Stories_Ein Monat als Praktikant beim Hörfunk/Teil 2

Radio Gaga

Ein Grazer Radiosender. Ein EVOLVER-Autor, der dort lernen will, wie man für "den Funk" arbeitet - und gleich den Rat kriegt, sich nicht als Wiener zu deklarieren. Die Kunst des Interviews. All das und mehr stellt Martin Zellhofer im zweiten Teil seines Medien-Erlebnisberichts vor.    12.02.2015

Tags darauf (Lesen Sie hier, was zuvor geschah) wird es wirklich ernst: Wir besuchen eine Pressekonferenz mit Politikeranwesenheit. Der Chefredakteur brieft mich, auf die Frage, ob ich Wiener sei, "Nein, Niederösterreicher" zu antworten. Ich hätte es so einfacher. Ich halte das für Blödsinn, aber bitte. Wichtiger ist schon der Tip meiner Kollegin A. gegen Nervosität bei Interviews: "Du bist von der Presse, die Interviewten brauchen dich, um sich verkaufen zu können. Nicht umgekehrt!"

Und das stimmt auch. In meinem Probemonat wird mir kein einziges Interview verweigert, keine einzige Frage nicht beantwortet. Bei der Konferenz geht es um Sport; danach schnappen wir uns den entsprechenden Landesrat zum Interview und bedienen uns reichlich am Buffet. Als wir wieder im Studio sind, schneide ich den Beitrag und bin äußerst stolz, als er dann im Nachrichtenblock gesendet wird. Überrascht bin ich erst später, als der Pressesprecher der Organisation X bei meiner Interviewanfrage nervös zum Ausdruck bringt, seine Stimme sei nicht radiotauglich und außerdem seien meine Fragen "zu komplex". Ob ich ihm die mailen könne, sie würden diese "im Team besprechen" und zurückrufen. Irgendwie beruhigt mich das: Wenn es der Pressesprecher nicht kann, muß ich mir als Praktikant auch keine grauen Haare wachsen lassen.

 

Please play this song on the radio

Das erste Wochenende ist da. Offiziell ist es verboten, Fremde im Zimmer schlafen zu lassen. Der Portier läßt allerdings durchklingen, daß das sicher nicht kontrolliert wird ... was er wohl vielen Bewohnern gesagt hat, denn heute morgen sind auffällig viele unbekannte Gesichter und auffällig viele Pärchen in den Gängen unterwegs. Auch ich habe Besuch, und ganz klassisch geht´s rauf zum Uhrturm. Dort werde ich auch an den kommenden Wochenenden sein, weil alle Besucher das Wahrzeichen sehen wollen. Abends soll ich im PPC einen Event-Bericht - so nennen wir das Sammeln von O-Tönen bei oder nach einem Konzert - anfertigen. Aber irgendwie sind die Interviewten alle betrunken und reden Unsinn, weswegen mein Besuch und ich einen O-Ton faken.

Schnell kippe ich in eine Art Alltag - aber einen berauschenden: Ich erarbeite und führe Interviews mit bekannteren (Clueso, Olli Schulz, Marcus Wiebusch von Kettcar, Thees Uhlmann von Tomte) und unbekannteren Bands sowie wichtigen und weniger wichtigen Politikern. Ich spreche mit Wirtschaftsleuten, Kulturmenschen und Magistratsbeamten, nehme an Presse-Events, Pressefahrten, Pressepräsentationen und Kinopremieren teil, transkribiere Interviews, sitze am Telefon, beantworte Hörerfragen und gebe Hörerwünsche weiter, schreibe News, rauche wie ein Schlot und bin stolz, wenn mein Material on air geht. Bei der Präsentation des Programms des Grazer Opernballs bin ich völlig underdressed (salopper als ich ist nur der Kollege von der Caritas-Zeitung "Megaphon" gekleidet). Ich versaue beinahe mein Interview mit Madsen und habe gerade noch das Glück, nach der zweiten Fragerunde zu bemerken, daß mein Aufnahmegerät nicht läuft. Ich lerne, mir die meistens mit Buffet ausgestatteten Pressekonferenzen so zu legen, daß dabei Frühstück, Mittag- oder Abendessen für mich herausspringen. Bloß eines dürfen wir Praktikanten nicht: selbst ins Mikrophon sprechen. Was immer wir bei den Interviews an eigener Stimme aufnehmen, wird gnadenlos rausgeschnitten und von einem Moderator neu gesprochen.

