aus: Rokko´s Adventures #14
Text: Rokko
Photos: Kurt Prinz
Er ist ein Archivar der etwas anderen Sorte: In der umfangreichen Sammlung von John Aes-Nihil findet man seltene Charles-Manson-Artefakte und viele andere obskure Schätze. Rokko hat ihn in der Wüste besucht. 29.07.2015
Rokko´s Adventures ist - so steht es im Impressum - eine "unabhängige, überparteiliche sowie übermenschliche Publikation" und "setzt sich mit Leben, Kunst, Musik und Literatur auseinander". Der EVOLVER präsentiert (mit freundlicher Genehmigung) in regelmäßigen Abständen ausgewählte Beiträge.
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Wenn Kenneth Anger Filmmaterial über die Hitler-Jugend braucht, dann weiß er, wen er anrufen muß. Fehlt Adam Parfrey für eines seiner Bücher noch ein rares Charles-Manson-Artefakt, bohrt er dieselbe Quelle an. Und benötigt Marilyn Manson eine außergewöhnliche Gestalt für eines seiner Videos, konsultiert er dasselbe Faktotum. Zu Besuch bei John Aes-Nihil, dem Mann im Hintergrund.
Lesen Sie hier den ersten Teil: "Aesthetic Nihilism".
Wir fahren gemütlich weiter durch die frühabendliche Wüste, während John Aes-Nihil gedämpft aus dem Nähkästchen plaudert. Seine Band Beyond Joy & Evil spielte von 1974 bis 1979 einmal in der Woche im Wohnzimmer jenes Hauses in Oakland, wo er mit Paul und Rusty lebte - zwei jener Typen, die er auf seinem Zwei-Jahres-Trip getroffen hatte. "Wir spielten nur einmal vor Publikum, und das war bei einer Halloween-Party. Alle wurden von unserem Sound gegen die Wand gedrückt, wir waren wie ein Kraftfeld", schmunzelt John Aes-Nihil besinnlich. "Ich hatte genaue Regeln für die Band, an die hielt sich jeder. Da gab es nie Diskussionen. Niemals." Was für Regeln das waren? "Du mußt so laut und hart und so schnell spielen wie möglich - und das drei Stunden nonstop. Das einzige, was zählt, ist Energie. Ich wußte nie, ob es was mit Musik zu tun hatte oder nicht. Es war Energie."
Es dauerte nicht lange, bis sämtliche Energien verschoben wurden. "Wir hatten diesen Acid-Trip in Tahoe, der die ganze Dynamik innerhalb unserer gestalt veränderte. Paul und ich waren uns immer ziemlich nahe gewesen, aber auf Acid wurden Rusty und ich zur selben Person. Paul sagte, daß das vollkommener Mist wäre. Aber Rusty und ich sahen, daß Paul sich selbst kaputtmachen würde. Als wir dann unser zweites Haus in Oakland hatten, fing er an, mit Kokain zu dealen - und verschiedene Leute sagten uns schon, daß die Drogenpolizei unser Haus überwachen würde. Rusty und ich fanden, daß Paul extrem leicht zu manipulieren war; er war von seinem Auto besessen. Er fing dann an, zum Problem zu werden, also sprach ich einen Fluch aus ... auf das Getriebe seines Autos. Als er zurückkam, schrie er herum, daß das Getriebe seines Autos kaputt wäre."
Dann fing Paul an, in ihrem Haus Marihuana anzubauen. "Rusty und ich wußten, daß das auhören mußte. Wir stoppten zum Strand, und auf einmal gab es den Moment, in dem wir wußten, daß sich das Problem irgendwie gelöst hatte. Als wir zurückkamen, war Paul samt dem Pflanzen weg." Er war in ein neues Haus gezogen: "Und die Drogenpolizei mit ihm. Er dealte weiter mit Kokain und verkaufte etwas Stoff an einen Undercover-Polizisten. Als er das herausfand, erschoß er den Cop."
Er und Rusty hingegen blieben für Jahre ein und dieselbe Person: "Wir konnten unsere Gedanken zu Ende denken und lebten im selben Zimmer. Rusty machte das langsam Sorgen.” Im Zuge dessen sollte sich der ganze Kult in sämtliche Himmelsrichtungen zerstreuen.
Aus dem Nirgendwo der desolaten Wüste können wir eine Leuchttafel durch die Finsternis erspähen: "El Rancho" steht da bunt geschrieben - und wir beschließen, heute mexikanisch zu essen. Beim Dinieren besprechen Kurt Prinz und ich die nächsten Pläne: Jeute noch zurück nach LA? Eigentlich würden wir lieber ... John Aes-Nihil sieht unsere traurigen Hundeäuglein und bietet uns an, daß wir bei ihm übernachten können. Wir zahlen das Essen, und der Deal steht.
