Stories_Rokko´s Adventures im EVOLVER #54

Eat, Fight & Fuck

Komodowarane sind schauerlich. Sie kräulen dahin wie schwere Triebtäter, aus dem Maul rinnt giftiger Speichel, sie fressen frisches Fleisch, Aas und ihre eigenen Kinder. 3000 bis 4000 dieser drachenähnlichen Ungetüme leben heute noch auf der zu Indonesien gehörenden Insel Komodo und deren nächsten Nachbarn.
Rokko unterhielt sich mit dem Experten Anton Weissenbacher über diese wilden Kreaturen. Hereinspaziert, hereinspaziert!    05.08.2013

Rokko´s Adventures ist - so steht es im Impressum - eine "unabhängige, überparteiliche sowie übermenschliche Publikation" und "setzt sich mit Leben, Kunst, Musik und Literatur auseinander". Der EVOLVER präsentiert (mit freundlicher Genehmigung) in regelmäßigen Abständen ausgewählte Beiträge.

 

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Komodowarane sind vielseitig: sie können klettern, laufen und schwimmen. Ihre messerscharfen Zähne verwenden sie als Waffe, aber nicht unbedingt zum Kauen - sie schlucken ganze Viecher und lassen ihre hochprozentige Magensäure den Rest machen. Um rauszufinden, ob es mit diesem Getier einfach nur im Argen liegt oder ob es auch einen Nutzen hat, traf ich im Café vom Tiergarten Schönbrunn den höchst sympathischen und auskunftsfreudigen Experten Anton Weissenbacher:

 

Rokko: Eingangs möchte ich fragen, wie Sie dazu gekommen sind, sich mit Komodowaranen auseinanderzusetzen.

Anton Weissenbacher: Das ist aufgrund meines Jobs - ich bin der Leiter vom Aquarien- und Terrarienhaus im Tiergarten Schönbrunn, und da hat man auch Treffen mit Kollegen aus anderen Ländern, so mit jenen aus Tschechien. In Prag ist die erfolgreichste Komodowaranzucht Europas, die züchten sehr regelmäßig viele Tiere, und dorthin bestehen gute Kontakte.

 

R: Sie haben also schon Komodwarane in echt gesehen?

AW: Ja, schon oft, allerdings nie in der Natur, sondern immer in Terrarien. Der Komodowaran ist ein sehr spannendes Tier, das aus vielen Gründen nicht leicht zu halten ist: Man braucht viel Platz, das Viech wird groß. So ein Komodo ist ausgewachsen zwei Meter, große Männchen können mit Schwanz auch drei Meter werden. Die Tiere haben zwischen 40 und 60 Kilo, maximal 70, 80 - aber das sind dann schon Giganten. Das Viech ist schwer, das ist groß, das muß sich bewegen können. Ich sag´ einmal, unter 200 Quadratmeter Fläche für ein Tier ... das geht nicht! Du kannst ihn gar nicht enger halten. Der muß fressen, der muß Kot absetzen. Man kann die Tiere nicht permanent zusammenhalten - das sind keine geselligen, keine sozialen Tiere. Die treffen sich in der Paarungszeit, und dann gehen sie wieder auseinander. Sie brauchen es sehr heiß und sind Lufttemperaturen von bis zu 40 Grad Celsius gewohnt. Das klingt nicht so schlimm, ist aber sehr aufwendig und teuer.

 

R: Ich habe zwei Dinge gelesen: erstens, daß der Speichel vom Komodowaran giftig ist, weil er Aasfresser ist und zwischen den Zähnen verwesendes Fleisch hängenbleibt; und zweitens, daß er im Unterkiefer Giftdrüsen hat. Ist beides wahr?

