Stories_Modernciné
Family Entertainment
Es gibt sie noch: kleine, aber feine Produktionsfirmen, die gute Filme herausbringen - abseits des Mainstream, und trotzdem ohne pseudocineastischen "Kunstanspruch".
Thomas Fröhlich stellt Ihnen eine davon vor.
22.03.2010
Low Budget-Labels gibt es zur Genüge. Die wenigsten davon überstehen ihre Geburtswehen - und die, die überleben, entscheiden sich dann üblicherweise zwischen dem filmisch letzten Dreck für funktionale Analphabeten oder hochgepäppelter Kunst-für-Qualitätszeitungsleser (bei fließenden Übergängen). Doch es geht auch anders.
Wie wäre es etwa mit Filmen über: Söhne, deren Eltern sich durch Mord und Totschlag auszeichnen / Pflegemütter mit ziemlich brachialen Erziehungsmethoden / ganz normale Suburbia-Familien, auf deren Home Movies nicht nur ihr mentaler Verfall nachzuvollziehen ist / nicht ganz so normale Sippschaften, deren Eßgewohnheiten ihre Mitmenschen nachhaltig einbeziehen? Dies sind unter anderem die Welten, denen sich die Macher von Modernciné verschrieben haben. Familienfilme, wenn Sie so wollen; allerdings nicht unbedingt dergestalt, daß sie der katholische Familienverband empfehlen würde.
Modernciné zählt zu den jüngsten und spannendsten Filmproduktionsfirmen US-amerikanischer Provenienz, obwohl sie bis jetzt ausschließlich im Low Budget-Bereich operiert. Das Hauptaugenmerk liegt - Sie ahnen es - auf dem Genrefilm (Horror), aber es bekommen auch andere Filmkonzepte ihre Chance.
Das Label ist eng mit dem Regisseur und Mastermind Andrew van den Houten verbunden. Auf der Homepage heißt es:
"MODERNCINÉ is dedicated to making high-quality films by telling stories that are edgy and groundbreaking. The only limit we place on ourselves is to avoid clichés and complacency in favor of original ideas and memorable performances. We strive to maintain a profit-driven business by entertaining both domestic and international audiences."
Soweit, so bescheiden. Van den Houten, Jahrgang 1979, stand schon als Teenager für Werbespots in seiner Heimatstadt New York vor der Kamera. Als Stand-up Comedian durfte er sich bald lokalen Ruhmes erfreuen; doch so richtig los ging es bei ihm erst, als er - mittlerweile Student des Emerson College in Boston - seinen Debutfilm produzierte (und auch gleich eine Rolle darin übernahm): Alma Mater, eine reichlich abgründige Lovestory im Akademikermilieu der 60er Jahre, erhielt 2002 den Pubikumspreis beim Austin Film Festival.
Im selben Jahr sollte auch Moderncinés erste Produktion das Licht der Leinwände erblicken: der Kurzfilm Inherent Darkness and Enlightenment; van den Houten übernahm Produktion, Drehbuch und Regie. Die Firma, gegründet von ihm und seinem Kompagnon William M. Miller, wollte mehr sein als bloß ein weiterer, typischer Independent Label: sie sollte ihm ebenso wie den Kollegen Raum geben für die eigenen Kreativität (samt Begeisterung für den Film), und das auf einer halbwegs soliden finanziellen Basis.
"Ohne den schöpferischen Part bin ich bloß jemand, der einen Filmschul-Abschluß hat und mehr oder weniger gescheit über Filme redet", erklärt er im EVOLVER-Interview (hier ungekürzt und im Original nachzulesen). "Wenn mir das Freude gemacht hätte - das Schreiben über Filme, oder das Lehren von Film in einem universitären Umfeld - wäre das auch wunderbar gewesen. Aber ich habe ja holländisches Blut in mir. Und Menschen, die dieses holländische Erbe in sich tragen, sind nun einmal Händler, die nicht eine Sekunde still sitzen können." Und, als Nachsatz: "Von Kindheit an wollte ich die Dinge, die ich schaffe, auch verkaufen."
Eine gesunde merkantile Geisteshaltung, die wohl diametral zur Gesinnung ausschließlich subventionierter Filmemacher steht; gerade in unseren Breiten scheint man ja nachgerade stolz darauf zu sein, wenn sich keine Sau für die Elaborate interessiert. Obwohl, so ganz ohne staatliche Förderung geht's auch in God's Own Country nicht - doch dazu später.
