Stories_Nikolas Schreck: Porträt/Part III

"Erleuchtete Wesen"

Nach der Flucht aus Europa bereute Nikolas Schreck einiges aus seinem früheren, "bösen" Leben - und machte eine weitere Wandlung durch. Heute folgt er den Lehren des Buddha und unterrichtet auch andere darin. Die Welt ist ohnehin nur Illusion ...    23.09.2014

Er war Bluttrinker, Teufelsanbeter, Deathrock-Musiker, bester Freund des berüchtigtsten Mörders der USA, Magier und Schwiegersohn des Gründers der Church of Satan: Nikolas Schreck. Heute lebt der Mann mit dem vielsagenden Pseudonym in Berlin - und ist gläubiger Buddhist.

Eine Inszenierung in zwölf Akten.

Lesen Sie hier den ersten Teil: Karma-Chamäleon

 

 

9. FESTUNG EUROPA

Zwischenspiel: Wien, Anfang der Neunziger. Ich besuche Nikolas und Zeena in einer Mietwohnung im teureren Teil des dritten Bezirks. Die Räume sind naturgemäß schwarz ausgemalt und verdunkelt, im Vorzimmer bleckt ein ausgestopfter Wolf die Zähne, und irgendwo weiter hinten in den Zimmerfluchten schlafen sie in Särgen, wahrscheinlich aber nur bei Tag.

Warum sie ausgerechnet in die Hauptstadt der alten K.u.k.-Monarchie übersiedelt sind? "Erstens war meine Großmutter Österreicherin, und zweitens mußten wir aus Amerika flüchten", sagt Nikolas. "Nach Zeenas Bruch mit ihrem Vater wurde die Situation für uns immer schlimmer - und als uns praktisch gleichzeitig ein christlicher Cop aus L. A. und der Serienmörder Richard Ramirez davor warnten, daß die Behörden hinter uns her seien und uns irgendwelche Morde anhängen wollten, haben wir dieses schreckliche Land schnellstens verlassen. Sonst wären wir heute im Gefängnis oder vielleicht auch tot."

Sie kamen nicht ohne Geld nach Wien: Dank einer äußerst kostspieligen Copyright-Verletzung der TV-Sendung "Current Affair", die ohne Erlaubnis Teile von Schrecks Manson-Interview ausgestrahlt hat, sind sie für einige Jahre in der "Festung Europa" gut versorgt. Jetzt nehmen sie gemeinsam als Radio Werewolf Platten auf, schreiben Sachbücher wie "The Satanic Screen" über den Teufel im Kino oder "Demons of the Flesh" über Sexualmagie, halten geheimnisvolle Treffen mit europäischen Sympathisanten ab.
Ich treffe die beiden ein paar Mal zu höchst kultivierten Restaurantbesuchen (sie geben sich "more European" als die echten Europäer); unternehme mit ihnen eine Tagesreise zur Burg Čachtice, wo 1614 die "Blutgräfin" Erzsébet Báthory eingemauert ihr grausames Leben aushauchte - und verliere sie dann für ein paar Jahre aus den Augen.

 

 

10. SPIEL MIT DEM FEUER

Und jetzt sitzen wir einander wieder gegenüber. Im idyllischen Berliner Grunewald, im Garten eines kleinen Ausflugslokals am Wasser - ich immer noch Journalist, aber er nicht mehr Satanist, sondern ganz im Gegenteil. Bevor mir Nikolas aber von seinem neuen Glauben erzählt, will er seine Beichte ablegen.

"Aus dem, was ich bisher erzählt habe, könnte man den Eindruck gewinnen, das wäre alles gut und lustig und interessant gewesen - aber das war es absolut nicht", sagt er. "Das Erwecken dieser dämonischen Mächte hatte extrem negative Auswirkungen." Als Beispiel für die üblen Folgen berichtet er vom ersten Werewolf-Keyboarder, der verrückt geworden ist, mittlerweile auf der Straße lebt und den Passanten bis heute die alten Songs vorspielt. "Alles, was mit diesen Dingen zu tun hatte, führte zu Negativität, Wahnsinn und lebensbedrohlichen Situationen", warnt er. "Es ist weder witzig noch romantisch, und schon gar nicht glamourös oder interessant. Wenn man mit Mächten spielt, denen das Wohl der Menschheit vollkommen gleichgültig ist, dann werden sie einen zu zerstören versuchen."