AW: Ja, beides stimmt. Ich glaube, daß die Giftdrüsen wirklich relevant sind. Tiere achten grundsätzlich sehr gut darauf, daß ihr Gebiß funktioniert, daß ihre Krallen funktionieren – wenn auch unbewußt. Aber durch das Kauen und das Lecken der Zunge findet eine Reinigung statt. Der Komodo hat relativ kurze Zähne, da kann man sich kaum vorstellen, daß da Tonnen an verwestem Fleisch dazwischenhängen. Da sind sicher Spuren und ganz arge Bakterien drinnen, man weiß, daß der Biß ganz schlimme Infektionen verursachen kann, daß auch Menschen in hochzivilisierten Ländern nach Bissen nicht mehr gerettet werden konnten. Da gibt es eine interessante Geschichte in dem Buch "Die letzten ihrer Art" von Douglas Adams, wo ein Franzose nach einem Biß ausgeflogen wird nach Paris. Im Krankenhaus dort wird um sein Leben gekämpft - aber sie schaffen es einfach nicht, es läuft ihnen davon, und der Mann stirbt.

Sie haben sehr arge Bakterien im Maul, aber sie haben - das ist bewiesen - auch Giftdrüsen. Wie das jetzt zusammenspielt, ist noch nicht aufgelöst. Dieses Gift vom Mundspeichel zu trennen, dürfte schwierig sein. Es sind zwei Komponenten, die beide funktionieren, und es könnte zum Beispiel auch so sein, daß das Gift aus den Drüsen desinfizierend wirkt, also vielleicht sogar die Bakterien hemmt - das ist eine der Thesen.

Es gibt diese Geschichten, daß der Komodo große Tiere beißt und ihnen nachgeht, bis sie zusammenbrechen. Wenn ich so etwas mache, dann würde ich eher der Giftdrüse vertrauen als zu hoffen, daß ich zufällig genug Bakterien im Maul habe - das ändert sich ja ständig. Das sollte konstant und relativ schnell funktionieren; ich will dem ja nicht drei Wochen nachgehen, zusätzlich mit der Gefahr, daß sich andere Komodos anhängen. Das soll ja keine Frustration ausüben bei dem, der´s tut, sondern zum Erfolg führen. Also wahrscheinlich ist da diese Giftkomponente entscheidender als bisher gedacht - aber das ist noch nicht aufgelöst, nicht untersucht.

 

R: Das heißt, man weiß auch nicht genau, was in diesem Gift drin ist?

AW: Nicht genau, nein. Also es ist ein potentes Gift, vergleichbar mit dem Heloderma-Gift. Aber die Menge ist nicht klar, und die Drüsen sind auch noch nirgends schön dargestellt. Es gibt eine einzige Arbeit darüber, was mich ehrlich gesagt sehr wundert, aber das hat auch den Grund, daß man Komodowarane nicht einfach killen und aufschneiden kann. Und man müßte den Tieren eigentlich den Kopf abschneiden und die Drüsen rausholen, um zu Ergebnissen zu kommen, sonst kann man das Gift nicht definiert rausholen. Warum macht das keiner? Weil es wirklich schwierig ist, Komodos wissenschaftlich zu zerlegen. Das tut man nicht, die sind streng geschützt. In einem Zoo ist es wahrscheinlich relativ leicht zu machen, wenn die alt werden, daß man die Drüsen fixiert, bevor sie sterben. Aber wenn der drei, vier Stunden tot ist, sieht man das schon nicht mehr - der muß ganz frisch sein, um eine klare, wissenschaftlich haltbare Aussage zu treffen. Genau das ist das Problem, so eigenartig das klingt, aber man kommt schlecht zu frischem Komodo-Material.

 

R: Es konnte also noch kein Antiserum entwickelt werden?

AW: Ganz sicher nicht, nein.

 

R: Komodowarane essen sowohl frisches Fleisch als auch Aas.

AW: Ja, das können sie ganz super verdauen. Also wirklich verwestes Fleisch können sie super nützen, fressen gleich die Knochen mit. Die haben eine potente Magensäure, in der sich das schön auflöst.

 

R: Kann man sagen, was die bevorzugen: frisches Fleisch oder Aas?