Der Experimentalfilm "Inherent Darkness and Enlightenment" thematisiert anhand dreier sehr unterschiedlicher Personen, die auf einer Parkbank zu sitzen kommen, die rasche Be- und Verurteilung anderer, ohne jene Anderen wirklich zu kennen. Blockbuster sehen anders aus; trotzdem war diese 35mm-Produktion ein nachhaltiger Einstieg ins Filmbusiness.
Nach Abschluß des College ging van den Houten zurück nach New York. Es folgten diverse - preisgekrönte - Kurzfilme (und einigen Werbespots zum Sich-über-Wasser-Halten); seine Sympathie für den Horrorfilm machte sich bemerkbar.
Headspace hieß 2005 der erste abendfüllende Streifen von Modernciné, bei dem van den Houten erneut selbst Regie führte. Mehrfach ausgezeichnet beim New York City Horror Film Festival und Gewinner des Best Horror Movie Awards bei der World Horror Convention in San Francisco, erzählt "Headspace", mit Christopher Denham und Olivia Hussey in den Hauptrollen, die Geschichte eines begabten und hochintelligenten jungen Mannes, dessen Eltern mörderischen Gelüsten frönen.
Man blieb dem Genre treu. 2007 kam Jack Ketchum's The Girl Next Door heraus (dt.: "Jack Ketchum's Evil"), basierend auf dem gleichnamigem Bestseller um die sehr eigenwilligen Erziehungs- beziehungsweise Strafmethoden einer Pflegemutter. 2009 folgte eine weitere Ketchum-Adaption: der Kannibalenthriller Offspring (dt.: "Beutegier"). Zu beiden Filmen gibt es übrigens Reviews im EVOLVER nachzulesen - siehe unten.
Bei Home Movie (ebenfalls 2009) führte Christopher Denham Regie. Der Streifen mit Adrian Pasdar in der Hauptrolle zeigt den zum Teil ziemlich drastisch geschilderten Zerfall einer Familie. Und mit Made for Each Other (R.: Daryl Goldberg) gab es zur Abwechslung einen Musik/Tanz-Film, der auch ganz ohne Blut & Beuschl auskam; mit Christopher Masterson und Bijou Philipps (sowie dem 60er/70er-Veteranen George Segal in einer Nebenrolle).
Dieser Ausichtung will sich das Duo van den Houten / Miller in Zukunft verstärkt widmen: Filmen, die sie sich sozusagen auch mit ihren eigenen Familien anschauen könnten. Vielleicht muß dann auch nicht mehr so viel Geheimnis um das Modernciné-Hauptquartier gemacht werden; derzeit heißt es dazu ausweichend: "Wir haben unser Büro in Manhattan auf der Upper West Side. Ich will da keine exakten Details angeben, um noch mehr gehässige Post zu verhindern, von der wir für unsere Ketchum-Filme schon genug bekommen. Okay, wir kriegen auch sehr viel Lob dafür, aber man weiß ja nie, wer das hier gerade liest ..."
Überhaupt scheint das Produzieren von Horrorstreifen gar nicht so lustig zu sein. Wer zum Beispiel im Staate Michigan einen Film mit Fördergeldern drehen will, muß sich für die finanzielle Zuwendung nicht nur Fragen zum voraussichtlichen Erfolg gefallen lassen. Als sich herumsprach, daß in "Offspring" die Kinder der Kannibalensippe nackt herumlaufen sollten - wie es der Buchvorlage entsprach -, war prompt Feuer am Dach. Das von Jack Ketchum selbst verfaßte Skript mußte umgeschrieben werden, sodaß wir nun die lieben Kleinen in züchtig-pittoresker Fellkleidung bewundern dürfen.
"So sieht's also aus", meint Andrew van den Houten heute. "Ich mache Low Budget-Filme und gestalte diese Marke Modernciné mit zwei Dollar, ein paar Zündhölzern und einer Kiste Corona."
In diesem Sinne wünschen wir ihm und dem Label: Prost! Und möge uns die Firma noch lange mit ebenso eigenwilligen wie sehenswerten Produktionen erfreuen.
Thomas Fröhlich
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