Stories_Maria Magdalena in der Popkultur, Pt. 1
"This is my Blood"
Rechtzeitig zu Jesu Geburtstag beschäftigt sich Marcus Stiglegger mit der Darstellung Maria Magdalenas in der Populärkultur: vom deutschen 80er-Jahre-Pop über die Theorien von "Der heilige Gral und seine Erben" bis hin zum "Magdalena-Evangelium".
24.12.2008
1. Wiederkehr im Pop
Von Zeit zu Zeit wird man in den populären Medien Zeuge einer erstaunlichen Wiederkehr: Rekurrierend auf die symbolische Kraft traditionell etablierter Ikonen, erleben diese auf unterschiedliche Weise ihre Erneuerung. Erinnert sich noch jemand an Sandras mädchenhaften Popsong "Maria Magdalena" aus den 80er Jahren? Hier war es ein Bezug ex negativo, der sich auf die christliche Ikone bezog: "I´ll never be Maria Magdalena/(you´re a creature of the night)/Maria Magdalena/(you´re a victim of the fight)/(you need love)/promise me delight/(you need love)." Tatsächlich aber war ein popkultureller Bezug schon Mitte der Achtziger nicht unerwartet.
Wenige Jahre zuvor hatten Henry Lincoln, Michael Baigent und Richard Leigh ihr populärwissenschaftliches Werk "The Holy Blood and the Holy Grail" ("Der heilige Gral und seine Erben", 1982) veröffentlicht, das ganz explizit den Mythos nährt, Maria Magdalena sei tatsächlich die Geliebte von Jesus gewesen und habe dessen Kind (entsprechend also dessen Blut) auf ihrer Flucht nach Frankreich getragen, wo die königliche Blutlinie, das sang réal, zum san graal, dem heiligen Gral, umbenannt wurde.
Die Autoren führen aus, daß es sich bei den Hütern des Geheimnisses um die Prieuré de Sion handle, die die Erbfolge Maria Magdalenas durch das Geschlecht der Merowinger hindurch aufgezeichnet und bewahrt hätten. Später allerdings gab Pierre Plantard - der angeblich letzte amtierende Großmeister der Prieuré - dann zu, den Geheimbund selbst mitkonstruiert zu haben. Als Dan Brown seinen Roman "The DaVinci Code" (2003) verfaßte, orientierte er sich an zahlreichen Thesen, verwies gar explizit auf dieses Buch und gestaltete einige Figuren nach dessen Autoren. Die Autoren von "The Holy Blood and the Holy Grail" klagten ihn daraufhin des Plagiats an, was jedoch abgewiesen wurde. Sie gaben dabei zugleich zu, daß ihre Thesen fiktiv sind beziehungsweise sein könnten.
Ein weiterer Impuls folgte 1988, als es Martin Scorsese und seinem Autor Paul Schrader endlich gelang, das lange vorbereitete Projekt "The Last Temptation of Christ"/"Die letzte Versuchung Christi" nach dem gleichnamigen Roman von Nikos Kazantzakis (1951) zu inszenieren. Jesus (Willem Dafoe) wird darin in Versuchung geführt, seine Mission als Sohn Gottes und Erlöser aufzugeben und stattdessen ein bürgerliches Ehe- und Familienleben mit Maria Magdalena (Barbara Hershey) zu beginnen. Er malt sich diese Vision detailliert vor seinem geistigen Auge aus. Letztlich widersteht er aber erfolgreich und tritt den Weg in den Märtyrertod an.
Bemerkenswert ist der Umstand, daß Maria hier als Prostituierte arbeitet, was jedoch als christliche Umdeutung bekannt ist. Tatsächlich war sie Jesus aktivster weiblicher Jünger, und es wird vermutet, daß man mit ihrer Darstellung als Prostituierte den Ruf der Kirchengründerin nachträglich habe schädigen wollen.