AW: Das, was einfacher zu kriegen ist. Ein ausgewachsener Komodowaran ist relativ groß - für den ist es schwierig, an leichte Beute zu kommen. Wenn einmal irgendwas liegt, dann sind gleich viele da, die das gerochen haben und die was davon abhaben wollen. Darum ist es nötig, daß sie regelmäßig Beute machen und Tiere jagen.

 

R: Was würde passieren, wenn ein Mensch so ein verwestes Fleisch essen würde?

AW: Das sind hochtoxische Bestandteile, und unser Magen und unser Organismus sind nicht darauf ausgelegt. Also wir würden schwer vergiftet - Lebensmittelvergiftung zum Quadrat kann man sagen. [lacht]

 

R: Der Mensch hat ja so eine Art natürliche Abwehrreaktion gegen verwestes Fleisch.

AW: Ja genau, man würd´s nicht leicht runterbringen. Ich glaube nicht, daß das wer essen mag - das ist verdorben. Schon bei einem Kebab, der nicht mehr ganz super ist, kann man ziemlich schlecht aussteigen. Wenn das wirklich, definitiv verfault ist, reichen ganz kleine Mengen aus. Diese Bakterien erzeugen Toxine, die sind extrem arg, wirklich gefährlich.

 

R: Der Komodowaran ißt angeblich auch Giftschlangen - stimmt das?

AW: Ja, Komodo ist eine Insel mit extrem hoher Giftschlangendichte, was sich der Komodowaran zunutze macht. Er ist gegen Bisse nicht immun, aber wenn er sie schluckt, dann werden die Giftdrüsen der Schlange im Magen aufgelöst, genau wie verwestes Fleisch, das wird durch die extremen Magensäfte des Tieres… weggebrutzelt. Er muß nur aufpassen, daß ihn die Schlange nicht beißt.

 

R: Ich hab´ ein Video gesehen, wo ein Komodowaran ein ganzes Schwein in einem Stück schluckt. Das heißt, das Kind da drüben [zeigt auf ca. dreijähriges spielendes Kind am Nachbartisch] würde der auch packen?

AW: Ja ja, ganz leicht sogar!

 

R: Gibt es Fleisch, das ein Komodo nicht essen würde?

AW: [Pause] Ich überleg´ grad ... ich kann´s mir nicht vorstellen. Je stärker es riecht, desto interessanter. Er ist kein Nahrungsspezialist, sondern ein großes Tier, das alles nutzt, was es kriegen kann. Das Besondere am Komodowaran ist ja, daß er so große Tiere angreift, Hirsche, Wildschweine, also auch wehrhafte Tiere erledigen kann und diese mit einer unglaublichen Vehemenz attackiert; daß er einen riesigen Schädel hat, sehr kräftig ist. Es gibt die Theorie, daß er früher sogar Zwergelefanten gejagt hat, die es auf den Inseln gab, aber mittlerweile ausgestorben sind - wahrscheinlich durch den Menschen, aber das weiß man nicht genau, das ist schon zu lange her. Die haben damals wahrscheinlich auch zur natürlichen Beute gezählt.

 

R: Komodowarane sind Wegelagerer, die tagelang lauern und ihre Beute anspringen, sobald sie sich auf ein, zwei Meter nähert. Hat der Komodo überhaupt so etwas wie ein Angstgefühl oder hüpft der alles und jeden an?

AW: Nein, nein, Räuber - und damit auch der Komodowaran - sind extrem vorsichtig! Das Schlimmste für einen Räuber ist, sich zu verletzen. Ein Hirsch, der sich am Bein verletzt hat, kann noch immer fressen, aber bei einem Räuber ist das gefährlich, der kann dann nicht mehr jagen. Deswegen sind sie sehr kontrolliert, bevor sie potentielle Beute attackieren. Man weiß auch, daß ganz viele Versuche abgebrochen werden. Wenn der Hunger aber schon sehr groß ist, geht er auch ein größeres Risiko ein. Aber grundsätzlich muß er sich ganz sicher sein, daß seine Attacke funktioniert.

