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© Maximilian Labenbacher & Armin Hell
Hängen Sie auch schon am Kabel? Armin Hell traf in einem entlegenen Winkel seines Gehirns auf Karl-Heinz Kabel - einen sonderbaren Herrn, der ihm ein obskures "Dossier" überreichte, das ein Beitrag zur demnächst erscheinenden, erweiterten Ausgabe von Klaus Ferentschiks "Kabelenzyklopädie" sein möchte. Sowas hat natürlich nur im EVOLVER Platz. 27.11.2017
Der Prof. Dr. Patafuß, ein Pinguin ersten Ranges, wandte sich einst im Adlerhof - einer gar wunderbaren Gaststätte - vertrauensvoll an mich. Mein Name, Karl-Heinz Kabel, dürfte den Gelehrten wahrscheinlich dazu motiviert haben. Er erzählte mir, daß er den Auftrag habe, eine Enzyklopädie zum Wort oder Begriff "Kabel" zu erstellen, wobei ich ihm in weiterer Folge in mehrerlei Hinsicht dienlich sein könne.
Wieder zu Hause angekommen, noch trunken von dieser waghalsigen Idee und mit dem Kabelvirus infiziert, zapfte ich noch in derselben Nacht den Kabelfernsehanschluß meines Nachbarn Ölmütz Üldegür an. Ich rechnete fix damit, daß in den Sendungen der verfügbaren Kabelfernsehprogramme in erster Linie von Kabeln die Rede sein würde. Aber weit gefehlt. Manchen Bezeichnungen kann man halt einfach nicht trauen. Ich verkabelte also meinen tragbaren Computer, um im Internetz Recherchen zu betreiben, während ich zugleich in meinem Gedächtnis und im weiten Land der Phantasie nach allen Worten grub, die ein "Kabel" enthalten oder enthalten könnten.
Einige Tage, nachdem ich sein Kabelfernsehkabel angezapft hatte, verschaffte sich Üldegür in meiner Abwesenheit Zutritt zu meiner Behausung, um sie zu verwanzen. Das bemerkte ich gleich nach meiner Rückkehr, weil mein hochsensibler koreanischer Wanzendetektor naturgemäß sofort anschlug und seine Lämpchen ekstatisch blinken ließ. (Außerdem lag dem Ölmutz seine Gebetskette auf dem Wohnzimmerboden ...) Das heimliche Interesse meines türkischen Nachbarn an der Kabelsache wunderte mich sehr und weckte meine Neugier. Leider war es mir aber nicht möglich, seine Behausung akustisch zu infiltrieren, weil bei denen immer wer daheim ist. Also nahm ich - verkabelt von den Fußknöcheln bis unter die Achselhöhlen - unser Gespräch bei meinem nächsten Besuch heimlich auf.
Um ihn aus der Reserve zu locken, berichtete ich dem Efendi - er spricht nur wenig deutsch und ich überhaupt kein türkisch - gestikulierend von meiner Teilnahme an einer wichtigen Forschungsarbeit über Kabelvokabeln. Seine Tochter übersetzte eifrig, und ich hoffte, zu neuen Kabelperlen zu kommen. Aber daraus wurde nichts. Wie sich herausstellte, war Ölmutz leider kein Kabelkundiger und ließ daher nichts Zweckdienliches verlauten. In den folgenden Tagen ließ ich mir sicherheitshalber von der Firma "Lautlos" meine gesamte Wohnung schalldämmen und von einem alten Bekannten, einem berüchtigten Villenmarder und Meister seines Fachs, ein raffiniert konstruiertes Hochsicherheitsschloß einbauen.
Tagsüber dachte ich nur noch verkabelt. Auch nachts erschienen mir allerorts Kabel unterschiedlichster Herkunft. Mir träumte, daß alle Hauptkabel, unzählbar viele kleine Nebenkabelchen und ein riesiges Geflecht an Kleinstkabelverästelungen ins Kabelherz im Kabelzentrum des Kabelariums münden. Von dort fließt der Strom, nachdem er gereinigt wurde, in einem sich ewig wiederholenden Kabelenergiekreislauf wieder zurück ins Kabelversum. Das hatte von meinem Geist Besitz ergriffen, sobald mir bewußt wurde, daß auch ich ein Teil davon bin.
