Stories_Rokko´s Adventures im EVOLVER #61

Who you gonna call?

Abgerutschte Messerklingen, ausgeschlagene Zähne und die Zukunft der Berufsgruppe Detektiv: dritter und letzter Teil des Gesprächs zwischen Rokko und Walter "007 in Austria" Penk-Lipovsky.    25.11.2013

Rokko´s Adventures ist - so steht es im Impressum - eine "unabhängige, überparteiliche sowie übermenschliche Publikation" und "setzt sich mit Leben, Kunst, Musik und Literatur auseinander". Der EVOLVER präsentiert (mit freundlicher Genehmigung) in regelmäßigen Abständen ausgewählte Beiträge.

 

=============================================================

Walter Penk-Lipovsky ist der Doyen unter den österreichischen Detektiven. Seit Jahrzehnten im ersten Bezirk ansässig, hat er den Fall Lucona gelöst, Messerstechereien überlebt und so unterschiedliche Berühmtheiten wie Brigitte Bardot, Jörg Haider und Falco beschützt. Doch sein treuester Begleiter ist und bleibt sein Revolver.

Rokko traf ihn zum Verhör. Lesen Sie hier den ersten Teil des Protokolls.

 

 

Rokko: Wechseln viele ehemalige Polizisten ins Detektivgeschäft?

WPL: Nein, nein. Unlängst hat sich wieder mal einer beworben, aber das ist ein Tschecherant - der hat sogar mit Polizisten gerauft! [lacht] Er war in Zivil mit dem Auto unterwegs, hat blasen müssen, denen seinen Ausweis gezeigt - und die haben drauf g´schissn! [lacht] Die haben gesagt: "Man fahrt ned bsoffn." Und dann haben´s gerauft miteinander.

 

Rokko: Ist es Ihnen schon einmal passiert, daß Sie ein Angestellter hintergangen hat, auf die andere Seite gewechselt hat? So eine Art Doppelspion?

WPL: Ähnlich, ich hab´ zwei fristlos vor zwei Jahren entlassen. Die haben Folgendes gemacht: Ich zahl recht gut, im Prinzip 20 Euro in der Stunde. Bei Beobachtungen bei Ehesachen, selbst wenn die schon im Kisterl waren, verlang ich, daß beide dort bleiben, damit, wenn irgendetwas ist, man den Beweis hat, daß man da war. Sonst könnt der gegnerische Anwalt sagen: "Sie irren sich!" Ich bin da vorsichtig. Die haben aber einen ganz billigen Kollegen dorthin gegeben, für acht oder zehn Euro, und haben stattdessen eine eigene Sache gemacht. Da bin ich durch einen älteren Kollegen draufgekommen, der hat das bemerkt und hat mir´s vertraulich gesagt. Die haben mich wirklich betrogen. Der eine Jurist, sein Vater ein geiziger Augenarzt. Scheußlich, gell?!

 

Rokko: Sehr amüsant finde ich, daß Sie einmal einen Schwarzen als Detektiv hatten, der sich freier bewegen konnte als alle anderen, weil wegen der Hautfarbe nie jemand damit gerechnet hätte, daß er ein Detektiv sein könnte.

WPL: Ja, herrlich! Der war perfekt für Observationen. Ich hab´ mir aber auch selbst zu helfen gewußt, zum Beispiel hab´ ich machen müssen einen Personenschutz, da war ich schon älter, das war vor sechs Jahren, in einer Kirche. Ich hab´ mir einen weißen Kragen genommen vom Katholen-Geschäft beim Stephansdom und ein kleines, silbernes Kreuz. Haare hab´ ich kurze und einen grauen Anzug - so hab´ mich in die Kirche gesetzt. Was die Leute nicht wissen: Einen Vollbart darf ein Pfarrer haben - einen Schnurrbart nicht. [lacht] So hab´ ich auf den, der geheiratet hat und bedroht wurde, achtgeben können - ist gut gegangen!

Aber manchmal ist es mir mittlerweile ein bißchen zu fad. Da schick´ ich die Leut wohin und sitz´ zwei, drei Stunden alleine. Dann läutet das Telefon, und ein Angestellter meldet sich: "Alles in Ordnung!"

 

Rokko: Die Action fehlt Ihnen ein bißchen?

