Stories_Rokko´s Adventures im EVOLVER #77

Fremde Särge stinken

Elektro-Punk Monte Cazazza gilt als Wegbereiter der Industrial Culture und gibt seit den Siebzigern nur selten Interviews. Mit Rokko plauderten er und Freundin Meri St. Mary trotzem ein paar Takte.    21.10.2014

Rokko´s Adventures ist - so steht es im Impressum - eine "unabhängige, überparteiliche sowie übermenschliche Publikation" und "setzt sich mit Leben, Kunst, Musik und Literatur auseinander". Der EVOLVER präsentiert (mit freundlicher Genehmigung) in regelmäßigen Abständen ausgewählte Beiträge.

 

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Monte Cazazzas Reputation ist böse, berüchtigt und mysteriös. Um ihn ranken sich Geschehnisse, die niemand zu bestätigen vermag. Die Interviews, die er seit den siebziger Jahren gegeben hat, lassen sich an einer Hand abzählen. Team Rokko hat eines davon. Lesen Sie hier den ersten Teil: "Der Virus Monte Cazazza".

 

Doch seine verquer-fröhliche Art hat Cazazza behalten, sie ist stärker als Bitterkeit. Humor ist generell ein wichtiger Pfeiler in seinem gesamten Schaffen - "aber die Leute verstehen meinen Sinn für Humor normalerweise nicht", fügt er hinzu.

Meri St. Mary kommt gerade ins Studio und hat uns gehört. Sie nickt: "Er hat einen beißenden Humor." Sie sollte es wissen, ist sie nicht nur seine Freundin, sondern die beiden waren auch lange in ähnlichen Zirkeln in San Francisco unterwegs. Meri St. Mary war schon immer eine wichtige Figur in der Punkszene in Los Angeles, später in San Francisco, spielte in Bands wie Housecoat Project und Sex is a Witch, war mit Bruce Loose, dem Sänger von Flipper, verheiratet, mit dem sie auch einen Sohn hat. Nach Jahren in den selben Subszenen sind sie und Cazazza einander erst vor vier Jahren auf einer Photoausstellung bzw. der Party danach zum ersten Mal nähergekommen.

 

Meri St. Mary: Da sind wir uns über den Weg gelaufen, und ich war so froh, ihn zu sehen!

Monte Cazazza: Ich weiß nicht, warum.

 

MSM: Weil ich dich seit Ewigkeiten nicht gesehen hatte.

MC: Das ist der Grund! Weil sie mich eine wirklich, wirklich lange Zeit nicht gesehen hatte! Siehst du, wie Zeit alles verzerrt? Zeit verzerrt alles ins Positive, wo sie doch ins Negative verzerren sollte.

 

MSM: Wir merkten da, daß wir uns eigentlich schon längere Zeit sehr gerne hatten und ... ich weiß nicht, ob du willst, daß ich das sage, Monte?

MC: Du sagst es doch sowieso. Ich halte niemanden von irgendwas zurück.

 

MSM: Monte sagte was wirklich Süßes. Willst du, daß ich es sage?

MC: [zuckt mit den Schultern] Was ist das? "Willst du, daß ich das sage?"?! Sag, was immer du willst! Wenn ich es nicht mag - schlimm für mich. [lacht]

MSM: Er sagte: "Es ist mir egal, ob du mein Herz brichst. Das wird es wert sein."

 

Die beiden arbeiten nun an verschiedenen Projekten zusammen, eines trägt den Arbeitstitel "Industrial Bubblegum" - doch worum es sich dabei genau handelt, ist noch nicht spruchreif. Dann gab es noch ein Photoshooting für eine Zeitschrift, das für Ärger sorgte. Was passierte da genau?

 

MSM: Oh, es war Montes Idee und ...

MC: Ja, gib mir die Schuld. Gib immer mir die Schuld! Der Finger zeigt immer in meine Richtung. [lacht] Es ist einfach, mich zu beschuldigen - weil es normalerweise ja auch meine Schuld ist. Aber das heißt nicht, daß es immer meine Schuld ist.

 

MSM: Monte hatte eine brillante Idee, und wir hatten ein großartiges Photoshooting - nur die anderen waren irritiert.

MC: Dabei war es nicht mal irritierend.

MSM: Nein, es war nur ein Kußphoto.

MC: Aber die haßten das, weil sie sehr ernst waren und wollten, daß ich auch sehr ernst bin - und das ist das Schlechteste. So sollte man mir nicht kommen; was natürlich nicht heißt, daß ich nichts Ernstes machen würde.

 

Rokko: Ja, aber die können dich nicht zwingen: "Zieh dein Hemd aus und schmier dir Blut auf die Brust!" Das hast du ja schon gemacht.

MSM: Das Problem ist, die Leute leben in der Vergangenheit - und Monte sagte: "Nein. Das ist es, was jetzt passiert."

R: Friß oder stirb.

MC: Die Leute mögen meinen Humor nicht.

 

R: Na ja, dann sollen sie scheißen gehen. Sie müssen dir ja nicht zuhören.