Eines Nachts - ich konnte nicht einschlafen, weil mich die Kabel nicht ließen - kamen mir plötzlich, einer Lawine gleich, diverse Kabeleien in den Sinn. Ich stand auf und notierte sie in der Reihenfolge ihres Auftauchens. Daraus entstand am nächsten Tag Folgendes:
Kabelsalat. Aufzeichnungen eines Kabelisten
Als ich dieses billige Dreigroschenkabel gerade mit meinem Kabeldegen durchtrennen wollte, sah ich durch das erleuchtete Wohnzimmerfenster meines Nachbarn, wie er eine Art Kabeltanz vollführte, weil er wieder - wie jedesmal, wenn er kein braves Männchen war - von seiner gestrengen Frau Helmtrud mit einer Kabelpeitsche verdroschen wurde, die sie aus einzelnen, zu einem Bündel zusammengebundenen, ca. eineinhalb Meter langen Kabeln in verschiedenen Farbummantelungen angefertigt hatte. Der Gute hätte wahrscheinlich. wie immer zum Monatsersten, wieder das Kupferkabelhehlerhinterzimmerfensterbankschmuckblumenwannenbewässerungsanlagen-monteursgattinnenvereinigungszeremonienoberinnenringüberreichungsforschungsinstituts-aufnahmekabelstatutenevaluierungsgesetzesnovellelawinenopferswitwerskabel-krawattennadelsollbruchstellenlimitationsgelübde ablegen sollen. Seinem billigen, neuen Kabelhirn - das ihm in einer bekannten Hirnverkabelungspraxis, die seine Kabelweite führte, implantiert worden war - mangelte es allerdings an der nötigen Speicherkapazität, um sich besagten Pflichtkabeltermin zu merken.
Die unter mir wohnende Kabelwitwe - ich nenne sie so, weil sie ihren Ehemann durch einen Kabelinfarkt verlor - trauert heute noch. Und drüben am Fabriksgelände bringt ein Kabelläufer gerade ein paar Proben zum Kabelinnenseiteninspektionsassistentenanwärter, der nix anderes im Kopf hat, als auf die in der Fabrikationshalle arbeitenden Kabelweiber zu starren. Die Kabelinnereien, also die einzelnen Liezen, werden von den Kabelkameradinnen zu Kabelkandidaten verarbeitet, die dem Kabelbonzen mit der Kabelpunze Monat für Monat einen Haufen Kabelkohle einbringen, sobald sie die Qualitätskontrollstelle passiert haben. Mit einem Teil davon sponsert er regelmäßig die Kabeliter - eine fanatische Religionsgemeinschaft, die täglich mindestens dreiunddreißigmal zum großen Hauptkabel betet. Wer will, kann gern ein paar von denen am Kabelitermarkt erwerben; dort werden sie recht günstig angeboten. Die Käufer stellen sich die erworbenen Religionsdiener mit Vorliebe in ihre Vorgärten, wo sie meist bald von den Gartenzwergen gemeuchelt werden, weil auch denen die dauernde Beterei schnell auf den Geist geht. Schließlich will man im Garten seine Ruhe haben ...
Wenn der Nachschub an Frischkabeln nicht reibungslos funktioniert, bricht regelmäßig der Kabeljammer aus. Beim letzten Kabelreferendum wurde wieder heftigst gegen die elenden Kabelpreistreiber gewettert. Ein gutes Treiberkabel kann sich ja beinahe keiner mehr leisten. Dennoch fordert der Kabeltrieb ungebrochen seinen Tribut. Das Umland braucht dringend neue Kuhkabel. Weil: Womit sonst sollen denn bitte die Kabelkühe angebunden werden, wenn sie aus ihrem gräsernen Paradies jenseits des Weidekabels abgeholt und in den Kabelkuhtransporter gebracht werden? Mein Kabelengel, Scheich Abdul El-Kabel, gewann den diesjährigen Beleuchtungskabelqualitätswettbewerb. Monsieur Verkabelle, sein treuer französischer Kabelverleger, erklärte mir neulich die aktuellen Kabelanforderungskriterien, die der Kabelbund künftig eingehalten wissen will. Das anmaßende Kabelherstellergewerkschaftsgründungsansuchen wurde natürlich einstimmig vom Fabrikantengremium und dessen Vorstandsvorsitzenden abgelehnt. Meine Katze leckt schon wieder am Kabeltau. Gestern versuchte ein gewisser Herr Lebak mittels einer Kabelangel einen Kabelgabelungssicherungsbolzen, der auf einem Mauervorsprung zu liegen gekommen war, zu erreichen, um ihn von dort wieder herunterzuholen und in das Teilelager zu retournieren. Ordnung muß sein.