 

R: Wann würde ein Komodowaran nein sagen? Er attackiert ja auch größere Viecher.

AW: Zum Beispiel, wenn er überrascht wird durch die Gegenwehr eines Tieres. Auch diese vermeintlichen Beutetiere sind ja extrem wehrhaft, ein Wildschwein kann einen Menschen töten, ein Hirsch mit seinem Geweih kann den Komodwaran zurückdrängen oder ernsthaft verletzen. Da gehört schon eine ordentliche Taktik dazu, wie man den Biß setzt, wie Jaguare, wenn sie auf einen Tapir springen. Die Räuber müssen genau wissen, was sie zu welcher Zeit machen. Die, die nicht gut sind, sind schnell aussortiert - die bei der Giftschlange nicht aufpassen. Aber man sieht ja meistens nur die Guten! [lacht]

 

R: Komodowarane haben ja auch eine kannibalische Ader ...

AW: ... ja, aber ich will jetzt gar nicht sagen, daß sie speziell nach arteigenen Tieren suchen, sondern das paßt einfach ins Beuteschema. Die Größe ist super, es ist zum Erwischen, also wird´s gefressen. Aber es ist keine besondere Delikatesse oder Konzentration auf die eigene Art, sondern es ist einfach möglich. In den ersten beiden Jahren sind die Komodos noch recht kleine und strikt baumbewohnende Echsen, die nie auf den Boden gehen.

 

R: Wahrscheinlich auch aus einer Schutzmaßnahme heraus.

AW: Genau, um vor den Größeren unten sicher zu sein. Da oben haben sie die Gefahr von Greifvögeln und baumlebenden Schlangen, aber sie bekommen ihre Kleintiere und Insekten zur Nahrungsaufnahme. Sobald sie größer sind und größere Beute brauchen, müssen sie hinunter. Da sind sie zwischen drei und sechs, sieben Jahren - und das ist die Zeit, wo sie für große Komodos eine relativ leichte Beute sind, obwohl sie viel schneller sind. Aber die Großen nähern sich sehr geschickt an und erwischen unerfahrene Junge relativ leicht.

 

R: Ein ausgewachsener Komodowaran würde nie einen anderen ausgewachsenen zwecks Nahrungsbeschaffung angreifen?

AW: Nein, zur Nahrungsaufnahme überhaupt nicht. Es gibt Territorialgeschichten, Kämpfe um Weibchen und solche Sachen - aber das sind keine Kämpfe, wo einer stirbt, sondern da geht es um Kräftemessen ...

 

R: ... Hierarchien aufbauen ...

AW: ... Reviere abstecken, Beute aufteilen. Das sind oft nur Drohgebärden. Früher, bis vor 15 Jahren, gab es so eine Tourismusgeschichte, da hat man irgendwo am Festland eine Ziege gekauft, die rübergebracht und auf der Insel an einem bestimmten Platz angebunden, wo sie jämmerlich geschrien hat – und dann sind schon 40 Komodowarane angerückt und haben sie in Fetzen gerissen. Davon gibt es Photos und Videos. Das war regelmäßiges Futter, die Touristen sind immer häufiger gekommen, und da hat es ganz arge Kämpfe gegeben um die beliebtesten Plätze. Die Komodowarane haben sich Hierarchien ausgemacht, wer wo wie viel zu fressen bekommt und wer gar nichts. Da geht es um Größe und Stärke.

 

R: Solche Aktionen mit den Ziegen sind arrangiert worden, aber hat es auch das gegeben, daß ein Komodo vom Menschen gegen ein anderes Tier in den Kampf geschickt wurde, so wie Kobra vs. Mungo?