MC: Sie müssen mir nicht zuhören, und umgekehrt muß ich ihnen auch nicht zuhören - das ist OK. Sie wollen mir nicht zuhören, aber sie wollen, daß ich ihnen zuhöre. Und das funktioniert nicht mit mir. Sie wollen mir einen schönen Sarg bauen, so wirkt das auf mich. Aber das ist einer, in den ich nicht rein will.

 

Zeitmaschinenpläne

 

Manch einer ist ein wenig beleidigt auf Herrn Cazazza ob seiner Zurückgezogenheit, wie der Autor und Journalist George Petros, der ihn für sein Buch "Art that Kills. A Panoramic Portrait of Aesthetic Terrorism 1984-2001” interviewen wollte, aber eine Absage bekam. Petros meinte 2011 in einem Gespräch mit mir über Cazazza: "Seine Karriere beruht darauf, einfach schwierig zu sein: 'Ich bin ein Künstler, der nichts gemacht hat, und ich will kein Interview geben, weil du alles falsch verstehen würdest. Und übrigens hab ich nichts zu sagen.' Ich wollte ihn auch nicht im Buch haben, aber Genesis P-Orridge hat darauf bestanden und immer davon geredet, daß alles mit Monte begonnen hat." Ich meinte zu Petros, daß man es ja nicht wissen könnte und Monte womöglich an etwas Größerem arbeitete, woraufhin Petros zynisch fortfuhr: "Ja, vielleicht hat er eine Truhe unter seinem Bett, in der sich die Pläne für eine Zeitmaschine befinden."

Vielleicht hat er die wirklich - aber vielleicht hat er nicht mal ein Bett. Vale, einer seiner besten Freunde, der ihm auch aus der Scheiße geholfen hat, als er es wirklich gebraucht hat, sagte mir über Cazazza: "Monte ist einer der smartesten Menschen auf diesem Planeten. Ich weiß nicht, wo er seine Informationen herkriegt - aber er kriegt sie. Er hat viele Dinge gemacht, die nie veröffentlicht worden sind, was eine seltsame Position ist. Manche Leute produzieren schon fast zu viel, aber er hat nicht genug produziert, gemessen an dem, was er weiß. Er hat eine massive Plattform über esoterisches Wissen, das er auf Leute wie mich loslassen sollte."

Doch Zurückhaltung ist eher sein Ding. Cazzaza hat nicht den Eindruck, seinen "Fans" irgendwas zu schulden, und verläßt sich auf sein eigenes Gefühl und seinen eigenen Geschmack. Er würde niemals seinen Rezipienten das Vertrauen schenken, seine Arbeiten zu bewerten: "Das wäre so, wie einem Lynchmob einen Strick zu geben und zu erwarten, nicht gehängt zu werden." Erst 2010 ist sein bisher letztes musikalisches Statement bzw. sein erstes Lebenszeichen seit Jahren mit dem Titel "The Cynic" erschienen. Daneben, daß er an neuer Musik arbeitet, recherchiert und sammelt er gerade Material für sein nächstes Projekt, über das er allerdings noch nichts Genaueres sagen kann: "Bei mir geht die Arbeit immer in verschiedenen Stufen, wahrscheinlich drei oder vier. Und gerade bin ich am Schluß der ersten."

Als ich ihm mitteile, daß viele Leute nach "The Cynic" erleichtert waren, daß Monte Cazazza überhaupt noch unter uns weile, und ein paar Leute sich zuvor gefragt hatten: "Lebt der noch?", antwortet er mit seiner unverkennbaren Stimme belustigt: "Ich bin tot. Ich bin schon vor langer Zeit verwest." Und dann bist du zurück? "Wahrscheinlich. Wie einer dieser Virusse: der schlummert, dann ist er tot - und plötzlich verändert sich die Umwelt, und er ist wieder am Leben! Er ist wieder am Leben!! Und dann stirbt er wieder. Und dann ist er wieder am Leben!" lacht und schreit Cazazza überdreht. "Das ist wie Schrödingers Katze - lebt sie noch in der Kiste oder nicht? Ich bin mir nicht so sicher." Meri St. Mary, ein wenig grantig: "Die Leute, die da fragen: 'Lebt er noch?', die kümmern sich nicht ordentlich, die recherchieren nicht gut genug, um jemanden ausfindig zu machen." Cazazza mit gleichgültiger Miene: "Sie glauben, daß ich tot bin. Viele hoffen, daß ich tot bin." Pause. "Ja, das ist wahrscheinlich die Wahrheit."

 

Doch nein, liebe Amigos, der Virus Monte Cazazza kreist noch immer munter weiter, ist todernst, wenn andere es lustig haben wollen, und lacht in jenen Momenten am lautesten, wo andere vor Scham zergehen würden. Ein Virus, von dem man mehr lernen kann als von jedem Gegenmittel!

Rokko’s Adventures

aus: Rokko´s Adventures #13


Text & Photos: Rokko

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