Stories_Ein Monat als Praktikant beim Hörfunk/Teil 1

What I´ll say does not appear on air ...

Wollten Sie immer schon einmal ein Praktikum bei einem Radiosender machen oder "On Air"-Erfahrungen sammeln? Martin Zellhofer hat´s in Graz getan. Lesen Sie hier, was ihm dabei widerfahren ist.    06.02.2015

Sonntag, 1 Oktober: Anreise nach Graz mit dem Zug, bepackt mit zwei Rucksäcken, auf denen außen Schuhe baumeln, einem großen, vollen Plastiksack und meinem Fahrrad. Seit heute darf man im Speisewagen nicht mehr rauchen - und gerade heute würde es mich beruhigen.

Warum ein Praktikum bei einem lässigen Grazer Radio? Weil es mich interessiert. Journalistisches Basiswissen ist vorhanden, ich bin schon lange bei Freien Radios als Sendungsmacher und bei popkulturellen Magazinen als Redakteur tätig. Das hat eher Hobby-Charakter, doch mich reizt es, Vollzeit in einer Redaktion zu arbeiten. Weil ich aber eh schon einen regulären Job habe, sammle ich Urlaub und nehme mir einen Monat frei.

 

Ich wohne im Studentenheim der Akademikerhilfe. Es war gar nicht so einfach, einen Heimplatz (unschlagbar günstig im Vergleich zur Jugendherberge) für bloß einen Monat zu bekommen. Das Heim wurde 1963 erbaut - und die Einrichtung der Zimmer hat sich seitdem nicht verändert: Die Kästen sind abgefuckt, verschlissen und in einem häßlichen Braun gehalten. Die gelblichen Vorhänge sind vermutlich frisch gewaschen, aber trotzdem voller Flecken. Die Bettwäsche ist - nicht mit Absicht - gelb gesprenkelt. Im Sommer wird das Heim als Zwei-Stern-Hotel betrieben, was schwer vorstellbar ist.

Es ist Semesterbeginn. Ständig fahren Autos vor, Eltern und Freunde helfen beim Einziehen und tragen Tonnen an Gepäck in die winzigen, muffigen Zimmer. Viele sind neu hier, man merkt es, weil sie alleine rauchen, alleine essen, alleine umherirren, den Stadtplan immer bei sich haben und alle Einrichtungen im Heim neugierig inspizieren. Abends schauen wir im Fernsehraum unseres Stockwerks Wahlberichterstattung. Etliche, die optisch nicht so aussehen und nicht so gekleidet sind, bekennen hier, die ÖVP gewählt zu haben. Die Grünwählerin im Raum ist allein auf weiter Flur. Zwischendurch höre ich immer wieder "meinen" Sender, um mich auf mein Praktikum einzustimmen.

 

Montag, 2. Oktober: Die ganze Nacht herrscht unglaublicher Krach: Türen schlagen, im Gang finden laute Unterhaltungen statt, gleich ums Eck ist ein Krankenhaus mit Hubschrauberlandeplatz. Ab sechs Uhr herrscht dann wieder so ein Krawall auf den Gängen, daß Weiterschlafen unmöglich ist. Die Klos sind grindig, der aufgehängte Hinweis am Männerklo, beim Pinkeln doch wenigstens den Deckel hochzuklappen, wird gerne ignoriert. 

 

Ex-BAWAG-Chef Helmut Elsner

Um 14 Uhr geht´s los. Der Sender ist aus einem Piratensender hervorgegangen, erzählen sich meine drei Mitpraktikanten, und so eine Mentalität scheint hier auch heute noch vorzuherrschen: Die Leute, die uns hier etwas beibringen, sind ungefähr in meinem Alter, betont cool, kettenrauchend, hektisch. In einem Teil der Redaktion darf geraucht werden, die Aschenbecher quellen über, die Arbeitsplätze sind voller CDs, Magazine, Zeitungen, Arbeitsmaterialien. Wir bekommen eine Einführung in diverses technisches Equipment, losen Teams und werden mit dem Kommentar "Laßt´s euch Fragen einfallen" rausgeschickt, um eine Straßenumfrage zum Thema "Ex-BAWAG-Chef Helmut Elsner" zu machen. Draußen rauchen Mitpraktikantin K. und ich vor Nervosität erst einmal eine. Wildfremde auf der Straße anzusprechen ist jedoch nach den ersten Versuchen kein Problem mehr. Das Audioschnittprogramm ist anfangs schwer durchschaubar. Zu zweit basteln wir über eine Stunde, um 30 bis 40 Sekunden Sendematerial rauszubekommen. Um 18 Uhr werden wir nach Hause geschickt. Ich will mehr!

Am nächsten Tag müssen wir zwei weitere saublöde Umfragen machen: "Welches Haustier ist dir lieber: Hund oder Katze?" und "Welche Jeans findest du gerade hip?" Nach dem Schneiden sollen wir Musik-News (kurze Artikeln zu aktuellen Anlässen) schreiben. Meine gefallen nicht; ich setze mich daher mit einem Stapel ausgedruckter News ins Kaffeehaus, um deren Machart zu untersuchen.

Am dritten Tag darf ich endlich richtig ans Werk gehen. Mein erster ordentlicher redaktioneller Job ist die Interview-Vorbereitung, -Führung und sendefertige Aufbereitung mit einer steirischen Band, die gerade ein neues Album heraußen hat. Die Band, die auch schon ein paar Jahre am Buckel hat, lobt mich: "Noch nie hat sich jemand so intensiv mit uns beschäftigt." Das stimmt wohl - weil ich Stunden brauche, um die sechs besten Sager aus dem Mitschnitt zu filtern. Doch allmählich hab ich den Dreh heraus: Gar nicht erst das gesamte Interview durchhören, um das Beste daraus auszuwählen, sondern die ersten 30 vernünftigen Sekunden, die ein O-Ton dauern soll, nehmen und fertig. Im Radio Gehörtes ist flüchtig - und die Vollversion gibt es später sowieso im Netz zum Nachlesen.

Abends höre ich mit, wie eine Gruppe Studenten ihren Einstand ins neue Semester mit mehreren Flaschen billigem Weißwein feiert. Sie beklagen sich, ständig pleite zu sein, weil Essen und Lebenserhaltung so teuer sind. Gleich darauf aber loben sie sich gegenseitig, wie gut ihnen nicht die neuen 130-Euro-Stiefel, der 50-Euro-Pulli oder die 80-Euro-Jeans stehen und wie geil sie in ihren neuen Klamotten aussehen. "Tut ihr nicht", möchte ich schreien ...

 

Lesen Sie in der Fortsetzung, was passiert, wenn es mit Interview-Situationen wirklich ernst wird ...

Martin Zellhofer

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