AW: Nein, ich glaub´ ganz einfach, daß der Komodowaran zu wenig Haustier und handlelbar war für die Leute. Als Kleiner war er nicht spannend, und wenn er groß war, war er einfach zu gefährlich. In der Kultur, in der er vorgekommen ist, war die Haltung von solchen Tieren nicht so verbreitet. Es gibt schon spezielle Gegenden, in denen man alles aufeinandergehetzt hat, in denen Tierkämpfe cool waren, aber das war eigentlich nie mit den Komodowaranen. In Wien hat es früher das Hetztheater gegeben. Der berühmteste Kampf war ein Grizzlybär gegen einen Sibirischen Tiger.

 

R: Wann war das?

AW: Ich weiß das jetzt nicht auswendig, aber es gibt ein Buch vom Windisch-Graetz, da steht das drinnen.

 

R: Wahrscheinlich so vor dem Ersten Weltkrieg im Prater.

AW: Auch schon viel früher, ich glaub´, so um 1830, ´40 herum, da haben sie die Viecher schon fangen und transportieren können - ein bißchen Rom nachspielen.

 

R: Diese Sachen haben sich dann im 20. Jahrhundert alle aufgehört - harte Zirkusnummern, Freakshows usw.

AW: ... ja, ja genau, die Leute mit drei Augen und fünf Ohren und so was ...

 

R: Hat es in Österreich schon einmal Komodowarane gegeben?

AW: Offiziell in Zoos nicht. Es gibt das Gerücht, daß es einmal im Haus des Meeres einen gegeben hat, aber der ist nie richtig bestimmt oder verifiziert worden. Der ist gestorben, das ist schon ewig her, ca. 30 Jahre, und ans Naturhistorische Museum weitergegeben worden - und dann irgendwie bis heute verschollen. Bis in die 1970er war es so, daß man illegal viel hat kaufen können, aber offiziell war ein Komodowaran damals im Grunde nicht zu kriegen, nur als Staatsgeschenk. So ähnlich wie jetzt mit den Pandabären in China. Ende der 1970er hat Indonesien ganz offiziell ein Pärchen Komodos an Berlin verschenkt, das war alles von der Politik aus.

 

R: Der illegale Handel ist früher gut gegangen?

AW: Ja, viel besser als heute. Heute wird viel strenger kontrolliert, die Länder arbeiten viel besser zusammen. Den Schwarzmarkt gibt es schon noch immer, aber die große Geschichte sind jetzt die Schildkröten, da ist viel Geld drinnen. Komodos illegal im Moment - das kann ich mir nicht vorstellen.

 

R: Gar nicht, nirgends in Europa?

AW: Wenn, dann in Tschechien. Dort gibt es ziemliche Freaks. Aber dazu müßte man heute schon sehr viel Geld investieren in alle Richtungen. Früher war das einfacher.

 

R: Wer hat sich früher illegal einen Komodowaran besorgt?

AW: Freaks. Freaks zahlen dafür alles, machen dafür alles. Es gibt Leute, die geben ein Vermögen aus, mehr als für ihre Familie, um eine Unterkunft für die Tiere zu schaffen, weil sie einfach fanatisch sind. Das kann aus Interesse passieren, es gibt extrem gute Leute, für die ist es einfach der Traum, so ein Tier zu haben.

 

R: Letztes Jahr gab es doch den Fall in Niederösterreich, wo ein Kleinkind von einem Waran gebissen worden ist. Das war kein Komodo, oder?

AW: Das war ein anderer Waran. Das Kind ist dann an einer Salmonelleninfektion verstorben.

 

R: Warum ist die Haltung von Komodowaranen verboten, andere darf man aber haben? Wegen des strengen Artenschutzes?

AW: Das, und weil es auch gefährliche Tiere sind. In Wien darf man zum Beispiel auch keine Riesenschlangen über zwei Meter halten.

 

R: Da hat man doch schon öfter welche gefunden, einmal an der Wienzeile ...

AW: Ja, es gibt jetzt genauso viele Riesenschlangen über zwei Meter wie damals, als es das Gesetz noch nicht gegeben hat - nur sagen sie´s halt nicht mehr. Das ist das Problem mit so einem Gesetz: Ich kann mir in Wien trotz strenger Auflagen jede Riesenschlange und jede Giftschlange kaufen; ich kann ja als Gesetzgeber den Handel nicht unterbinden. Es gibt einen freien Handel, aber halten darf ich sie nicht. [lacht]

 

R: Das klingt so ähnlich wie mit den Drogen.