 

Highlights

Feueralarm im Heim. Dem Deppen drei Zimmer neben mir ist die DJ-Anlage, mit der er den ganzen Stock terrorisiert, eingegangen. Hell yeah, das Ding ist komplett hin, den Rest des Monats herrscht Ruhe!

Hooverphonic-Interview im PPC. Ich bin aufgeregt - das ist mein erstes englisches Interview ever. Der Chefredakteur meint, daß die Bands daran gewöhnt sind, daß auf der Tour nicht jeder perfekt Englisch spricht. Das halten sie sogar für charmant ... Ich lege mir einen Einstiegssatz zurecht, damit gleich alles geklärt ist: What I´ll say does not appear on air ... und bitte klar und deutlich sprechen.

Bei einer Pressekonferenz über ein Schulprojekt in einer Volksschule, wo wir alle auf den Zwergensesseln der Schüler sitzen, trotze ich dem anwesenden Landeshauptmannstellvertreter erfolgreich ein Statement über die gerade laufenden Koalitionsgespräche auf Bundesebene ab. Dann noch ein Interview mit dem Bürgermeister, der in meiner Gegenwart zwei Mitarbeiter eines deutschen Fernsehsenders abkanzelt. Die blasierten Kollegen sind mit Kamera unterwegs, kamen nach mir hin und wollen vor mir dran sein. Der Bürgermeister kommentiert das mit "Hören´S mal beim Landsmann zu, dann wissen sie auch gleich, worum es geht."

Fest bei uns im Heim. Als ich in der Nacht von einem Konzert zurückkomme, ist das Haus ein einziger Sauhaufen. Die Securites sind gerade dabei, die oberen Stockwerke von den Besoffenen zu säubern. Am nächsten Morgen stehen die Klos auf meiner Etage alle zentimetertief unter Wasser, was ich erst bemerke, als ich mit einem Fuß im Dreck gelandet bin ...

 

Höhepunkt des Monats: Die "Taste of Chaos"-Tour mit Taking Back Sunday, Anti-Flag, Underoath, Saosin und Senses Fail hält in der Stadt und beschäftigt gleich mehrere von uns mit Interview-Vorbereitungen. Ich führe eines mit Talking Back Sunday, was fast an dem Menschen scheitert, der vor Ort die Akkreditierungen durcheinandergebracht hat. Sind wir aber einmal drinnen, ist alles sehr beeindruckend. Backstage wuselt es wie in einem Bienenstock. Mein Guide von der Plattenfirma bekommt ständig unveröffentlichte Promos zugesteckt, wir müssen dauernd Hände schütteln, alle sind total freundlich.

Das Konzert in der Helmut-List-Halle ist mit 2500 bis 3000 (die Quellen widersprechen einander) Besuchern ausverkauft. Es ist so arg laut, daß der Sound zu einem einzigen Gewummere verkommt und in den Ohren schmerzt. Dem anwesenden Kulturlandesrat brülle ich eine Frage ins Ohr, er brüllt daraufhin eine Antwort ins Mikro. Was er brüllt, kann ich, obwohl er unmittelbar vor mir steht, nicht verstehen. Beim Versuch, vor dem Eingang ein paar O-Töne einzufangen, was angesichts der alkoholgetränkten Massen gar nicht so einfach ist, werde ich erkannt: "Hey, du bist doch der, der immer vorm PPC steht und die Leut befragt!"

Einziger Mißerfolg des Monats: den Bundespräsidenten, der im Rahmen einer Uni-Veranstaltung in Graz ist, ebenfalls über die Koalitionsverhandlungen zu befragen. Mit der Zeit kenne ich die Kollegen der anderen Medien und beobachte, wie sie erfolglos um den Troß des Präsidenten kreisen, woraufhin ich es erst gar nicht versuche. Der einzige, der überhaupt eine Wortspende bekommt, weil er sich mit einem Kameramann einfach in den Weg stellt, ist der ORF. Und ja: Farin Urlaub, auf dessen vereinbarten Anruf ich eines Abends mehr als eine Stunde lang warte, ruft nicht an.

Was ist geblieben? Es war cool. Beruflich bin ich dennoch nicht beim Radio gelandet. Auch egal - vielleicht klappt´s ja ein andermal.

Martin Zellhofer

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