Stories_Rokko´s Adventures im EVOLVER #80

Antennengitarre

Im Café Oto in London fand Ende Februar 2014 ein zweitägiges Festival mit Schwerpunkt auf Japans Experimental-Acts - darunter JOJO Hiroshige, T. Mikawa, Kamin Shirahata, Doravideo, Miho Wakabayashi, Atsuhiro Ito und Makoto Kawabata - statt. Letzteren kennt man als Mastermind der abgespaceten Institution Acid Mothers Temple. Und genau mit ihm führte Rokko ein Interview.    22.04.2015

Rokko´s Adventures ist - so steht es im Impressum - eine "unabhängige, überparteiliche sowie übermenschliche Publikation" und "setzt sich mit Leben, Kunst, Musik und Literatur auseinander". Der EVOLVER präsentiert (mit freundlicher Genehmigung) in regelmäßigen Abständen ausgewählte Beiträge.

 

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Makoto Kawabata wirkt extrem gelassen, obwohl er schon seit Stunden hier ist und es keinen Backstage-Raum gibt, in den er sich zurückziehen könnte. Was andere Musiker um ihre Nerven bringen würde, steckt er ruhig lächelnd weg und steht bescheiden zwischen den Zuschauern. Kurz vor seinem Auftritt gehen wir völlig entspannt vor die Tür, und er beantwortet die Fragen draußen in der stillen Kälte. Nichts kann ihn aus der Ruhe bringen, und er ist gleichzeitig sehr fokussiert, auch wenn er mich im vorhinein schon gewarnt hat, daß er nicht gut Englisch sprechen würde:

 

Rokko: Wann bist du in London angekommen?

Makoto Kawabata: Heute nachmittag, so um 14.30 Uhr.

 

R: Ist es für dich schwierig, dich hier ohne Backstage-Raum zu entspannen, zwischen den Leuten auf deinen Gig zu warten?

MK: Nein, ich hab´ damit kein Problem. Ich bin in der Gegend rumgelaufen, da kenn ich ein paar Orte ...

 

R: Was hältst du von Nächten wie diesen? Haben die Acts irgendwas gemeinsam, außer daß sie von derselben Insel kommen?

MK: Heute sind die meisten aus Tokio, über die weiß ich nicht viel. Ehrlich gesagt, interessieren mich bei weitem nicht alle hier - aber so geht es wohl jedem. Und ich kenn´ mich mit der Tokio-Szene nicht besonders gut aus.

 

R: Du bist nach wie vor in Osaka.

MK: Ja, und die Musiker heute nacht sind eher noisig. Ich bin kein Noise-Musiker.

 

R: Ist die Akzeptanz für deine Musik in Europa größer als in Japan?

MK: Ja, besonders hoch ist sie in Amerika und Europa. Ich bin in Japan mit keinen Medien in Kontakt. Auch wenn ich eine Interviewanfrage bekomme, lehne ich sie dort immer ab.

 

R: Wieso das?

MK: Ich traue niemandem in den japanischen Medien, da hab´ ich schon so viele schlechte Erfahrungen gesammelt, die respektieren keine Musiker. Ich hab´ früher Interviews gegeben, aber die haben sie dann so editiert, daß etwas ganz anderes rausgekommen ist und im Endeffekt nur Mißverständnisse und falsche Informationen für den Leser dastanden. Ich traue ihnen nicht.

 

 

R: Aber bei mir z. B. kannst du gar nicht kontrollieren, ob es stimmt, was ich schreibe - das wird alles auf deutsch erscheinen. [lacht]

MK: Ja, aber ich vertraue dir - im Gegensatz zu japanischen Medien. [lacht]

 

R: Du hast einmal gesagt, daß jeder Sound bereits im Universum existiert. Hast du manchmal den Drang, einen neuen Sound zu erzeugen, den es davor noch nicht gegeben hat?

MK: Nein, weil das nicht möglich ist. Ich höre dauernd Klänge, ich kanalisiere ständig; dagegen kann ich mich gar nicht wehren.

 

R: Was passiert, wenn du dir Ohrenstöpsel reinsteckst?

MK: Das mache ich nie, das kann ich nicht. Einer der schönsten und wichtigsten Aspekte von Musik ist, daß sie genau in dem Moment passiert - und dann ist sie weg. Jetzt können wir sie zwar aufzeichnen, doch der Moment ist vorbei. Das ist anders als bei anderen Kunstsparten, etwa der Malerei. Deswegen habe ich Musik gewählt: sie existiert nur für den einen Moment. Man kann auch nicht zweimal dasselbe Stück spielen.

