Stories_Rokko´s Adventures im EVOLVER #53
Revolution nach innen
Die Schlaraffia ist ein 1859 gegründeter Männerverein mit eigener Zeitrechnung, eigenen Ritualen - und eigenem Humor. Fast 11.000 Schlaraffen sind in der ganzen Welt vertreten, und überall spricht man deutsch, respektive verulkt dieses im "Schlaraffenlatein". Bei den wöchentlichen Treffen werden die Bürger zu Narren, der Spaß wird dabei sehr ernst genommen. Team Rokko war vor Ort.
15.07.2013
Rokko´s Adventures ist - so steht es im Impressum - eine "unabhängige, überparteiliche sowie übermenschliche Publikation" und "setzt sich mit Leben, Kunst, Musik und Literatur auseinander". Der EVOLVER präsentiert (mit freundlicher Genehmigung) in regelmäßigen Abständen ausgewählte Beiträge.
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Flashback (Lesen Sie hier, wie alles begann): Ritter Staphylo blickt auf die Uhr - gleich ist es acht. Bevor er auf die Kanzel steigt, warnt er mich noch: "Die ersten Male verzweifelt man und denkt sich wahrscheinlich: 'Die gehören alle auf die Baumgartner Höhe.' Erst nach vier bis fünf Jahren fängt man an, es zu verstehen." Ritter CondeQuent zuckt mit den Schultern: "Also, wenn mich jemand fragt, was die Schlaraffia ist, sage ich immer: 'Ich bin seit 32 Jahren dabei - und ich weiß es noch immer nicht.' " Was er aber weiß ist, worüber man zu schweigen hat: "Keine Politik, keine Religion, keine Zoten."
Teil 1
Nachdem sich die Burg mit zirka 60 Schlaraffen gefüllt hat, eröffnet der Ceremonienmeister um 20 Uhr die 3449. Sippung und klopft mit seinem Sowas-wie-ein-Nikolausstab auf den Boden: "Schlaraffen, rüstet euch! Das Reych erhebe sich." Alle Anwesenden stehen auf, der Gong hinter den Oberschlaraffen wird angestimmt. Es folgen feierliche Einführungsansprachen in Reimversen, die von Posaunenfanfaren und Klavierritten abgerundet werden. Lauthals singt die gesamte Mannschaft Schlaraffenlieder. Die Sprache, die durch den Abend führt, verwendet das königliche "wir" und ist generell sehr förmlich-ritterlich. Diese Form wird nicht gebrochen, alles bleibt übertrieben anachronistisch. Hier gibt es kein Internet, kein Handy, keinen Beamer - dafür wird gegessen und getrunken. Manche Ritter haben ihre eigenen Ritterkelche mit, die anderen trinken aus Weingläsern, auf die "Schlaraffia Vindobona" gedruckt ist. Ein dickerer Schlaraffe wird von einem Ritterbruder gefragt, ob er auch ein Bier möchte - und zuckt kleinlaut mit den Schultern: "Na, woaßt eh, i deaf ja nix mehr trinken." Einige Schlaraffen sind aufgrund ihres hohen Alters gesundheitlich schon etwas eingeschränkt. Gelacht wird trotzdem.
Jeder Schlaraffe hat seinen eigenen Paß, in dem Stempel zur Verlängerung des Schlaraffendaseins und Markierungen für jede Teilnahme an einer Sippung zu finden sind. So mancher, wie Ritter Staphylo, ist schon seit mehreren Jahrzehnten dabei, und der Paß ist mit einem Foto aus seinen Zwanzigern geschmückt. Wer Schlaraffe werden will, muß einen Ritter zum "Paten" haben, der ihn als "Pilger" einführt. Nach einigen Sitzungen wird in einer "Kugelung" über dessen Zukunft abgestimmt. Es gibt eine monatlich erscheinende Schlaraffenzeitung, die jeder Schlaraffe weltweit enthält. Dort werden unter anderem um Aufnahme bittende "Prüflinge" vorgestellt, um allen Schlaraffen die Möglichkeit zu geben, Einspruch zu erheben, falls Grund besteht. Wenn alles gutgeht, beginnt er als "Knappe" und kann sich über die Stufe des "Junkers" zum "Ritter" hocharbeiten. Der Junkermeister hat die Aufgabe, hoffnungsvolle Schlaraffen einzuführen. Er sitzt mit den Azubis vorne an einem Tisch in der ersten Reihe. Es gibt keine fixe Sitzordnung, außer bei den Bühnenfiguren: in der Mitte die drei Oberschlaraffen, einer des Inneren, einer des Äußeren, der dritte der Kunst. Rechts davon der Marschall, links der Kanzler, der Protokoll führt. Die Hierarchie erinnert an die von Burschenschaften, und tatsächlich erzählt Ritter CondeQuent: "Ich war früher in einer Studentenverbindung. Aber keiner schlagenden, sondern einer protestantischen!" Die Schlaraffia betont immer wieder, weder Verbindung noch Freimaurerloge noch Service-Club zu sein.