AW: Ja, ja, das ist dasselbe Spiel. Da gibt´s auch die Geschäfte mit Lampen und Hilfsmitteln ... Schlangen werden sicher sehr viele illegal gehalten, aber Komodos glaub´ ich nicht, weil das einfach von den Ansprüchen her was anderes ist. Das ist extrem aufwendig, auch ein Zoo muß sich überlegen, ob er sich sowas antut. Wir überlegen uns das natürlich auch, und wir werden ihn früher oder später sicher haben, aber jetzt ist noch nicht die Zeit. Der Komodowaran war bis vor kurzem weg aus Europa, früher ist er hier nur gehalten worden, aber nie gezüchtet. In Amerika hat es immer schon einige gute Zoos gegeben, die sie gezüchtet haben, und jetzt läuft es in Europa auch gut. Das ist jetzt auch viel besser organisiert mit dem "Internationalen Zuchtbuch", mit Hilfe dessen Komodowarane aus Europa mit denen aus Amerika gepaart werden, um einen genetischen Austausch zu gewährleisten. In den letzten Jahren ist viel Interessantes passiert. Was besonders spannend war, war die parthenogenetische Vermehrung ...

 

R: ... da gibt es zwei bestätigte Fälle ...

AW: ... genau, einmal in London, einmal in Rotterdam. Bei den zweien ist es so, daß sie Weibchen sind, die sicher nie Kontakt zu Männchen hatten, das ist ganz klar belegt. Die Tierpfleger sind total überrascht worden: der in London von Eiern, der in Rotterdam hat gleich die Jungen gesehen in der Früh, die sind schon herumgeflitzt im Terrarium.

 

R: Was hat die Parthenogenese eigentlich für einen Sinn, vom genetischen Standpunkt aus?

AW: Na ja, es ist so, daß wir ja immer dieses Denken haben, man müßte eine unglaublich breite genetische Basis haben, um langfristig überleben zu können. Das ist grundsätzlich auch total richtig, aber gerade, wenn man sich Inselpopulationen anschaut oder die Art und Weise, wie Tiere Inseln besiedelt haben - diese Starterpopulation auf ganz klein, daß nur ein Tier dort gelandet ist und Eier gelegt hat. Dann stellt sich heraus, daß die Parthenogenese für die eine sehr vorteilhafte Strategie ist. Man braucht sich keinen gefährlichen Männchen aussetzen, man kann, wenn Platz ist, sehr schnell Eier produzieren, man braucht dieses ganze Prozedere mit Balz und Kämpfen nicht.

 

R: Aber beim Menschen zum Beispiel hat sich das nie durchgesetzt?

AW: Nein, leider nicht, beziehungsweise zum Glück [lacht]. Man kann uns zwar auch auf eine Samenzelle reduzieren, aber bei Säugern gibt´s das nicht.

 

R: Viel bei Pflanzen, oder?

AW: Ja, es gibt viele Pflanzen, aber auch Geckos, Fische ...

 

R: Bei den Komodos gibt es dreimal so viele Männchen wie Weibchen. Warum das?

AW: Das hat damit zu tun, daß die Männchen ein riskanteres Leben führen, oft miteinander kämpfen, sich verletzen, etc. - und das muß trotzdem im Gleichgewicht gehalten werden. Außerdem wegen der Selektion, damit mehr Männchen da sind. Die Männchen können beim Balzen nicht sagen: ich bin´s heuer, deswegen auch nächstes Jahr, und im Jahr darauf bin ich sowieso der Beste. Nein, jedes Jahr mußt du dich wieder anstrengen, dich bewerben, dann kommen schon Jüngere, Stärkere, und du fliegst raus aus dem Spiel. Dich gibt´s zwar noch, aber du spielst nicht mehr mit.