Die verdammten Kabelhamster, die sich selbst jedes Mistkabel - samt dem ganzen Kabelmist - krallen, sind wieder unterwegs, wie die aktuelle Ausgabe des örtlichen "Kabelblatts" berichtet. Ein dringend benötigtes Differenzkabel wurde im Spind des Kabelschmelzkesselwarts entdeckt. Er wurde daraufhin fristlos entlassen. Der Kabelhaushalt wird demnächst den neuen Finanzplanungen zum Opfer fallen, fürchte ich. Die Ausfuhrkabelmenge wird durch die Kabelausfuhrbestimmungen geregelt, daran gibt es nix zu rütteln.
Morgen werde ich das Kommissionskabel zurückgeben, weil es so schäbig beisammen ist, das es seit Monaten niemand kaufen will. Ein vom Kabelkünstler Egon Kabelari ausgestelltes Kabelbild wurde aus der Galerie Neppich gestohlen, sagten sie gerade im Radio durch. Die Haarkabel, mit denen sich die Münsterländer Nachwuchsrastafaribraut vom Haus schräg gegenüber ihre Dreckszöpfe zusammenzwirbelt, möchte ich trotz des drohenden Kabeldebakels nicht einmal geschenkt bekommen. Sie organisiert sich diese bemitleidenswerten Kupferkabelchen bei einem Kabelverleih in der Van-Varenberg-Gasse.
Demnächst wird wohl wieder eines der berüchtigten Kabelbündnisse geschlossen werden müssen, zumal sich eine gewisse Kabelkriminalität nicht mehr verleugnen läßt. Es regnet laufend neue Kabeldelikte, wie die örtliche Kabelpolizei bekanntgibt. Kabeldichter müßte man sein! Die heuer zu Ostern wieder stattfindende Kabelweihe wird auch diesmal wieder der Kabelbischof, der ebenfalls Kabelari heißt, vornehmen. Und die Kabeliter spenden sicher wieder einen prächtigen Kabelkranz. Meine Kabelkatze leckt immer noch. Der Kabelklau kann nur durch ein sehr inniges allabendliches Kabelgebet verhindert werden, das sage ich Ihnen.
Jetzt verspeise ich noch genüßlich meine letzte rote Kabeljause - soviel Zeit muß sein. Diesmal kürze ich sie mir mit meiner Kabelsense aber auf eine mundgerechte Länge, bevor ich sie mir einverleibe, damit sie mir nicht wieder im Halse stecken bleibt - wie unlängst, als ich beinahe erstickt wäre. Wäre der Kabelarzt nicht rechtzeitig gekommen, dann hätte man mich wahrscheinlich samt Kabelstück im Hals begraben. Aber das Kabel konnte von ihm gerettet werden, und ich somit auch.Heutzutage bieten sie einem ja fast nur mehr grüne "Süße Kabel" an. Aber die kommen mir nicht in den Magen.
Der einbeinige Kabelmann mit seiner Kabelmütze und dem Kabelschuh - frisch importiert aus Kabelanien - macht sich endlich an die Arbeit, um den Kabelberg nach Kabelwang zu transferieren, damit die Kabelmasse ja noch termingerecht ankommt. Da ihm die Kabelfinanzierungsanleihensicherung rückwirkend gewährt wurde, hindert den Kabelero, unseren Großhändler, nun nichts mehr daran, sofort nach Kabelistan und später noch weiter, nach Kabelsbad, zu reisen, um die Monsterkabel vom Kabelteufel zu erwerben. Wie jeder weiß, ist das eine riskante Sache. Der Teufel lauert nämlich nicht nur im Detail, sondern schert sich auch nichts um die Kabelparagraphen - weder vor dem Kabelpatienten noch vorm Kabelgott noch vor Montserrat Kabele. Da wären der Kabel-Heinzi oder der Kabelschani die sicherere Option gewesen. Letzterer dient zwar vorwiegend nur dazu, Restkabel aus dem Lager zu apportieren, aber auch dabei läßt sich einiges abstauben und gewinnbringend verklopfen. Beim nächsten Kabel- und Kabelhändlertreffen wird man schon sehen, ob die schöne Kabelbraut - die gestrenge, oberste Instanz der Kabelhauptkontrollstelle - etwaige Kabelfehler entdeckt oder nicht.
Im Fabrikshof binden sie gerade einen Kabelschwanz, der flüchten wollte.