Sämtliche Gäste aus anderen Reychen werden nun feierlich begrüßt. Die Schlaraffen des Reyches Vindobona bilden die "Schwertergasse", einen Gang, der zur Bühne führt. Die Zugereisten werden einzeln aufgerufen, betreten die Burg und durchschreiten die Reihen. Die Schlaraffen nennen das den "Einrytt", während dem die gegenüberstehenden Schlaraffen laut mit ihren Schwertern aufeinanderschlagen und unentwegt "Lulu! Lulu! Lulu!" schreien. Beim Oberschlaraffen angekommen, erfolgt eine Begrüßung, bei der der Rittername, die Reychsherkunft und die genaue Stellung durchgegeben werden. Die Ritter tragen so verschiedene Namen wie Duplex der Gewaltige, Elfengleich und Veltlin. Nachdem alle Gäste eingerytten sind, spricht Ritter Staphylo "Das Reych werde seßhaft", und alle nehmen Platz - fast wie in der Kirche.
Nach "drei donnernden Begrüßungs-Lulus" wird auf die letzte Sippung zurückgeblickt, und der Kanzler verliest das Protokoll. Es gibt Einsprüche seitens der Schlaraffen über einige Kleinigkeiten; wieder werden Worte verdreht und Sinne neu gedeutet. Ein Schlaraffe - früher bei der Polizei - heißt Ritter Rock´n´Roll und singt in einer Favoritner-Mundart-Combo. Er liefert sich Wortduelle mit den Oberschlaraffen und Ritterkollegen. Wer das Wort erhebt, muß vom Oberschlaraffen dazu aufgefordert werden und aufstehen. Nur einer darf ohne Genehmigung von oben reden: der Hofnarr, der auch stets ein paar Verse losläßt, um das Geschehen zu kommentieren. Es wird hin- und hergedisst, Wörter werden vielfach im Mund gedreht. Ritter Staphylo reagiert auf eine Meldung: "Mitleid gibt´s umsonst, Neid muß man sich erkaufen." Es wird viel gelacht, und anstatt in die Hände zu klatschen, wird auf den Tisch gehauen und "Lulu!" geschrien.
Wer Geburtstag hat, wird mit einem Lied gefeiert, das in allen Reychen um den Erdball gleich ist - genau wie alle anderen Zeremonienschritte den Regeln von 1859 verpflichtet sind. Jetzt folgt die nächste Feierlichkeit: Ein Knappe wird zum Junker ernannt. Ritter Staphylo richtet folgende Begrüßungsworte an ihn: "Das ist eine seltsame Mischung aus Ernst und Scherz, Kunst und Humor. Wir übergeben euch diesen Knappen. Bekleidet und bewaffnet ihn." Daraufhin bekommt der Kandidat einen Helm und ein Holzschwert. Das ist einer der zwei schönsten Tage im Leben eines Schlaraffen, so Ritter CondeQuent. Der andere ist die Ernennung vom Junker zum Ritter.