Die Leute an den Nebentischen werfen uns verstohlene Blicke zu, als ich Nikolas frage, ob er etwas aus seinem früheren Leben im Dienste Satans bereut - und er antwortet: "Ich bedauere nicht, daß ich durch den Teufel die spirituelle Welt betreten habe. Er ist halt einfach der erste, der einen dort erwartet, und mittlerweile ist er wie ein alter Freund, mit dem ich keinen Kontakt mehr habe. Aber ich glaube, daß ich mit meinem Wissen um das 'Böse' heute anderen besser helfen kann. Ich kenne die negativen menschlichen Seiten aus eigener Erfahrung und weiß mehr darüber als der Papst."

Was er wirklich bedauert? Daß er zu vielen Menschen "grausam war, gefühllos und nur auf mein eigenes Vergnügen bedacht". Daß sein Einfluß bis heute andere dazu bringt, ihn imitieren zu wollen, was - wie er sagt - zu Haß, Gewalt, Egoismus und Dummheit führt. Und daß er den schnell banal und schal gewordenen Gruftie-Chic mitgeschaffen hat, von dem Leute wie Marilyn Manson ("Der hat einfach unsere Show gestohlen, als Radio Werewolf aufgehört haben") oder die grausam dumme Sado-Maso-Burlesque-Szene bis jetzt ganz gut leben.

Für "böse" hält der ehemalige Teufelsanbeter die höllischen Mächte, die ihn dazu inspiriert haben, aber nach wie vor nicht: "Sie tun einfach, was sie tun; sie sehen sich selbst nicht als böse, weil sie mit solchen Begriffen gar nichts anfangen können. Sie sind wie grausame Kinder."

 

 

11. LISTEN TO THE VOICE OF BUDDHA

Im Buddhismus gibt es ein Entsagungsritual, in dem man um Vergebung und Reinigung bittet. Vielleicht denkt Schreck genau daran, als er kurz die Augen zu einem stillen Gebet schließt, bevor er die Mehlspeisgabel in seine Torte versenkt.

Er ist seit 2003 praktizierender Buddhist, hat sich über seine und Zeenas Beschäftigung mit fernöstlichem Mystizismus der viertgrößten Weltreligion angenähert und durch intensive Meditation erkannt, daß die buddhistische Realitätssicht die richtige ist, wie er sagt.

Aber so einfach ist das natürlich auch wieder nicht: Im Gegensatz zu den vielen Modebuddhisten im Westen, die ihren neuen Glauben locker und entspannt praktizieren, weil das eben gerade angesagt und so beruhigend ist, hat sich das Ehepaar Schreck für den tantrischen Buddhismus entschieden. In diesem Zweig der Glaubensrichtung sind Magie und Zauberei etwas völlig Normales, die Götter sehen für Uneingeweihte wie Monster aus, und bei den Ritualen spielt auch Sex (der dort allerdings mehr wie Meditation und Yoga ist als der Sex, den Normalbürger im Schlafzimmer oder Swingers-Club praktizieren) eine Rolle.

"Die Karma-Kagyü-Schule, der wir angehören, ist der linkshändige Pfad des Buddhismus", erläutert Nikolas. "Dabei geht es im wesentlichen darum, daß man mit dem arbeiten muß, was man in der Welt und im menschlichen Geist vorfindet. Man verwendet die angeblich negativen Aspekte der menschlichen Existenz, statt ein weltabgewandter, asexueller Mönch zu werden. Nimm die Welt, wie sie ist, einschließlich Zorn, Haß und Lust - und arbeite damit, um deinen Bewußtseinszustand zu verändern und ein erleuchtetes Wesen zu werden."

Das Ego, das Ich, die Person Nikolas Schreck zählen jetzt nicht mehr. Alles ist nur Illusion. Die Welt ist leer, alles in ihr leidet und kann nur durch den Buddhismus erweckt werden. Das Karma ist real; jeder von uns ist das Ergebnis seiner Handlungen und wird so lange in der physischen Realität wiedergeboren, bis er die Kette der Reinkarnation bricht und befreit ist.

