nicht, wenn man zwischen den Zeilen ein paar Scheite nachlegt. Selbst Country-Legende Johnny Cash sang Anfang der 60er vom Leben hinter Gittern, ohne die Eisenstäbe jemals von innen gesehen zu haben; das holte er erst später nach.

Auch bei der Linzer Kombo Shy haben sich in 15 Jahren Bandgeschichte - für österreichische Verhältnisse - famose, traurige und tragisch-komische Ereignisse angesammelt, wie Singer/Songwriter Andreas Kump und Gitarrist/Keyboarder Peter Lang im exklusiven EVOLVER-Interview ausführen. Euphorische Kritiken in Feuilletons internationaler Tageszeitungen wie der "Neuen Zürcher Zeitung" zum Beispiel. Oder musikalische wie ökonomische Erfolge im fernen Japan. Und - am Zenit des Erfolges - knapp 40 "Besucher" bei Konzerten in heimischen Gefilden.

Das Songwriting des nunmehr sechsten Studioalbums "Zurück am Start" läßt freilich solche Geschichten außen vor: Von Verlust und Trauer bis hin zu (unerfüllter) Liebe spannt sich der gefühlvolle Bogen, ummantelt von einer vorsichtigen Resignation vor dem Leben.

 

Andreas: "Da steckt halt Lebenserfahrung drinnen. Das ist eine Platte, die in einer gewissen Phase innerhalb von 14 Tagen entstanden ist. Es setzt sich mit einer Lebensführung auseinander, mit dem Erreichten. In gewisser Art und Weise ist es eine Bankrotterklärung."

Peter: "2005, als wir das Album getextet und geschrieben haben, sind - jetzt nicht unbedingt bandintern - schlimme persönliche Geschichten passiert. Sich in den Proberaum zu setzen und dann Musik zu machen, ist dann was Essentielles, weil das das einzige ist, das dich ein bißchen rausholt aus dem Sumpf."

 

Shy gehen mit dem Erlebten nicht kryptisch um. Ohne mit den Songtexten näher auf sich selbst eingehen zu wollen, lassen sie das Gesagte beim Hörer wirken, schaffen mit sanften Gitarrentönen eine Aura der Vertrautheit, des Mitfühlens, des Verständnisses. "Wie ist das Leben ohne dich? Schwer und falsch, fürchte ich", wissen sie im Song "Jeder hat sein Leben ganz zu leben" zu berichten.

 

Peter: "Es gibt keinen, der 20, 22 oder 25 Jahre alt ist, der noch nie mit Liebeskummer oder anderen Verlusten zu kämpfen gehabt hat. Die Texte auf dem Album sind viel einfacher gehalten als auf früheren."

Andreas: "Ich habe mir oft gedacht, ob die Texte für meinen Anspruch nicht doch zu pubertär daherkommen, zu einfach gestrickt. Es ist halt die Zeit, in der viele unserer Freunde heiraten und Kinder kriegen - und gleichzeitig machen wir ein Album, auf dem es um Verlust geht. Das ist eine sehr konträre Bewegung. Du stehst ziemlich alleine aufgestellt da. Rundherum ist Frühling, und du kehrst gerade das Laub im Garten zusammen."

 

Als "Start ins Leben" sieht Andreas daher auch den programmatischen Albumtitel "Zurück am Start". Auch karrieretechnisch gesehen: Schon die beiden Alben "Pullover" (1997) und "¿Comprende?" (1999) schlugen bei renommierten Musikkritikern ein wie eine Bombe. Im fernen Japan kletterten Shy mit dem Dance-Hit "Theme From A Summer Place" in die Dance-Single-Charts und fanden sich plötzlich auf so großen Verlagslabels wie EMI und Universal wieder.

 

Peter: "Es ist dann richtig losgegangen. Nur die Platte ..."

Andreas: "... lag wie Blei in den Regalen. Unser Pech war, daß sich genau in dem Monat, wo unsere Platte rausgekommen ist, der Vertrieb mit der Plattenfirma zerstritten hat."

 

"Auf Reisen" (2001) sollte dann endgültig den Durchbruch bringen. Glück war den Linzern aber keines hold: Just im Veröffentlichungsmonat der Platte, als Libro bereits 2000 Shy-Silberlinge bestellt hatte, begann der Handelsriese zu krachen. Und auch dem 2004er-Nachfolger "35 Sommer" war trotz großartiger Pop-/Rock-Songs (Anspieltip: "Delinquent der Liebe") kein kommerzieller Erfolg beschieden.

 

Peter: "Das hat uns schon ziemlich geknickt. Aber das Aufraffen paßt auch wieder zu 'Zurück am Start'."

Andreas: "Ich mag diese Phase ziemlich gerne, wenn du in Agonie herumliegst, und auf einmal fangen diese eingerosteten Zahnräder wieder zu werkeln an."

 

Von Rost ist auf "Zurück am Start" nichts zu sehen oder zu spüren. Wenngleich die erste Single-Auskopplung "Loch im Kopf" noch am ehesten an rockige frühere Songs erinnert, ist der Herzschlag des Albums aber deutlich entschleunigt worden. Wohin soll´s also vom neuen Start aus gehen?

 

Peter: "Wir sind jahrelang in Kritiken als die 'beste Band Österreichs' bezeichnet worden, mit dem letzten Album '35 Sommer' waren wir nur mehr die 'sympathischste Band'. Ich habe mir gedacht: Hey! Sympathisch sind wir sowieso. Wir wollen uns unseren alten Titel wieder zurückerobern."

 

Man darf es den Vollblutmusikern wünschen. Neben den einfachen und eingängigen Melodien haben Shy mit ihrem Songwriting nämlich noch ein - österreichweites - Alleinstellungsmerkmal. Bekanntlich verrät nichts so viel über die Bildung eines Menschen wie seine Sprache ...

 

Shy Live:

12. 4. 2006 Wien, Chelsea

21. 4. 2006 Linz, Posthof

22. 4. 2006 München, Prager Frühling

27. 4. 2006 Salzburg, Rockhouse

6. 5. 2006 Ebensee, Kino

David Krutzler

Shy - Zurück am Start

ØØØØ 1/2


Wohnzimmer Records (Ö 2006)

 

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