Daß der Schlaraffia keine Frauen beitreten, steht wie die Deutschpflicht in den Statuten - und an denen wird nicht gerüttelt. Die einzige Frau im Raum ist Wilma, die "Styxin", also Kellnerin. Sie ist in zwei Reychen als solche aktiv, obwohl sie keine familiären Bande zu den Schlaraffen hat. Die charmante Dame trägt einen Helm, den sie vor Jahrzehnten von einem Schlaraffen geschenkt bekommen hat. Seit 41 Jahren bringt sie den Schlaraffen Speis und Trank. "Ich bin da unwissentlich als Aushilfskellnerin reingerutscht und kenne die schon alle sehr gut, viele von klein auf, viele sind auch schon gestorben. Aber es hat sich nichts geändert. Es gibt einen Film, der ist schon fast 100 Jahre alt - und selbst da ist es genau so wie hier und heute", lächelt Wilma. Währenddessen durchschreitet ein Schlaraffe die Burg mit einem Körberl und sammelt Geld ein - oder, wie es die Schlaraffen nennen: er "berappt". Die Rituale und Zeremonien werden in aller Ausführlichkeit durchexerziert, weltweit auf dieselbe Weise. Nach einer Stunde ist der erste, amtliche Teil der Sippung vorbei. "Schlaraffen, hört: Wir verkünden eine kurze Schmusepause."
Schmusepause
Informell geht es nach dem Gongschlag in die viertelstündige Schmusepause. Einige gehen aufs Klo, andere palavern ungezwungen, wieder andere fragen mich, wie mir das Spektakel gefällt, und erläutern einzelne Kleinigkeiten. Ich treffe einen Ritter von den Vindobona Old-Stars, einer New-Orleans-Jazzband von Schlaraffen. Er erzählt mir, daß der Hofnarr ihr Sänger ist, merkt mir meine ganzheitliche Verwirrung an und meint grinsend: "Wenn Sie Fragen haben, wir werden sie Ihnen auch nicht beantworten können." Auf dem Weg zur Toilette sehe ich an einer Pinnwand Ankündigungen von den Themen der nächsten Sippungen und von geplanten Ausflügen. Auf einen sind auch die Burgfrauen herzlich eingeladen, ein gemeinsames Programm zu erleben - bis zum Abend, dann trennen sich ihre Wege: Die Damen sind für eine Vorstellung des Musicals "Grease" eingeteilt, die Männer für einen Besuch im Hofbräuhaus.
Außerhalb der Sippungen kann man Schlaraffen an der "Rolandnadel", einer kleinen weißen Perle am linken Revers, erkennen. Zum Teil sogar im Fernsehen: In Deutschland trat der Wettermann Uwe Wesp alias Ritter Taifun stets mit Erkennungszeichen den Weg ins Wetterstudio an. Einige Schlaraffen haben ein Uhu-Pickerl auf ihrem Auto kleben. Wenn ein Schlaraffe auf der Autobahn einen solchen Aufkleber auf dem Auto vor sich sieht, wird er es überholen und sich bemerkbar machen; sobald auch der zweite registriert hat, daß sich hier zwei Schlaraffen gefunden haben, wird der nächste Autobahnparkplatz für ein kleines Schwätzchen genutzt, erzählt Ritter CondeQuent. Ob diese Erkennungszeichen Einfluß auf das richtige Leben haben und gewisse Vorteile bringen, will niemand so recht bestätigen. Ritter Staphylo meint auf meine Frage zögernd, ob ein Schlaraffe im Wartezimmer vorgereiht werden würde: "Na ja ... vielleicht." CondeQuent sagt, daß es bei einem Vorstellungsgespräch sicher nicht von Nachteil wäre, wenn zwei Schlaraffen aufeinanderträfen: "Auch in Österreich gilt: Beziehungen schaden nur dem, der sie nicht hat."
Es ist nicht Zweck der Schlaraffia, solche Verbindungen aufzubauen, die etwa Homer Simpson erfährt, wenn er der Steinmetzvereinigung beitritt. Aber es gelten wohl rein menschliche Gesetze: Freunde helfen und unterstützen einander, wenn sie einander brauchen. Feinde oder Gegenvereine der Schlaraffia gibt es keine, doch es kommt ganz selten, etwa alle zwei Jahre im gesamten "Uhuversum", zu Reychsfehden. Das Reych Vindobona hatte die letzte erst vor einem Jahr mit St. Gallen - wegen einer Kleinigkeit, die schmunzelnd zum Elefanten hochstilisiert wurde. Auf neutralem Boden fand dann eine zeremonielle Schlacht statt, zwei Theater traten gegeneinander an, und das schlaraffische Publikum stimmte feierlich über Sieg und Niederlage ab. Die Vindobona verlor. Heute sind die beiden Reyche gute Freunde.