"Ich hatte jahrzehntelang mit allem zu tun, was gemeinhin als 'böse' gilt", schließt Schreck die Geschichte seiner Bekehrung vorerst ab. "Ich kannte Mörder, Nazis, Satanisten und Betrüger, alle möglichen extremen Persönlichkeiten. Zeena und ich bekommen heute noch täglich Fanbriefe von Leuten, die dank der Kontextlosigkeit des Internets glauben, daß das alles erst gestern passiert ist ...

Im buddhistischen Milieu kennt man die wilden Geschichten über ihn zwar auch, aber "sie sind jedem völlig egal - vom Dalai Lama bis zu unserem Lehrer. Es geht nicht um Gut oder Böse, sondern darum, die Realität richtig wahrzunehmen."

 

12. SPECIAL TYPE

Doch was wäre die Wirklichkeit ohne die Fiktion, ohne all die schönen Inszenierungen, ohne die Kunst?

Als wir nach dem Interview durchs Herbstlaub Richtung Schnellbahn zurückspazieren (übrigens trotz der anfänglichen "Drohung" immer noch lebendig und guter Dinge), erzählt Nikolas von seinen Plänen. Nach all den Sachbüchern und seiner Autobiographie möchte er sich endlich auf die Belletristik stürzen und dicke historische Romane schreiben, mindestens eine Trilogie. Auch Musik will er wieder machen, aber keinen Goth-Deathrock à la Radio Werewolf mehr, sondern lieber ein Soloprojekt mit fernöstlich angehauchtem Psychedelic-Sound. (UPDATE: Schrecks derzeit wichtigstes Musikprojekt ist Kingdom of Heaven, bei der er mit dem Multiinstrumentalisten James Collord zusammenarbeitet. Siehe dazu auch die Links am Ende des Artikels. Seine Eastern-Psychedelic-Pläne wird er mit den Live-Konzerten in Dresden, Leipzig etc. zu realisieren beginnen.)

Irgendwann in nächster Zeit wird er noch einmal in die USA zurückkehren müssen, widerwillig zwar, aber wegen dringender geschäftlicher Angelegenheiten und um die Reste seiner Familie zu besuchen: seine achtzigjährige Mutter - und den nur drei Jahre jüngeren Charles Manson, der bis heute im Gefängnis sitzt. "Ich bin immer noch mit Charlie befreundet, auf eine sehr komplizierte Art. Wir streiten manchmal wie ein altes Ehepaar. Er ist wie ein Familienmitglied für mich, mit denen versteht man sich auch nicht zwangsweise immer gut." (UPDATE: Das ist mittlerweile natürlich schon passiert - wie man an der Gefängnis-Erinnerungsaufnahme mit dem langbärtigen Propheten Charles Manson erkennen kann.)

Beim Abschied sagt er uns noch, daß wir zu Hause einen Blick auf seine Website werfen sollen. Dort sieht man ein Photo von ihm, auf dem er als Statist im Science-Fiction-Meisterwerk Blade Runner zu sehen ist: ein Passant mit halbverhülltem Gesicht und Mütze, der desinteressiert an einem Metrokab vorbeigeht, auf dem Harrison Ford, die Waffe in der Hand, gerade nach einem Replikanten Ausschau hält. Die Kategorie, unter der Kleindarsteller wie Nikolas Schreck damals im Filmnachspann geführt wurden, heißt "Special Type".

Besser kann man ihn wohl kaum beschreiben.

 


Peter Hiess

Nikolas Schreck im Gespräch


Aktuelles Interview mit Schreck über die bevorstehenden Konzerte, die Magie der Musik und vieles mehr (in engl. Sprache)

Links:

Nikolas Schreck - The Manson File: Myth and Reality of an Outlaw Shaman

Links:

Nikolas Schreck auf CD


Radio-Werewolf-CD "The Vinyl Solution/Analog Artifacts: Ritual Instrumentals and Undercover Versions"

Links:

Termin-Tip: Transmission Festival


Website des "Tower Transmission Festivals" in Dresden, wo Nikolas Schreck und John Murphy auftreten werden

Links:

Nikolas Schreck - Lesung


Nikolas Schreck liest im National Public Radio (NPR) aus seinem demnächst erscheinenenden Roman The Dallas Book of the Dead

Links:

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