 

R: Hat das auch mit dem stets wechselnden Publikum zu tun? Interagierst du bei Konzerten?

MK: Das Publikum gibt mir bestimmte Energien, eine bestimmte Atmosphäre. Ich spiele Musik, weil ich die Menschen glücklich machen will. Ich will mit dem Publikum kommunizieren. Bevor ich auf die Bühne gehe, hab´ ich keine Ahnung, was ich spielen werde. Erst wenn ich oben bin und das Publikum sehe und fühle, entscheidet sich das.

 

R: Nehmen wir die Show heute nacht: Was weißt du darüber, was du machen wirst?

MK: Gar nichts, außer daß ich eine Gitarre habe. Aber was ich damit mache, ist noch völlig unklar. Erst wenn ich auf die Bühne gehe, kann ich das kanalisieren.

 

R: Du hast einmal gesagt, daß dich Karlheinz Stockhausen und Musique concrète positiv schockiert hätten. Suchst du noch immer nach solchen Schocks und Überraschungen?

MK: Nein, das war nur für den Moment: Ich hörte diese Geräusche und dachte mir anfangs, daß da vielleicht ein UFO mit mir kommunizieren würde. Aber dann fand ich raus, daß das Musik war - und seitdem ist die Schockwirkung ein für allemal weg.

 

R: Hörst du viel neue Musik?

MK: Nein, ich höre Musik nur bis 1982. Natürlich hab´ ich Musik aus den 1990ern auch ausgecheckt, aber da fand ich mich nie in einer extremen Atmosphäre wieder - es war langweilig. Ich suche gute Musik aus der Vergangenheit, die ich noch nicht kenne, und gehe in Plattenläden. Das hab´ ich heute getan, das hab´ ich gestern getan.

 

R: Warum, glaubst du, gibt es keine Musik aus den vergangenen 20 Jahren, die für dich interessant klingt?

MK: Wahrscheinlich, weil nichts passiert ist. Nachdem Punk dem Prog-Rock und Jazzrock gezeigt hatte, daß man keine Technik zum Spielen braucht, hat es zwar wunderbare Szenen gegeben, aber das war sozusagen die letzte Antwort; danach konnte jeder Musik spielen. Danach ist nichts mehr passiert, weil plötzlich alles möglich war. Wenn Leute das Recht haben, alles zu tun, dann können sie nichts mehr machen.

 

 

R: Du durchsuchst also die Musikgeschichte nach spannendem Material. Gibt es ein Feld, das dich gerade besonders beschäftigt?

MK: Ich weiß einfach, daß es noch extrem viel gute Musik gibt, von der ich keine Ahnung habe. Derzeit suche ich nach guter Country & Western-Musik. Ich hab´ Vorstellungen, wie die klingen soll, hab´ sie aber noch nicht gefunden.

 

R: Verwendest du dazu das Internet?

MK: Nicht wirklich. Ich will Musik im Leben finden, als Happening, in einem Plattenladen oder im Radio. Das Internet ist kein Happening - es ist eine Suchmaschine.

 

R: Du gehst lieber in einen Plattenladen und sagst: "Ah, das Cover sieht interessant aus - gekauft."

MK: Ja, genau. Das macht auch mein Leben interessanter.

 

Nun wird Makoto Kawabata ins Café Oto gerufen, sein Konzert soll beginnen. Was folgt, ist eine kühne Kanalisierung seiner Umgebung: Am Anfang gebraucht er die mit zahlreichen Effektpedalen gekoppelte E-Gitarre als Streichinstrument, dann donnert er Noise-Flächen über geloopte Melodiebögen, die eine ästhetisch sehr interessante Dialektik zwischen Lärm und Harmonie entstehen lassen. In diesem Spannungsfeld dient ihm die Gitarre nicht zur Penisverlängerung, sondern als sensible Antenne.

Und kaum wagt es der erste Zuschauer, auf die Uhr zu sehen, ist es auch schon wieder vorbei. Das Arbeitsverhältnis wird aufgelöst, wenn es am schönsten ist.

Rokko’s Adventures

aus: Rokko´s Adventures #14


Text: Rokko

Photos: Charla_Margarita

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