Mit einer Kabelfeder zieht Ihnen der wahre Kabelist, wenn er will, jedes noch so widerspenstige Kabel ein - wußten Sie das? Der Polykabelismus sichert uns noch lange kein Multikabel, versicherte uns der Kabelmulti in seiner letzten Ansprache. Der neugierige, schlaue Kabelspatz beäugt von seinem Vogelkabel aus interessiert den flammenden Kabelismus und dessen Auswirkungen auf die Bevölkerung. Kabelophil, wie er ist, bekümmert ihn die Vielkabelei nicht im Geringsten. Im Gegenteil - er trällert fröhlich seine Kabellieder.
Unser Kabelgrab wird geschaufelt, sobald die Kabelquelle versiegt ist und das Quellkabel keinen Saft mehr liefert. Da hilft uns dann selbst der Kabeltarzan nichts mehr, der dauernd am Hauptkabel herumturnt und meint, es handle sich dabei um seine persönliche Stromliane, die er vorm Kabeltürk beschützen muß. Der Kabelbau im Kabelgau scheiterte bisher am exorbitanten Kabelzoll. In unserem Kabelverzeichnis werden Sie nicht geführt. Nein, ganz sicher nicht. Vorher müßten Sie schon ein Kabel beisteuern, das wir noch nicht kennen. Der Kabelwirbel um die angebliche Kabelsucht der Kabelopfer bringt uns leider nur Opferkabel ein. Die Saudis lassen neuerdings schon Kabelpelze weben, damit ihnen die sengende Hitze nichts anhaben kann. Der Kabelnabel der Kabelmutter wird demnächst vom Mutterkabel getrennt, damit das Kabelkalb lernt, ohne Kabelüberschuß zurechtzukommen. Das lächerliche Kabelangebot, das am Kabelmarkt feilgeboten wird, erzürnt den Kabelgeist. Dem Kabellurch ist es egal. Der ist nicht heikel und breitet sich überall aus. Kabelfeinschmecker haben es da natürlich schwerer.
Brauchen Sie eine Kabelquaste? Einen Kabelbiß? Nein, Kabelbissen hab´ ich keinen.
"Ihren wahnhaften Kabelfimmel leben sie bitte in Zukunft irgendwo anders aus", schrieb mir unlängst die Hausverwaltung und wies darauf hin, ich müsse die von mir entfernten Treppengeländer, die ich durch geflochtene, starke Kabel ersetzt habe, unverzüglich wieder anbringen. Meine Kabelaffinität würde langsam unerträglich und könne nicht länger geduldet werden, betonten sie noch und drohten mir mit der Kündigung, sollte ich ihrer Aufforderung nicht umgehend nachkommen. Jetzt brauche ich ein neues Kabelkunstwerk. Aber womit soll ich es anfertigen? Die Kabelvielfalt, die einst herrschte, ist längst Geschichte, leider. Der Kabelismus stünde unausweichlich vor dem Kabelschluß und damit kurz vor seinem Ende, meinen die Kabelpessimisten. Ich glaube längst nicht alles, was mir gesagt wird. Und Sie hoffentlich auch nicht. Haben Sie noch Strom?
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© Maximilian Labenbacher & Armin Hell
"Sind am Friedhof - Bitte nicht klopfen". Was diese Notiz mit Engelsfiguren, Geheimnissen und dem Universum zweier Cousinen zu tun hat, weiß Armin Hell. Er begab sich auf literarische Spurensuche nach Gars am Kamp.
Hängen Sie auch schon am Kabel? Armin Hell traf in einem entlegenen Winkel seines Gehirns auf Karl-Heinz Kabel - einen sonderbaren Herrn, der ihm ein obskures "Dossier" überreichte, das ein Beitrag zur demnächst erscheinenden, erweiterten Ausgabe von Klaus Ferentschiks "Kabelenzyklopädie" sein möchte. Sowas hat natürlich nur im EVOLVER Platz.
Heutzutage ist jeder ein Star - und die Medien werfen mit Begriffen wie "Kult" und "Legende" wahllos um sich. In einer Zeit, da sogar einbeinige, rinnaugerte Kammbläser und blade, ungelenke Tanzbären ihre fünf Minuten Ruhm kriegen, bleibt einer unverdientermaßen unerwähnt: der Video-Kurtl. Armin Hell porträtiert den wohl wichtigsten Dokumentaristen der Wiener Musikszene.
Der Blues ist immer und überall. Er ist nicht nur eine Musikrichtung, sondern auch eine Lebenseinstellung. Al Cook ist mit ihm aufgewachsen - und wir sind mit Al Cook aufgewachsen, ob wir das wußten oder nicht. Daher freuen wir uns auch so über seine Autobiographie. Armin Hell hat das Buch gelesen.
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