Bob Dylan - Shadows In The Night
Smi Col/Sony Music 2015
Im heurigen Dezember wäre Frank Sinatra 100 Jahre alt. Den erfolgreichsten Sänger des vergangenen Jahrhunderts werden in den nächsten Monaten wohl viele Kollegen ehren. Zwei tun das bereits jetzt: Max Neissendorfer und Bob Dylan nähern sich dem Ausnahmesänger - und der EVOLVER bringt die beiden Künstler zusammen. 26.02.2015
Robert Allen Zimmermann aus Duluth/Minnesota, besser bekannt als Bob Dylan, wird im Mai 74 Jahre alt, Maximilian Neissendorfer aus München/Oberbayern zwei Monate vorher 58. Die beiden Männer blicken auf lange Karrieren zurück. Der eine revolutionierte die Folkmusik, der andere ist als Jazzsänger und -pianist erfolgreich - und beide tun, was sie wollen. Während Dylan in den letzten paar Jahren (hier und hier nachzulesen) seine Storys unter anderem in sehr modern klingenden Blues verpackt und eine wirklich witzig-kluge Radioshow in die Welt gesetzt hat, unterrichtet der andere hoffnungsvolle Talente an der renommierten Neuen Jazzschool München. Und seit einigen Jahren beschäftigt er sich als Teil der Sinatra Tribute Band mit den Songs, die Frank aus dem großen amerikanischen Liederbuch genommen und genial interpretiert hat. Dylan wiederum, der als Forscher nach den uramerikanischen Musikwurzeln sucht, verleibt sich nun zehn zum Großteil eher unbekannte Lieder aus dem Sinatra-Œuvre ein.
Ortstermin: München-Großhadern
Wir treffen uns im Haus von Max Neissendorfer, der Dylans CD auf seiner feinen, alten Anlage anhören wird. Vorher jedoch wird "Shadows In The Night" in Augenschein genommen: "Das Cover orientiert sich an den klassischen LPs des Blue-Note-Labels aus den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren", stellt Neissendorfer fest. Und: "Dylan hat sich für das Bild eigens die Haare färben lassen. Richtig jung sieht er aus, aber der Schrifttyp ist seltsam. Das 'Night' sieht wie 'Nicht' aus." Nun, ob das ein Omen ist?
An "Nicht" dürften Dylans Graphiker aber wohl kaum gedacht haben. Neissendorfer setzt zwecks besseren Durchblicks die Sonnenbrille auf, gießt sich ein Glas Merlot ein und möchte zuhören. Doch zu den Klängen von "I´m A Fool To Want You" kommt seine Frau ins Wohnzimmer. Sie kennt praktisch jeden Ton, den Frank Sinatra je aufgenommen hat. Nach zwei Minuten wendet sie sich mit deutlich artikuliertem Unmut ab und verschwindet in ihre Kemenate. Ich gebe ihr noch ein paar Infos mit auf den Weg: Die Dylan-CD werde gerade überall, ob vom "Spiegel" oder dem "Heute Journal", hymnisch besprochen - aber das schert sie wenig. Also, auf ein Neues ...
Erster Song: "I´m A Fool To Want You"
"Mein erster Eindruck: Das ist ziemlich schräg, ich werde mich wohl betrinken müssen, wenn ich das überstehen will. Aber im Ernst: Es ist ungewöhnlich, was Dylan da macht. Es klingt ein wenig nach Tom Waits und dabei so altmodisch, daß es doch zu meiner Marantz-Anlage von 1834 paßt. Die Instrumentierung verstehe ich allerdings nicht, das klingt nach 'Country-Music meets keine Ahnung was'. Vielleicht wie eine Moritat von Brecht und Weill, aber da ist ja noch diese Hawaii-Gitarre, die gab´s bei Weill nicht. Ach - und der Gesang. Wahrscheinlich würde man Dylan raten, zum Hals-Nasen-Ohrenarzt zu gehen, wenn er nicht Dylan wäre. Sinatra hätte gesagt, der hat ein Schnapsglas verschluckt. Das war zumindest sein Kommentar, wenn er selber heiser und unpäßlich war."
Zweiter Song: "The Night They Called It A Day"
"Unglaublich. Dylan versucht wirklich ein wenig wie Frank zu klingen, aber er zieht die Vokale zu lang, da war Frank viel variabler, hat dem Text so seine eigene Haltung gegeben - und es war souverän und entspannt. Halt, was ist das? Eine Posaune? Oder gar zwei? Aber da muß man vorsichtig sein, am Schluß sind´s sogar drei. Was macht die Posaune denn da überhaupt? Wo doch der Rest so dünn instrumentiert ist ... Irgendwie klingt´s nach 'u-u-u-u-u-u'. Die Nacht wird damit auf jedem Fall nicht zum Tag, man möchte sanft entschlummern."
Dritter Song: "Stay With Me"
"Und wieder diese Gitarre, damit habe ich echt ein Problem. Es spricht nichts dagegen, die Stücke in kleiner Besetzung aufzunehmen, aber diese Steelguitarre paßt so gar nicht zum Inhalt des Liedes. Ach, Dylan singt nicht direkt falsch, aber eben auch nicht richtig. Entweder ist es Absicht, oder er kann es einfach nicht besser. Im Gesangsunterricht würde ich mit ihm erst einmal grundlegende Stimmentwicklungsübungen machen. Man muß Dylan aber zugutehalten, daß er gar nicht erst versucht, das Vorbild zu kopieren. Das ginge auch gar nicht. Jeder Künstler kann sich Sinatra nur auf die eigene Weise nähern. Die Frage ist dann aber, ob man das unbedingt veröffentlichen muß."
Vierter Song: "Autumn Leaves"
"Das Lied entstand ursprünglich für den Film 'Pforten der Nacht' mit Yves Montand. Der Text ist, glaub´ ich, an ein Gedicht von Jacques Prévert angelehnt. Aber es wurde seit den vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts so oft aufgenommen, daß ich einfach 'Hat´s des braucht?' fragen muß. Wer die Versionen von Nat 'King' Cole, Doris Day oder Sarah Vaughan hört, kann sich die Antwort selber geben. Die hatten aber auch keine Stimmbandentzündung ..."
Fünfter Song: "Why Try To Change Me Now"
"Das ist jetzt wirklich nicht schlecht. Seine Stimme klingt hier ziemlich anders als bei den Stücken vorher. Vielleicht hat er Cortison gekriegt, aber das hilft bei chronischen Leiden ja nicht mehr, oder? Aber der Hawaii-Sound zieht sich weiter durch die Lieder. Fast wie in Elvis-Filmen aus den sechziger Jahren, nur halt viel getragener, denn bis jetzt verzichtet Dylan auf Stimmungs- und Tempowechsel. Deshalb fällt der Honolulu-Style hier besonders auf."
Fortsetzung folgt ... Freuen Sie sich jetzt schon auf Teil 2!
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