Stories_Label-Porträts #6: Essay Recordings
Die Graz-Bucovina- Connection
"Alles verloren" nennt sich das neue Album von Binder & Krieglstein. Produziert wurde es von Shantel, dem Mastermind des Bucovina Clubs, auf dessen Essay Recordings es auch erscheint. Kami Kleedorfer hat hinter die Kulissen des deutschen Vordenker-Labels mit weltumspannendem Repertoire geblickt. 28.03.2007
"Ich hatte große Sehnsucht nach organischen Dingen", leitet der Grazer Rainer Binder-Krieglstein das Interview ein, in dem es aber nicht um Bioäpfel aus der grünen Steiermark, sondern um die Arrangements seines vor kurzem erschienenen Albums "Alles verloren" geht. Das von Stefan Hantel - besser bekannt als Shantel - produzierte Werk ist harmonisch-poppig und scheut weder volkstümliche Bläser-Arrangements noch TechHouse-Beats. Binder-Krieglstein: "Das Ergebnis sind elf Songs, die sich frei zwischen Pop und Folklore für Fortgeschrittene bewegen." Shantel ist innerhalb der Freestyle- und Worldmusic-Community kein Unbekannter, vor allem seit seinen Erfolgen mit dem Bucovina Club. Schon für das zweite Binder-&-Krieglstein-Album ("Trip", 2004) wurde der Song "Wir wissen nicht" von Shantel remixed.
Made in Styria
Daß Shantel und Rainer auf dieselben in der steirischen Landeshauptstadt lebenden Musiker zurückgreifen, hat die Graz-Bucovina-Connection zwischen den beiden nur weiter verstärkt. Nach einigen Gesprächen war klar, daß die nächste Binder-&-Krieglstein-Platte zur Gänze von Shantel produziert werden sollte. Der Wechsel zu Essay Recordings war danach nur mehr ein kleiner und logischer Schritt. Rainer produzierte über fast zwei Jahre neues Material vor, um es dann von Shantel finalisieren, also quasi remixen zu lassen. Als Shantel 2006 den "BBC World Music Award" gewann, war Rainer klar, daß der Zeitplan für die Fertigstellung des Albums durch Shantels noch stärkere Reisetätigkeit nicht halten würde. "Das Warten hat sich aber auf jeden Fall gelohnt, das Ergebnis kann sich sehen lassen", spielt Rainer auf die Verzögerung nach dem Rummel zufrieden an.
Shantels eklektische Klänge
Schon in den frühen 90er Jahren veranstaltete Stefan Hantel in Frankfurt Club-Events, die in der damaligen, von Techno-DJs geprägten Szene durch ihren Freestyle-Charakter auffielen. Aus dem "Lissaña Essay Club" entwickelte Shantel in weiterer Folge das Label Essay Recordings, das sich immer stärker auf elektronisch geprägte Ethno-Sounds konzentrierte. Zu dieser Zeit produzierte Hantel selbst noch für andere Labels wie !K7 Records oder Infracom. Mit den in den USA gesammelten Erfahrungen und Eindrücken wurde das Label im Jahr 2003 neu aufgestellt - und zwar mit einem klaren musikalischen Fokus. Label-Manager Jean Trouillet erklärt: "Wir positionieren Essay Recordings mit eklektischer Grundausrichtung als musikalische Drehscheibe zwischen Osteuropa und Südamerika. Der Bezug unserer Musiker zu ihren traditionellen Elementen ist für uns dabei sehr wichtig."
Mehr als Bongo und Blockflöte
Früher als andere griff Essay den Band-Gedanken auf; Club-Events und Live-Konzerte wurden zu einander ergänzenden Auftrittsmöglichkeiten. Dieses Konzept wird von den Künstlern des Labels auch konsequent umgesetzt: So waren im Februar der aus der Ukraine stammende Act OMFO (Our Man From Odessa) bzw. im März Boom Pam im Wiener Klub Ost mit ihren Live-Shows zu sehen. Darüber hinaus zählen auch die Balkan Beat Box und die Amsterdam Klezmer Band zu den Acts des Labels.
Südamerikanisches wurde in den letzten Jahren vor allem in Form von Compilations auf den Markt gebracht: Die beiden "Baile Funk"-Kopplungen spiegeln die rohe Energie der Vorstädte in musikalischer Form wider. Trouillet: "Die Bastardisierung der Musikgenres wird mit den Compilations schön auf den Punkt gebracht: 80er-Jahre-Electro, indianische Klänge und Sound Systems sind kein Widerspruch." Ähnliches gelte für die von Señor Coconut im Vorjahr veröffentlichte "Coconut FM"-Compilation: "Weltmusik ist für uns weit mehr als Sitar, Bongo und Blockflöte."
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