2. Maria Magdalena in biblischen Quellen
Maria Magdalena war also ein weiblicher Jünger und zugleich Zeugin der Kreuzigung. Als solche wird sie in allen vier biblischen Evangelien erwähnt. Sie stammt aus Magdala, einer kleinen Stadt am Westufer des Sees Genezareth, woher sich ihr Name ableitet. Über ihr Alter und ihren Familienstand weiß man wenig. Das Lukas-Evangelium berichtet allerdings, Jesus habe sie von "sieben Dämonen" befreit (Lk 8,2), woraufhin sie ihm zusammen mit anderen Frauen von Galiläa aus gefolgt sei. Ihre Präsenz bei der Kreuzigung, der Kreuzesabnahme und der Grablegung wird in unterschiedlicher Ausführlichkeit berichtet (Mk 15,40ff.; Joh 19,25ff.). Die sogenannten synoptischen Evangelien Markus, Matthäus und Lukas führen zudem aus, Maria Magdalena sei zusammen mit anderen Frauen am Morgen nach dem Sabbat zum Grab Jesu gegangen, um den Leichnam mit wohlriechenden Ölen einzubalsamieren (Mk 16,1f.). Dort habe sie jedoch nicht den Leichnam vorgefunden, sondern sei einer Gesandtschaft Gottes begegnet: "Erschreckt nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden; er ist nicht hier" (Mk 16,6). Die Engel beauftragen die Frauen, diese Nachricht den anderen Jüngern zu überbringen.
Hier trennen sich die Überlieferungen: Im Markus-Evangelium schweigen die Frauen aus Furcht, im Matthäus- und Lukas-Evangelium berichten sie den Aposteln davon, stoßen jedoch auf Unglauben. Im Schlußteil des Markus-Evangeliums erscheint Jesus Maria Magdalena (Mk 16,9).
Bemerkenswert ist das Johannes-Evangelium (Joh 20,1-10), worin Maria Magdalena alleine zum Grab kommt und es leer vorfindet. Später begegnet ihr Jesus, den sie zunächst für einen Gärtner hält. Er verkündet, daß er nun zu seinem Vater gehen wird, was sie den anderen Jüngern mitteilt. Diese Begegnung zeigt, daß Jesus nun auf neue Weise lebt. Wenn im Neuen Testament die Namen der Frauen genannt werden, die sich in Jesus Gefolgschaft befinden, wird Maria Magdalena stets an erster Stelle genannt, was ihre Bedeutung als Jüngerin und wichtige Persönlichkeit der Urkirche belegt. Später erhielt sie daher den Titel apostola apostolorum ("Apostelin der Apostel").
Erst mit den Texten der Kirchenväter verändert sich das Bild Marias nachträglich. Gregor I. (540-604) etwa kombiniert Maria Magdalena mit der namenlosen Büßerin aus dem Lukas-Evangelium (Lk 7,36-50) sowie mit Maria von Bethanien, der Schwester von Martha und Lazarus, und bezeichnet sie explizit als Prostituierte. Später werden Bezüge zu der bekehrten Prostituierten Maria von Ägypten und der Samariterin am Jakobsbrunnen (Joh 4) geknüpft. Diese Verschmelzung unterschiedlicher Figuren führt zu der verbreiteten Lesart, Maria Magdalena als eine gefallene und von Jesus errettete Person darzustellen, ein Bild, das vor allem in Mel Gibsons Spielfilm "The Passion of the Christ" wieder popularisiert wurde, obwohl es bereits 1969 als offiziell wiederlegt galt.
Über Marias Verbleib gehen die Quellen auseinander. Tatsächlich soll sie als Missionarin in Frankreich aufgetaucht sein, woraufhin später zwei Wallfahrtsorte, Vézelay in Burgund und St-Maximin-la-Ste.-Baume in der Provence, entstanden. Die griechischen Quellen jedoch verorten ihr Grab in Ephesus.