Teil 2
Die zweite Hälfte trägt heute den Titel "Wald und Wiesen". Jeder Schlaraffe kann sich für sogenannte "Fechsungen" - Vorträge, Gedichte, Musikinterpretationen, Zaubereien oder ähnliches - anmelden und damit die Bühne entern. Ritter CondeQuent: "Man kann über alles reden, nur nicht über fünf Minuten." Hinter dem Rednerpult hängt eine riesige Schere, die bei Zeitüberzug zum Einsatz kommt. Ein Vortrag hat anzufangen mit dem Ausruf: "Schlaraffen, hört!" Nach Alltagsanekdoten, heiteren Gedichten und Ausflugsschilderungen verschiedener Schlaraffen interpretiert Ritter Glissando aufgrund des runden Geburtstages des 1811 geborenen Franz Liszt den ersten Satz der "Ungarischen Rhapsodie" auf dem Klavier. Er ist ein Schlaraffe aus Steyr, extra für die Sippung nach Wien gekommen und wird heute nacht wieder zurück nach Oberösterreich fahren. Das Programm ist bunt gemischt. Es treten Schlaraffen auf, die sonst in der Staatsoper singen, aber auch Hobbymusiker. Profis müssen Amateure aushalten - und umgekehrt.
Bei erfolgreichem Abgang hört man den Oberschlaraffen Ritter Staphylo: "Das Reych jubelt euch zu mit einem dreifachen Lulu." Wer einen guten Vortrag oder eine andere Performanz leistet, wird von ihm mit einer Plakette belohnt, die an den Helm gesteckt wird. Einige Kopfbedeckungen sind noch leer, andere quellen schon über vor lauter Funkeln. CondeQuent lächelt: "Das war ursprünglich als Persiflage gedacht, aber weil wir Menschen sind, nehmen es manche von uns ernst." Doch dieses "Gieren nach wertlosen Plaketten" beschreibt CondeQuent auch als typisch schlaraffisch: dort Sinn suchen, wo ihn kein Außenstehender vermuten würde.
Im zweiten Teil werden auch Duelle ausgetragen. Jemand echauffiert sich über eine scheinbar bedeutungslose Bemerkung, der Fehdenhandschuh wird geworfen und die Dynamik auf die Spitze getrieben. Nach einem symbolischen Holzschwertschlag treten die Kontrahenten mit Wortwitz und Schlagfertigkeit gegeneinander an. CondeQuent: "Am wichtigsten beim Duell ist die Versöhnung." Für besondere spontane Wortmeldungen bekommt man eine Blitzplakette. Wer sich hingegen einen gröberen Fauxpas erlaubt, wird in die "Eiserne Jungfrau" gesperrt, die in einer Ecke der Burg - ohne Stacheln, dafür mit einem Sessel im Inneren - steht. Oberschlaraffe der Kunst Ritter Denk Mal muß sich heute in das entschärfte Folterinstrument begeben. Ein delikater Vierzeiler ist die einzige Möglichkeit, sich daraus wieder zu befreien. Als ihn die Muße küßt und er die Verse vorträgt, begnadigt ihn Ritter Staphylo von der Kanzel aus: "Erlöst die Jungfrau von Eurer Anwesenheit."
Auf einigen Tischen liegt die "Stammesrolle", ein Wälzer, so dick wie ein Telefonbuch, der jedes Jahr neu erscheint. Darin sind alle Reyche und alle Schlaraffen genau verzeichnet: Rittername, bürgerlicher Name und Beruf. Darunter finden sich Amtstitel, die die Schlaraffen aufgrund besonderer Leistungen erhalten. Ritter Staphylo: "Wie überall gibt es auch hier Macher, die viele Vorträge halten, und eher passive, die ab und zu kommen und den Abend wie ein Kabarett oder ein Theater als Zuschauer wahrnehmen." Bei manchen umfassen die Anreden nur wenige Zeilen, bei anderen hört die Liste gar nicht mehr auf. Ritter CondeQuent zählt zu Letzteren. Neben etwa 1000 anderen Amtstiteln ist bei ihm auch "Amok-Säufer" zu lesen. Ich ziehe die Augenbrauen hoch und sehe ihn an. Er lacht: "Nein, ich bin kein Säufer! Ich habe an einem Abend drei Dreiviertel-Liter-Mineralwasserflaschen getrunken, daher kommt der Name!" lächelt er und trinkt schon wieder aus seinem Glas Soda.