WPL: Ja, ja! Natürlich! Keine Frage, die fehlt. Nachdem mein Vater so früh gestorben ist, mit 31, war ich ein guter Leibwächter. Ich hab´ mir immer gedacht: "Sollen S´ mich halt umbringen ... die können mich am Arsch lecken!" Sie sollen mich nur nicht blamieren, des is das Oarge, owa hamdrahn? G´spürst ja nimma - das is es ja! Das ist wie Soldatentum. Wenn du gequält wirst, wenn sie dich haben und blamieren - das ist hart! Ich hab´ mal gesehen einen Polizisten am Gürtel knien, ein Krimineller hat an Puffer g´habt. Das tut weh, sehr weh! Aber wenn’s dich dawischen ...! [lacht] Ich war leichtsinnig und hab´ immer an Puffer in der Hand g´habt. Weil ich gesagt hab´: "Was gibt’s Bessers?!" Ich war nicht schlecht körperlich, aber lieber hab´ ich den Puffer genommen und gesagt: "Und?"

Im Hotel Bristol war ein Lokal, da sind zwei gekommen. Ein Paar hat sich getrennt, ihr hat das Lokal gehört, und er hat ihr immer Geld weggenommen. Ich bin hingegangen und hab´ gesagt: "Wenn Sie in die Kassa Ihrer Frau greifen, ist das ein Überfall für mich - und ich schieße Sie nieder." Daraufhin hat der seinen Freund angeschaut und ist gegangen. [lacht] Ich hab´ immer so gearbeitet. Hat auch funktioniert. Ich hätte auch geschossen. Da bin ich vielleicht ein Narr.

 

Rokko: Es ist sich immer alles ausgegangen, sonst würden Sie jetzt nicht mehr da sitzen.

WPL: Gut, ja, ich bin einmal von ein paar Leuten überfallen worden in Hamburg und in Frankfurt. Ich bin am Boden gelegen, war bewußtlos, mit der Nase schon unten, und von der Seite haben sie mir mit den Schuhen in die Goschn g´haut. Da war ich 30 - und das tut dir weh, seelisch, ein richtiger Scheißdreck. Da kommst du dir plötzlich alt vor: da drei und da drei falsche Zähne auf der Spange. Das hab´ ich jetzt 42 Jahre. Ich war bei einem sehr guten Zahnarzt, den hab´ ich noch gefragt: "Wenn ich jetzt eine schleck´, fallt mir das raus?" Sagt er: "Nein, aber das kann Ihnen bei Camembert passieren." [lacht] Der war humoristisch.

Ich hab´ natürlich ein paar Verletzungen. Einmal wollt mir einer in den Schädl stechen, aber das zähl´ ich ja nicht, das ist ja lächerlich! Der ist am Knochen abgerutscht. Einmal die Hüfte - im Röntgen zu sehen: knacks. Ich bin einmal blöd Fallschirm gesprungen und hab´ mir beide Beine gebrochen. Das kann passieren - aber bei dem anderen konnte ich nichts dafür, da war ich bewußtlos. Die anderen Sachen - Stiche, Narben, das zähl´ ich nicht, davon hab´ ich den ganzen Körper voll. Einmal bin ich bei einer Glastür rein und mußte sie zertrümmern. Ich bin vier Tage herumgegangen damit, und der Arzt hat dann gesagt: "Soll ich die Hand wegnehmen oder den ganzen Arm?" [lacht] Die hat sich nicht mehr bewegen lassen! [lacht] Ich war schon leichtsinnig, jetzt fällt mir das in unserem Gespräch erst ein. Man muß leichtsinnig sein. Wer das nicht ist, verliert an seinem Leben.

 

Rokko: Draußen im Vorzimmer habe ich diese Photoserie an der Wand gesehen, wo Sie als James Bond abgelichtet wurden ...

WPL: Das war 1970. Sie war die Miss Vienna 1970, die hat der Photograph mitgebracht, und dann haben sie gemacht "007 in Austria". Das war in der Stern-Illustrierten, wo meine Großmutter ganz entsetzt gesagt hat: "Walter! Mußt du so was machen?!" "Bitte, das is a Werbung! I wü a G´schäft mochn." "Ja, trotzdem! Du hättest zu einer Bank gehen sollen." [lacht]

 

Rokko: Also, diese Photos sehen wirklich beeindruckend aus, man kauft Ihnen den James Bond ab. Und auch, was Sie so erzählen, das klingt teilweise schon sehr filmreif.