Noch vor der ersten Jahrtausendwende entstanden Orden und Kulte, die der Magdalenen-Verehrung gewidmet waren. In Frankreich gründeten sich später einige Gemeinschaften, die sich der Resozialisierung von Prostituierten widmeten, was zeigt, wie etabliert das Bild der angeblichen Prostituierten Magdalena war. Nichtbiblische Quellen, etwa das Philippus-Evangelium und das Thomas-Evangelium, bezeichnen Maria Magdalena gelegentlich als Gefährtin Jesus, die ihn ständig begleitete habe und die er zu küssen pflegte. Daraus ist jedoch keine explizit sexuelle Dimenson abzuleiten.
3. Maria Magdalena in der Kunst
Magdalenenbildnisse in der Kunst beziehen ihre Ikonographie meist aus der Interpretation, die in ihre jene Frau sieht, die Jesus Füße salbt. Daher wird sie nicht nur als Trauernde unter der Kreuzigungsgruppe dargestellt, sondern vor allem auch zu seinen Füßen oder aber alleine mit einer Salbenbüchse und prächtigen Gewändern. Ähnliches gilt für die Malerei, die sich vor allem auf Maria Magdalenas Begegnung mit dem auferstandenen Christus, die Magdalenensekunde, konzentriert, oder aber - in Verbindung mit der synonym gesehenen Maria von Bethanien - die "Erweckung des Lazarus".
Die unterschiedliche Interpretation der Marienfigur ist dann auch in den folgenden Jahrhunderten bestimmend für die jeweilige Ikonographie: Oft findet man die Salbenbüchse als Symbol für die geläuterte Sünderin, die büßt, indem sie Jesus die Füße salbt. Vor allem in Italien herrscht eine Interpretation vor, die an Maria von Ägypten anknüpft und Maria Magdalena als haarummantelte Büßerin und Eremitin darstellt. Im Barock wird sie als jugendlich schöne Büßerin dargestellt, die in einer Grotte zu leben scheint und reichhaltige Symbole vorweist: vom Totenschädel und dem Kreuz (den Golgatha-Symbolen) über ein Weihrauchgefäß, eine Geißel, einen Palmenzweig bis hin zu Teufelsköpfen oder Musikinstrumenten.
In der nachbiblischen Literatur taucht sie gelegentlich als zentrale Figur auf, etwa in Friedrich Hebbels Drama "Maria Magdalena" (1844) oder Luise Rinsers Roman "Mirjam" (1983), wobei sich auch hier hartnäckig das Bild der büßenden Sünderin hält. In Rinsers Darstellung, die Jesus aus Sicht Maria Magdalenas schildert, sind deutliche feministische Züge bemerkbar. Patrick Roth schildert in "Magdalena am Grab" (2003) die Begegnung mit dem Auferstandenen als Erkenntnis von dessen göttlicher Herkunft, die Magdalenensekunde. Besondere Bedeutung aber erlangte die Figur Maria Magdalena vor allem in der Belletristik der vergangenen Dekade. Kathleen McGowan erzählt in "Das Magdalena-Evangelium" (2006) deren Geschichte als Witwe von Johannes dem Täufer, von dem sie ein Kind hat, und später als Jesus Gefährtin. Auch aus dieser Beziehung gehen zwei Kinder hervor. McGowan bezieht sich in ihren Quellen auf dubiose mündliche Überlieferungen, was an die teilweise erfundenen und konstruierten Quellen anderer Blutlinie-Interpretationen erinnert, auf die sich auch Dan Brown und Peter Berling in seinen Gralsromanen (1991ff.) berufen.
Fortsetzung folgt ...
Lesen Sie im zweiten Teil über Marien-Darstellungen im Film: von Scorseses "The Last Temptation of Christ" über Abel Ferraras "Mary" bis hin zu "The Da Vinci Code".
Marcus Stiglegger
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