Danach fahren wir gemütlich in John Aes-Nihils Höhle. Ich catche mich ins Arbeitszimmer, Herr Prinz schläft im Wohnzimmer neben dem Kamin. In der Nacht wird es Kurt Prinz ziemlich kalt, also legt er deftig nach, bis das Feuer aus dem Kamin kriecht und uns beinahe abfackelt. Ich bin dadurch für kurze Zeit irritiert, John Aes-Nihil steckt die Situation gewohnt souverän weg. Er ist der einzige, der die ganze Nacht über nüchtern blieb - ist er in den vergangenen Jahrzehnten doch ohnehin wiederholtermaßen in den sprichwörtlichen Zaubertrank gesprungen.
Das einzige, was zählt, ist Energie
Das Haus wacht auf. Ziemlich eingefroren stehe ich am nächsten Morgen auf und strecke mich grob durch. Kurt Prinz bekommt etwas Haferschleim, ich bin kein Frühstücker, zwei Tassen Kaffee und ich bin glücklich. Danach rücken wir wieder im Auto zusammen, auf der Suche nach dem nächsten Stoppschild. Wir fahren in ein paar ranzige thrift stores, zu einer alten Rennstrecke und einem Flughafenfriedhof mitten am Arsch der Wüste, wo wir uns sportlich betätigen.
John Aes-Nihil ist ein zurückhaltender, aber tadelloser Gastgeber, und so frage ich mich, woher jene bösartigen Verleumdungen kommen, die im Internet hin und wieder um ihn auftauchen - und die er gar nicht kommentieren möchte. Ob er viele Feinde habe? "Nicht wirklich, aber viele Neider. Da gibt es einige, die sich als Autoritäten in der Charles-Manson-Sache bezeichnen - aber sich erst seit zehn Jahren oder so damitauseinandersetzen."
Doch es gibt auch genug Leute, die ihn schätzen: Autor und Journalist George Petros ("Art That Kills”, "The New Transsexuals”) arbeitete schon mehrere Male mit John Aes-Nihil zusammen und weiß nur Gutes über ihn zu berichten: "John ist ein guter Freund von mir, und ich stelle ihn an die Spitze dieser ganzen Szene. Er hat vieles erst möglich gemacht. Drei Viertel vom dem Zeug, mit dem sich die Leute schmücken, kommt von John. Wenn es irgendjemand verdient, als godfather dieser Szene bezeichnet zu werden, dann er. Ohne ihn wäre das alles nicht möglich gewesen. Er brachte den Titel 'Archivar' in die kreative Szene ein. Plötzlich konntest du ein Autor sein, ein Illustrator, ein Musiker - und ein Archivar.”
Auf dieses Kompliment hin angesprochen, sagt John Aes-Nihil trocken: "Ich bin der am wenigsten Anerkannte und der mit am wenigsten Geld in dieser ganzen Szene.” Eine Zeitlang konnte er von seinem Archiv leben, aber mit dem Internet wurde es für ihn immer schwieriger.
"George meint, ich soll das online verfügbar machen. Aber dadurch krieg´ ich auch kein Geld.” Ob ihm die Szene, die sich mit ihm schmückt, etwas schuldet, das er nie bekommen hat? Nach einer Pause antwortet er: "Manchmal sagen mir Leute, daß Marilyn Manson mich irgendwie kopiert hätte. Und er kaufte eine Zeitlang einen Haufen Zeug von mir."
Wir bringen John Aes-Nihil zurück in sein Haus, und zum Abschluß machen Kurt Prinz und ich einen feierlichen Großeinkauf im Archiv. Ob es noch ein Stück gibt, das er um jeden Preis in seiner Sammlung haben müßte, möchte ich von John Aes-Nihil wissen. "Na ja, die Manson/Beach Boys-Platte. Aber über die gibt es nur Gerüchte. Dennis sagte, er habe sie verbrannt. Die Anwälte sagten, die Aufnahmen wären im Tresor. Einer von BBC hat eine Doku gemacht und behauptet, der Aufnahmeleiter hätte sie. Und einer von den Mael-Brüdern von den Sparks weiß angeblich, wo das Band wirklich ist ..."
Von John Aes-Nihil zu Goddess Bunny
Goddess Bunny spielte in zahlreichen Filmen von John Aes-Nihil mit, der ihr auch diesen Namen gab. Er sagt: "Kennengelernt hab ich Goddess Bunny in der Limbo Lounge, als sie mit Glen Meadmore performt hat. Glen hat ihr die Zehen abgelutscht, und sie begann zu schreien: 'Du ruinierst meine seriöse Theaterkarriere!' Marilyn Manson hat sie in einem Video verwendet. Sie dreht regelmäßig durch und erzählt herum, daß sie Marilyn Manson und mich verklagen würde - weil wir sie zu berühmt gemacht hätten. Sie ist immer ziemlich schräg. Ich habe Goddess Bunny für George Petros´Buch 'The New Transsexuals' interviewt. Das Gespräch war so durcheinander und lächerlich, daß ich George gesagt habe, wir müßten das wortwörtlich abdrucken, damit man sieht, wie sie drauf ist. Wir sind nach wie vor in Kontakt, sie lebt jetzt in so einer Art Hospiz oder Irrenhaus. Ich bezweifle, daß sie da je wieder rauskommt."
Aber wir kommen rein - klicken bitte!
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