WPL: Ja, vielleicht ... Ich hab´ auch manchmal bei Filmen mitgespielt, bei "Tatort", bei "Kottan" einen Bankräuber - die haben gut gezahlt, das war witzig. Die haben mir einmal für eine Stunde Arbeit 6000 Schilling gezahlt - ich war ganz fasziniert!

 

Rokko: Für Detektive kommt es immer wieder zu Auslandseinsätzen.

WPL: Heute viel seltener als früher. Vor 30 Jahren haben wir im August gehabt immer Lignano - und das haben Detektive leidenschaftlich gern gemacht, no na! Der muß auch am Strand liegen, herrlich! [lacht] Vorbei - zu geizig. Wird nimma gmacht.

Für alle Detektive waren Ehesachen in Italien was Herrliches. Weil man zurückkommt mit Farbe und man hat gewußt, wohin die fahren, hat sie beobachtet, fünf oder acht Tage, dann ist man zurückgekommen voller Fröhlichkeit - gibt´s nimma. Die Fälle sind nicht mehr schön, wir haben nur mehr schwierige Sachen. Wo ein Anwalt sich bemüht und es geht nichts, dann bleibt ihm nichts anderes übrig, als zu sagen: "Gut, gemma doch zu am Detektiv." Es ist nicht mehr lustig. Früher sind die Leute lockerer gegangen, es war mehr Geld da. Ich hab´ noch alte Detektive gekannt, die waren nach der Monarchie in den 1920ern, die waren auf den Rennplätzen in der Tschechei, überall, wissen Sie, die haben ganz tolle Aufträge gehabt. Das ist aus. Vorbei. Detektive befinden sich in einem dreißigjährigem Krieg ohne Schußwaffen: Schreibtisch zu Schreibtisch, Bank zu Bank, Gauner zu Gauner - und es wird noch lange dauern.

 

Rokko: Glauben Sie, daß es noch einmal bergauf geht für Detektive?

WPL: Ja, aber nicht jetzt. Ob ich das noch erleb´...

 

Rokko: Würden Sie jungen Leuten raten, Detektiv zu werden?

WPL: Heute nicht mehr. Weil zu wenig Geld da ist und wir 430 Büros in Österreich haben. Als ich begonnen hab´, hatten wir in Wien acht Büros - jetzt haben wir 50. Die ganzen Wach- und Schließgesellschaften, die haben keine echten, aber so Pseudodetektive. Das kostet weniger, jetzt gehen die Leute teilweise weg. Oder die Sicherheitsleute, die kriegen 7 Euro 50 in der Stunde - naja, damit ist alles gesagt.

 

Rokko: Haben Sie noch langjährige Stammkunden von früher?

WPL: Nein. Zum Teil sind sie gestorben. Ich hatte früher sehr viele jüdische Klienten, aber ab einem gewissen Alter ist alles aus. Die jungen Juden kaufen nicht - nicht woanders, überhaupt nicht.

 

Rokko: Das sind die gesellschaftlichen Entwicklungen, aber wie sieht es aus mit den technischen: Wissen Sie noch, wann Sie sich als Detektiv Ihr erstes Handy gekauft haben?

WPL: Ah, das erste Autotelefon - an das kann ich mich erinnern. Das war so groß wie der kleine Koffer eines Mondpiloten. Das hat grad reingepaßt in die Mittelkonsole und 24.000 Schilling gekostet vor 30 Jahren - das war vü Marie! Ich hab´ zwei gebraucht, auch für den zweiten Wagen - 48.000 Schilling. War ein Wahnsinn! Aber das war insofern so lustig, der Klang war wie von einem tollen Radio, glasklar. Die Handys heute sind ein Scheiß gegen das, was da einmal war. Da hat man glaubt, der sitzt direkt im Auto - das war beachtlich. Nur es ist einem halt der Schweiß runtergeronnen, weil´s so teuer war.

Ich konnte hier im Büro nie einen Funk haben, weil die Gauner da gegenüber [zeigt aus dem Fenster aufs Innenministerium], die blasen den ganzen Funk weg. Und das war damals schon so arg. Ich hab´ auch Techniker gefragt, und alle haben gesagt, ich kann keine solche Funkstation errichten, die von gegenüber unbeschadet bleibt. Die können sich das alles leisten - so wie der Vatikan und die Mafia.

 

Rokko: Apropos Mafia: In Ihren Bücherregalen findet man sehr viele Bücher über die Mafia ...

