Norken - Our Memories of Winter
ØØØ 1/2
Combination/Ixthuluh (GB 2005)
Der Mann der 1000 Pseudonyme meldet sich gleich mit zwei neuen Releases zurück. Ernst Meyer berichtet über Metamatics vulgo Norken vulgo Dance-Electronica-King Lee Norris. 07.03.2006
Wozu sollte man an einem einzigen Namen festhalten, wenn man soviel kann?
Mit seinem Projekt Metamatics vertritt Lee Norris eine jazzige, shuffelnde New School moderner Elektronik, mit seinen Alter egos Norken und nacht.plank kann er seine Dancefloor-Lust befriedigen.
Norkens drittes Album "Our Memories of Winter" liegt auf dem Teller. Was hat sich seit "Soul Static Bureau" geändert? Geblieben ist zunächst einmal die mäandernde Kompositionsweise, der schalenartige Aufbau der Songs. Ganz typisch schwingen Norris´ Soundscapes, immer an der Kippe zwischen Ambient und süßlichem Kitsch. Wehmütig kaskadiert er Molltöne und Harmonien in Pastell aneinander. Der gravierendste Unterschied zu "Soul Static Bureau" besteht in der Rhythmusprogrammierung. Das typische Shuffling des Musikers ist einem straighten "4 to the Floor" gewichen. Kaum verwunderlich, erscheint "Our Memories of Winter" doch auf dem deutschen Houselabel Combination Records, einem Ableger des mächtigen Carhart-Universums.
Selbstverständlich sind Norkens melancholische Nebelschwaden - wie gewohnt - von filigraner Schönheit. Lee Norris kann gar nicht anders, als ätherische Klangwelten zu erschaffen. Beim Zuhören kann es daher schon passieren, daß man in einen meditativen Geisteszustand abdriftet. "Memories", "Flirt", "It Might Have Been Rain" etc.: Da weiß man gleich, woran man ist.
Der einzige Song, der aus dem Rahmen fällt, ist "Folio", eine Hommage an IDM-Pioniere wie etwa B12 oder Blackdog. Genau das ist die Musik, mit der Lee Norris großgeworden ist. Immer wieder finden sich Querverweise darauf in seinen Arbeiten, denn Norris ist ein Elektronik-Adept der ersten Stunde.
Wie gesagt, House-Freunden sei Norkens "Our Memories of Winter" wärmstens empfohlen. Wer es gern anspruchsvoller hat, ist mit dem neuen Metamatics-Album allerdings besser beraten.
"3 Jak And Dive", Adam Lees sechstes Album unter dem Metamatics-Pseudonym, ließ bloß zwei Jahre auf sich warten. Mr. Norris überrascht seine Fans mit den feinsten Elektronica-Tracks seit seinem grandiosen "Lo Tinsel Workshop". Er schafft es spielend, sich kompositorisch von allen anderen Fricklern zu unterscheiden, da er es wie kein Zweiter versteht, seine Maschinen nicht nur zum Swingen, sondern geradezu zum Fühlen zu animieren. Abseits aller Laptop-Fetischisten vertraut er nach wie vor auf klassisches Studio-Equipment wie Akai-Sampler, Roland- und Korg-Hardware-Synths. Das allein sorgt schon dafür, daß Norris´ selbstkreierte gläserne Sounds niemals "Preset"-Charakter haben und über eine Durchsetzungskraft - vulgo Präsenz - verfügen, die heute nicht mehr allerorts üblich ist, von den ganz großen Elektronik-Kapazundern (Plaid, Matmos, Boards of Canada etc.) einmal abgesehen.
Nebenbei gibt es auch nur mehr eine Handvoll Musiker, die solch manisch "shuffelnde", lateinamerikanisch beeinflußte Percussion-Orgien überhaupt programmieren können. Lee Norris ist einer davon. Doch "3 Jak And Dive" hält noch mehr Überraschungen parat: "Free Robot", die Single-Auskopplung, ist Norris erste Synthpop-Komposition (sic!) überhaupt. Niemand Geringerer als John Foxx (dessen "Metamatics"-Album aus dem Jahre 1979 für Norris Projektnamen Pate steht) leiht diesem - sagen wir mal seltsamen - Song seine Stimme; allerdings fast unauffindbar unter multiplem "Vocoding" versteckt. "Free Robot" weist einen sehr geraden, eckigen Beat auf und fällt schon dadurch völlig aus dem sonst swingenden Rahmen des Albums. Mit übersinnlicher Zielsicherheit drapiert Norris seine Soundscapes um den wie ein betrunkener Zyklop taumelnden Rhythmus. Vielleicht ist dies Stück seine bisher feinste Arbeit.
"Saint Ever" zeigt dem Hörer einmal mehr einen Sonnenaufgang an der (englischen) Küste. An klaren Morgen sieht man Eisberge vorbeiziehen. Kühle Luft streicht über die Schläfen, und unser Leben gleitet im Rhythmus der Wellen dahin. Bald spüren wir auch die Sonne auf unserer Haut und verlieren uns endgültig in wohliger, melancholischer Harmonie. Es sind immer Norris´ erfundene "Instruments", die uns bei der Hand nehmen und in solch kühle Traumlandschaften führen. Dazu zählen seine wunderbaren schimmernden Drones, seine Flötenstreicher, Pianoglocken und Äolsharfen.
Wer wissen möchte, wo die musikalischen "Roots" von Lee Norris liegen, braucht nur genauer hinzuhören. Der Song "Manchester/Sheffield" könnte ohne weiteres von einer älteren Black-Dog-Scheibe stammen, etwa "Spanners" (1994), die sich zyklisch verkürzenden Rhythmusmuster, das Beschleunigen und gelegentliche Überdrehen der 16tel-Noten, ja, das war der Stoff, aus dem IDM gemacht wurde. Heute, zehn Jahre später, klingen solche Exkursionen aufgrund verbesserter Studiotechnik (24bit/96kHz) freilich noch funkelnder als damals.
Fazit: "3 Jak And Dive" ist ein ganz typisches Metamatics-Album, allerdings noch etwas raffinierter als sein Vorgänger ("Mind Mushing Git", 2003), und sollte in keiner gutsortierten Elektroniksammlung fehlen. Wer durch diese Platte Appetit auf mehr Metamatics bekommt, den erwartet überdies ein reichhaltiges Backorder-Angebot. Besondere Empfehlung.
Norken - Our Memories of Winter
ØØØ 1/2
Combination/Ixthuluh (GB 2005)
Metamatics - 3 Jak And Dive
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Hydrogen Dukebox (GB 2005)
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