 

R: Stimmt es, daß die Viecher so einen üblen Geruch haben?

AW: Sie sollen schlecht riechen. Mir ist das in den Zoos nie aufgefallen, also da ist das nicht, es ist also sicher nicht der Mundgeruch. Es gibt schon einen leichten Geruch, aber nichts Abstoßendes. Das wär ja auch nicht gut für einen Jäger, der einen Hirsch kriegen will, der eine extrem gute Nase hat. Diese Geruchsgeschichte ... natürlich ist der Kot stark riechend und man bringt das in Verbindung, aber er ist kein unglaublich stinkendes Tierchen.

 

R: Über die natürlichen Feinde vom kleinen Komodowaran am Baum haben wir schon geredet - haben die ausgewachsenen auch welche?

AW: Nein, gar keine. Höchstens den Menschen, aber keine Tiere.

 

R: Das Verhältnis der Inselbewohner zum Komodowaran ist ja nicht das Beste. Der reißt ihre Tiere und frißt auch sonst alles, was er kriegen kann. Aber können die Inselbewohner ihn nutzen?

AW: Nicht direkt, aber indirekt, für den Tourismus.

 

R: Das Fleisch soll zwar eßbar sein, aber nicht schmackhaft ...

AW: Das stimmt, der wird nicht gegessen. Teilweise die Eier, aber auch nicht wirklich.

 

R: Kann man aus der Haut was machen?

AW: Ja, also Waranleder ist ein unglaublicher begehrter Artikel, da könnte man schon etwas machen! Aber durch den Schutzstatus ist das alles verboten, man darf keine Taschen aus ihm machen. In anderen Ländern werden jährlich Hunderttausende Warane für die Lederproduktion abgeschlachtet – die haben leider noch nicht so einen hohen Schutzstatus wie die Komodos.

 

R: Hat der Komodowaran insgesamt einen Nutzen oder wär es wurscht, wenn es ihn nicht gäbe?

AW: Im Ökosystem der Insel ist er ein großer Räuber, so wie der Weiße Hai im Meer oder der Löwe in der Savanne oder der Wolf bei uns, den´s eh nicht mehr gibt. Es passiert schon was, wenn so etwas weg ist, aber die Frage ist, was genau? Das ist schwierig. Es ließen sich zwei, drei Parallelszenarien entwerfen: Krankheiten würden die Bestände regulieren, die Inseln von der Fauna und Flora her gleich bleiben; andere würden sagen, die Vegetation wird sich durch Überweidung so drastisch ändern, daß ein komplett anderes Klima entsteht. Es würden sich die Hirsche und Schweine übermäßig vermehren, dann würden diese Bestände zusammenbrechen und sich so regulieren. Ganze Wälder könnten verschwinden, so wie es in Neuseeland passiert ist, wo sie Hirsche eingesetzt haben, die dort keine natürlichen Feinde haben.

Also wenn der Komodo als großer Räuber fehlt, ist es sicher ein Problem. Krankheiten würden begünstigt werden, niemand würde mehr die Kadaver fressen - oder würde diesen Job jemand anderer übernehmen? Was passiert mit den Schlangen und Greifvögeln, wenn die jungen Komodos am Baum fehlen, von denen die sich ernähren? Der ganze Lebensraum würde sich umbauen, manche Arten würden profitieren, andere weniger.

 

R: Wie leben die Inselbewohner mit den Komodowaranen zusammen? Müssen die recht vorsichtig sein, sich permanent schützen, oder ist das eine friedliche Koexistenz?

AW: Das ist im großen und ganzen eine friedliche Koexistenz. Die Kinder wissen natürlich schon von klein auf, wie sie mit dem Komodo umgehen müssen. Jeder Komodo hat wahrscheinlich schon mal einen Stecken über den Schädel gekriegt, und alleine das Zeigen mit dem Stock bewirkt für gewöhnlich, daß die Tiere auf Distanz gehen. Es kommt sehr selten vor, daß ein Mensch angegriffen wird.