WPL: Ja, weil ich kenn´ nur zwei Firmen, die so gut funktionieren: den Vatikan und die Mafia - leider. Die eine 2000, die andere 1000 Jahre. Sagen S´ mir eine stärkere Firma! [lacht]

 

Rokko: Da fällt mir leider auch nichts ein. Haben Sie jemals mit denen zu tun gehabt?

WPL: Mit der Mafia schon, ohne es zu wissen, weil amerikanische Firmen haben über Wiener Anwälte schon hier beobachten lassen. Nachher bin ich draufgekommen, daß das mafiöse Chemiefirmen waren, mit Drogen.

 

Rokko: Trotz Krise - wie lange wollen Sie Ihren Beruf noch ausüben?

WPL: In meiner Familie ist es üblich, daß ein Mann immer bis zum Schluß arbeitet.

Rokko’s Adventures

aus: Rokko´s Adventures #12

(erschienen im Dezember 2012)


Text & Interview: Rokko

Fotos: Klaus Pichler

Links:

Kommentare_

Stories
Rokko´s Adventures im EVOLVER #105

Hinter den Büschen von Wien

Es gibt nicht nur Puffs und Swingerclubs, sondern auch die freie Wildbahn: geheime Sexorte im öffentlichen Raum, wo man sich selbst aktiv betätigen oder als Voyeur in Erscheinung treten kann. Diese Plätze zu finden erfordert Zeit, Geduld - und im besten Fall Anstand. Rokko führte ein Gespräch mit einem, der den Wiener Dschungel schon seit Jahrzehnten durchkreuzt.  

Stories
Rokko´s Adventures im EVOLVER #104

Die Archive des Dr. Burns

Dr. Stanley Burns hat sich in seinem unauffälligen Sandsteinhaus in Manhattan seine eigene Sammlung geschaffen, in der er arbeitet, lebt, und atmet. Darin zu finden: mehr als eine Million historische Photos aus existentiellen, medizinischen, kriegerischen und kriminellen Prozeduren, die die menschlichen Entwicklungen von 1850 bis 1950 schonungslos dokumentieren - und damit auch die Gegenwart sowie zukünftige Entwicklungen bzw. Dummheiten besser begreifbar machen.  

Stories
Rokko´s Adventures im EVOLVER #103

Vielgeliebt und doch allein

Freddy Quinn, ein internationaler Star, der zu Journalisten ein distanziertes Verhältnis pflegt, sich mit seiner Kunstfigur von der Außenwelt abschottet, seine Frau öffentlich nur als "meine Managerin" siezte, ist im September 2016 ganze 85 Jahre alt geworden. Ein exklusives Fest mit einstelliger Gästelistenzahl im geheimen Szenelokal? Falsche Fährte. Gefeiert wird mit Liptauerbrot und Dosenbier in einem Gemeinschaftsraum im Wiener Wohnpark Alt-Erlaa, den das Pensionistenehepaar Brigitta und Eduard Klinger gestaltet.  

Stories
Rokko´s Adventures im EVOLVER #102

Die Cheerleader der Besten

Wo hat Rokko das erste Mal Country Teasers quengeln, Sleaford Mods fluchen, Amanda Whitt wüten, Steel Pans im Getümmel bei einer West Indian Day Parade gehört? Nicht draußen - und nicht im Wohnzimmer eines Vertrauten, sondern auf WFMU. Dieser Radiosender funktioniert aber im Grunde genauso: als würde man daheim bei einem Haberer sitzen, der einem seine Lieblingsplatten vorspielt.  

Stories
Rokko´s Adventures im EVOLVER #101

Müllstierln in Purbach

Wenn etwas weggeschmissen wird, heißt das nicht, daß es weg ist. Erst dann fängt nämlich ein interessanter Verwertungsprozeß an, der auf mehreren Ebenen funktioniert. Diesen Vorgang wollte sich Team Rokko genauer ansehen.  

Stories
Rokko´s Adventures im EVOLVER #100

Winners come in all shapes and sizes

Preisfrage: Was haben Mike Tyson, Nikola Tesla und Willy Brandt gemeinsam? Richtig: allesamt Taubenzüchter. Team Rokko hat für Sie einige spannende Geschichten zum Thema "Männer, ihre Vögel und die Pigeon Fancier Convention in Blackpool" auf Lager. Fliegen Sie mit ihm los!