Verlag Wortreich
Stories_Geschenktips für das Christkind
Alle Jahre wieder
Claudia Jusits ist zwar etwas aus der Übung, was Briefe an das Christkindl betrifft - beschwört den Geist der diesjährigen Weihnacht aber mit einigen Werken, die sie selbst geschenkt bekommen hat. Motto: gepflegter Kontrollverlust. Sollte ihr (und uns) das zu denken geben? 23.12.2015
Allerliebster Friedensfratz,
hm, das ist vielleicht ein etwas unfreundlicher Beginn - und für Deinen kommenden Geburtstag am 24. 12. nicht angemessen. Du weißt, weil Du ja vorgibst, alles zu wissen, daß ich es mit der Religion nicht so habe, außer mit einem gewissen Sportverein, der die Farben Grün und Weiß trägt.
Ich will Dir in spirituellen Fragen nichts dreinreden; ehrlich gesagt, interessiert mich das auch nicht besonders. Ich gehe da eher nach dem Motto vor: Der Glaube versetzt Berge von Menschen unter die Erde. Klingt also nicht erstrebenswert, aber da werden wir uns wohl nicht einigen.
Ich komme jetzt zu meinem Anliegen. Gesetzt den Fall, daß auch Du ein wenig die Panik bekommst, und bevor Du unsinnigerweise in Quasi-Last-Minute-Ramsch investierst, hier ein paar, so glaube ich, brauchbare Alternativen:
Da wäre zum Beispiel die neueste Scheib´n von den Rotzpipn. Nicht, weil sie assoziativ an Dich erinnert (na ja, vielleicht ein bisserl), und der Titel "Das Dümmste Gericht" ist ja wirklich gut gewählt, so wie die ganze CD ausgesprochen lustig ist. Das Simmeringer Faustwatschenorchester macht seinem Namen alle Ehre und verteilt herzhafte Rundumschläge zum Beispiel in Richtung Hausmeister und Polizisten, feiert aber mit derselben Authentizität die Wonnen des Alkoholabusus.
Empfehlen kann ich Dir auch die neue von Schandmaul, die ist nicht sooo lustig, eher neue deutsche Befindlichkeit, aber sehr unterhaltsam ohne Piefke-Peinlichkeiten. Zu den Spielmannsliedern und Schalmeienklängen gesellen sich auf "Unendlich" einige neue Stimmen, zum Beispiel Fiddlers Green und Georgij Makazaria von Russkaja. Über das Trinken wird auch hier gesungen, aber ein wenig gesitteter. Zusätzlich gibt es auch eine promillefreie Version für die Kleineren, die nennt sich "Schandmäulchens Abenteuer" und ist ein wirklich herziges Hörspiel mit schönen Geschichten und einem beigelegten Textbuch.
Eine schöne Geschichte erzählt auch Peter Wawerzinek, der aktuelle Stadtschreiber von Magdeburg, in seinem jüngsten Buch "Ich, Dylan, ich". Eine berührende Liebesgeschichte der besonderen Art, denn Wawerzinek klagt über den Verlust seines ganz persönlichen Dichterfürsten Dylan Thomas, den ihm kennenzulernen verwehrt blieb, da sich selbiger zu Tode gesoffen hat. Ein Jammer. Also heftet sich Wawerzinek auf die sich langsam verwischenden Spuren seines Idols in dessen walisischer Heimat und entdeckt immer wieder erstaunliche Parallelen in ihrer beider Trinkgewohnheiten.
Den Jammer kennt auch Paul, der Protagonist von Karoline Cvancaras Roman "Am Tiefpunkt genial": Paul, leidenschaftlicher Bücherfreak und Jazzliebhaber, findet sich plötzlich mit einer Reihe persönlicher Katastrophen konfrontiert, als da wären: Freundin weg, Arbeitsplatz weg, Hoffnung weg, also her mit Alkohol, Zigaretten, lauter Musik, was aber nur eine Zwischenlösung sein kann. Bald ist die Talsohle erreicht, und der Protagonist des Werkes fällt weiter - aber auf die Füße. Die Geschichte geht gut aus, mehr verrate ich nicht. Die Leiden eines Mannes aus der Sicht einer Frau geschrieben - das hat etwas sehr Reizvolles und zwar abseits aller Gender-Eigenartigkeiten.
Das mit den Happy-ends ist so eine Sache. Ein solches findet im Prinzip auch in "Über allem war Licht" von Magda Woitzuck statt, aber mit einer gehörigen Portion gruseliger Gänsehaut. Schließlich ist es nicht alltäglich, daß der Liebhaber die Leiche des Ehemanns beseitigt, während die Mörderin Kamillentee schlürft. Die Autorin schildert ein klassisches Dreiecksverhältnis mit tödlichem Ausgang, wobei die scheinbar harmlose und weltfremde Rosa eine erstaunliche Konsequenz entwickelt, sich des brutalen Ehemanns zu entledigen. Analog dazu sichert sie die Beziehung zu ihrem Geliebten ab, indem sie ihn zu ihrem Komplizen macht. Sie setzt ihn damit derselben Unentrinnbarkeit aus, die sie zu dem Verbrechen motiviert hat. Chapeau!
Weitaus verwirrender geht es bei Patricia Brooks zu, die in "Die Grammatik der Zeit" ebendiese schön langsam komplett aus den Fugen geraten und einen ebenfalls verlassenen Mann an den Rand seiner ganz individuellen Verzweiflung geraten läßt. "Kollabieren, aber richtig" lautet die Devise. Auch hier wird die Geschichte aus männlicher Sicht erzählt, dafür begegnet dem Ich-Erzähler die Tänzerin Carlos, die nicht nur ob ihres Männernamens für Verwirrung sorgt. Die Frage, die sich stellt: Gibt es eine Grenze zwischen Phantasie, Spiel und Wirklichkeit? Die Autorin bietet einige überraschende Antworten.
Alle vier Bücher sind im Wortreich-Verlag erschienen, Du weißt, ich habe bereits darüber geschrieben. Karoline Cvancara ist die Leiterin des Verlags und sehr sympathisch; außerdem trifft sich der Name gut mit meinem zweiten Motto: Edel sei der Mensch, wortreich und gut. Nein, im Ernst, die Sachen sind wirklich unterhaltsam und sehr zu empfehlen.
Ich hoffe, Dir einige wertvolle Anregungen geliefert zu haben, und verbleibe
mit freundlichen Grüßen,
Deine begeisterte Agnostikerin
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