Es ist kurz nach halbzwölf. Nach zahlreichen Fechsungen und Lachsalven neigt sich der Abend dem Ende zu. Alle Schlaraffen stehen auf, bilden einen riesigen Kreis in der Burg, geben einander die Hände und singen feierlich das Abschiedslied. "Laßt bis zum letzten Atemzug Schlaraffen uns bleiben."
Die Sippung ist geschlossen.
Abspann
Nacheinander kommen verschiedene Schlaraffen und erkundigen sich, wie mir die Sippung gefallen hat. Ich bedanke mich für die Gastfreundschaft und drücke mein Interesse aus. Auch später hatte ich noch Gelegenheit, mehrere Sippungen zu besuchen - was mich wahrscheinlich grüblerischer als klarer werden ließ. Ich hörte verschiedene Versuche, die Schlaraffia zu definieren. Ein Ritter nannte sie ein "Schlaraffenland des Geistes", ein anderer ein "Baumeln der Seele". Ritter Sketch, der Copy-Reiter, näherte sich mit folgenden Zeilen dem Versuch an, die schlaraffische Idee zu deuten:
"Sollte mich je ein Unwissender fragen:
Was macht ihr Schlaraffen? - Ich würde ihm sagen:
Wir sind Freunde, musisch meist,
lachen gerne über Spaß mit Geist,
wir sitzen beisammen, es wird nicht geprahlt,
wer mehr verdient, wer mehr bezahlt,
es gilt nicht das Alter, nicht die Position,
dafür mehr der Stil, der gute Ton.
Alles Dinge, die in der heutigen Zeit
registriert werden unter 'Vergangenheit'.
Wenn andere meinen, sowas kann man nur träumen,
sei ihnen gesagt, daß sie vieles versäumen,
wenn sie nicht, wie wir seit Jahren,
der Welt zum Trotz dies alles bewahren."
Und tatsächlich: Die Schlaraffia scheint wie ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten, "antiquiert" auf eine charmante Art und Weise. Neben Problemen, die die Welt und den Alltag bestimmen, bleiben auch sämtliche Merkmale des 21. Jahrhunderts außerhalb der Burg. Diese heile Welt kann zutiefst menschliche, nostalgische Sehnsüchte erfüllen. Man befindet sich in einem unwirklich-romantischen Zwischenraum, in dem es keinerlei unangenehme Verwirrung gibt. Andere Menschen finden solche Momente zum Beispiel in Bud Spencer, Peter Alexander, Perry Como oder einem guten Rausch.
Spannend ist außerdem diese Revolution nach innen und nicht nach außen. Die Schlaraffen finden den Ausgleich zum bürgerlichen, streng strukturierten Leben in geschlossener, aber ebenfalls wieder streng strukturierter Gesellschaft. Nun stellt sich die Frage, die dem an sich unpolitischen Verein politisches Potential geben würde: Wer in der Burg den Narren auslebt - ist der draußen umso strenger und konformer? CondeQuent schüttelt den Kopf und sagt, daß auch außerhalb der Burg ein gewisser Grundhumor dazugehöre, um überhaupt Schlaraffe werden zu wollen. Hier zeigt sich trotzdem ein großer Unterschied zu historischen Avantgardebewegungen wie dem Dadaismus, die diese Harmlosigkeit und Abgeschlossenheit durchbrechen wollten, um Kunst wieder gefährlich und gesellschafstrelevant zu machen. Die Schlaraffen hingegen pflegen ihre hermetisch abgeschlossenen Reyche und foppen einander so, wie es die Grundstatuten vorsehen. Wie die Gründer der Schlaraffia über ihre Nachfolger denken würden, die deren Regeln noch 150 Jahre später penibel einhalten, bleibt eine unbeantwortete Frage. Doch nur diese Konsequenz macht es möglich, daß sich ein so einzigartiges Netzwerk um die ganze Welt spannt. Als Schlaraffe ist man überall zu Hause, nie alleine und hat immer Grund zu lachen. Zumindest einmal in der Woche.
Rokko’s Adventures
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