 

R: Wie wohnen die Leute auf den Inseln? Haben die Strom und Internet? Sind das gemauerte Häuser oder einfache Holzhütten?

AW: Es gibt sehr viele, die noch traditionell leben auf Pfahlbauten, hauptsächlich wegen der Meeresbrandung. Aber natürlich gibt es auch Schulen, Internet - das geht ja in Asien viel schneller als bei uns. Eine Sat-Schüssel hängt auf jedem Pfahlbau. Fernsehen ist ganz verbreitet, das gibt´s in jedem Urwald, aber die Leute glauben trotzdem an ihre Naturgötter. Es gibt keine große Zuwanderung, die Inseln sind von sämtlichen Zentren weit entfernt. Dadurch und durch den strengen Schutz ist die Chance, daß der Komodowaran eine gute Zukunft hat, sehr hoch. Die Leute wissen auch, daß sie von dem Viech profitieren. Es gibt nicht nur Komodos auf den Inseln, sondern auch unglaubliche Korallenriffs, das ist ein tolles Package, in dem der Komodo ein wichtiger Eckpfeiler ist.

 

R: Gehören alle Inseln, auf denen der Komodo lebt, zum Nationalpark?

AW: Hmmmm - fast! Das ist relativ flächendeckend. Es ist so, daß die Komodowarane die leistungsfähigsten Reptilien sind, weil sie ein Herz haben, das anders aufgebaut ist als bei den anderen Reptilien. Die werden normalerweise recht schnell müde, weil das Herz relativ klein ist im Verhältnis zum Körper. Bei den Komodowaranen ist das anders, ähnlich wie bei den Säugern, die sind sehr belastbar und können lang schwimmen. So kommen sie öfter in andere Gebiete, wo kein Nationalpark ist. Aber es ist nicht so, daß die dort sofort totgeprügelt oder erschossen werden. Wer so ein Tier umbringt, für den drohen extrem hohe Strafen. Genauso wie bei Drogen - wenn du da erwischt wirst, ist das wirklich, wirklich kein Spaß. Das wissen die Leute, und so viel bringt ein toter Komodo dann nicht. Das ist, glaub´ ich, eine Kosten-Nutzen-Frage. [lacht]

 

R: Wenn, dann lebendig. Aber das ist wahrscheinlich so, wie wenn man ein Bild von Picasso stiehlt und dann niemanden findet, der so etwas kauft.

AW: Also, man könnte ihn schon verkaufen, den Markt gibt es. Es gibt in Europa und den Vereinigten Staaten Nachzuchten, und da gäbe es vielleicht diese andere Möglichkeit, einen Komodo irgendwie aus einem Zoo zu stehlen ... nein, ich weiß es nicht. Einen Komodo zu importieren, mit Flugzeug heimzubringen, ist nicht leicht, weil die Flughäfen schon extrem gut kontrolliert sind. Indonesien ist ein Land, das als Schmuggelland nicht gut geeignet ist. Die Leute gehen dann eher nach Hongkong. Der Komodo ist allein durch die Größe schon schwierig, der gehört nicht zu den Klassikern. Ich glaub gar nicht, daß er selbst so teuer wäre, wenn, dann eher das Drumherum. Es gibt Schildkröten, die kosten so viel wie ein Auto; das tät´ der Komodo nicht kosten. Er ist zwar cool und so, aber der Markt ist zu klein.

 

R: Ein Nischenmarkt.

AW: Das ist ein Nischenmarkt. Mit Schildkröten geht relativ viel.

 

R: Die sind auch bequemer zum Halten ...

AW: ... und zum Schmuggeln.

Rokko’s Adventures

aus: Rokko´s Adventures #11

(erschienen im Juli 2012)


Text & Interview: Rokko 

Photos: Tomas Adamec / Zoo Praha Archiv

 

Prager Zoo

Adresse: U trojského zámku 3/120, 171 00 Praha, Tschechische Republik

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